Lieblingsländer gegen hoffnungslose Fälle?

Über die bleibenden Dilemmata der „Entwicklungshilfe“ in Afrika

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PICTURE ALLIANCE/IMAGEBROKER
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Lieblingsländer gegen hoffnungslose Fälle?

Über die bleibenden Dilemmata der „Entwicklungshilfe“ in Afrika

Manchmal, so will es scheinen, fehlt einfach der richtige Begriff. Wer Entwicklungshilfe sagt, verrät eine paternalistische Grundhaltung. Die Geber bestimmen, die Nehmer haben zu folgen. Wer stattdessen Entwicklungszusammenarbeit sagt, muss sich Naivität vorwerfen lassen. Die wirtschaftliche Überlegenheit des Nordens lässt eine Kooperation mit dem Süden, in der auch Fairness ihren Platz hat, als illusorisch erscheinen. Doch genau besehen sind die terminologischen Fallstricke Ausdruck einer Situation, in der es keine einfachen Antworten gibt und hinter einem kleinen sprachlichen Dilemma ein viel größeres lauert, das unmittelbar unser liberal-demokratisches Selbstverständnis betrifft und die Grenzen unserer Kompromissfähigkeit berührt.

Seit dem Völkermord von 1994 ist Ruanda das Lieblingsland der internationalen Gebergemeinschaft. Finanzielle Hilfe und personelle Unterstützung werden wie geplant eingesetzt, Korruption ist so gut wie abwesend, Effizienz ist kein Schlagwort zur Verdeckung von Unfähigkeit, sondern tägliche Maxime des Staates bis in die kleinste Verwaltungseinheit hinein, ein gut ausgebautes Straßennetz und ein umfassendes Gesundheitssystem zeugen von einer für Afrika überaus beeindruckenden Infrastruktur, die inzwischen sogar eine Kranken- und Rentenversicherung umfasst. Wie ist da nicht von einem Erfolg zu sprechen, von einer Modellfunktion für andere afrikanische Staaten? Längst geht es in Ruanda nicht mehr um Hilfe, Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist die Devise.

Dagegen am anderen Ende der entwicklungspolitischen Bandbreite die Demokratische Republik Kongo. Vetternwirtschaft, Kriege, Kriminalität und Korruption machen den Staat zum Inbegriff der Hoffnungslosigkeit. Wobei dort der Begriff Staat eigentlich ein Euphemismus ist. Eine kleine Minderheit nutzt ihn, um sich hemmungslos zu bereichern, während die große Mehrheit der Kongolesinnen und Kongolesen ihn lediglich als Instrument der Drangsalierung erfährt. Und das besonders Bedrückende ist, dass innerhalb dieser großen Mehrheit sehr viele Menschen es der so genannten Elite gleichtun, das heißt sie betrügen und unterschlagen, um im täglichen Daseinskampf zu bestehen.

Elend macht keine besseren Menschen, das ist bekannt. Aber wer, wie der Verfasser dieser Zeilen, erlebt hat, was manger le blanc bedeutet, in welchem Ausmaß er trotz langer Erfahrung in Ostafrika gegessen wurde, für den ist doch erschreckend, mit welcher Leichtigkeit sogar der Tod von Kindern in Kauf genommen wird (im konkreten Fall haben Kongolesen Gelder, die zur Breizubereitung für Waisenkinder gedacht waren, unterschlagen mit der Folge, dass Kinder an Entkräftung und Hunger gestorben sind).

Mit dieser Erfahrung steht er obendrein nicht allein, und mit ihm wissen auch andere, dass eine Anzeige dieser Delikte kostspielig und gefährlich ist, zudem verläuft sie mit absoluter Sicherheit im Sande.

Angesichts dieser Konstellation dürfte klar sein, für welche Seite des entwicklungspolitischen Engagements zu optieren ist. Selbstverständlich für diejenige, die eine Entwicklung vorzuweisen hat, und diese Seite trägt den Namen Ruanda.

Aber so einfach, wie sie sich auf den ersten Blick ausmacht, ist die Option nicht. Ruanda ist ein autoritärer Staat. Opposition ist lebensgefährlich. Seine entwicklungspolitischen Erfolge, zu denen aktuell auch eine wirkungsvolle Anti-Corona-Politik zählt (nur fünf Menschen bei einer Bevölkerung von annähernd vierzehn Millionen sind an den Folgen von SARS-CoV-2 gestorben, die Zahl der aktuell Infizierten liegt „nur“ bei etwa 2100, was das Robert Koch-Institut Ruanda aus der langen Liste der weltweiten Risikogebiete streichen ließ), gehen einher mit systematischen und massiven Menschenrechtsverletzungen.

Als 2017 eine UN-Kommission den Vorwürfen der Folter in geheimen Militärhaftanstalten nachgehen wollte, musste die Kommission ihre Untersuchung abbrechen, weil sie auf eine Mauer der Verweigerung, Einschüchterung und Angst gestoßen war. Nachdem Ruanda beteuert hatte, es handle sich um ein großes Missverständnis, unternahm die Kommission ein Jahr später einen erneuten Versuch. Der Versuch scheiterte. Die Kommission musste ihre Untersuchung endgültig beenden, was in ihrer Geschichte bis dahin noch nicht geschehen war.

Die Frage liegt nahe, wie sich allein dieses Beispiel mit einer Entwicklungspolitik, die der Beachtung elementarer Menschenrechte verpflichtet ist – und das gilt besonders für die deutsche – in Übereinstimmung bringen lässt. Wie stabil ist ein Staat, der zu solchen Methoden greifen muss? Und wie verlässlich ist die Entwicklung, wenn es zwar allen besser geht, die Hauptnutznießer dieser Entwicklung jedoch einer Bevölkerungsminderheit angehören, ein Umstand, der vor dem Hintergrund pauschaler Schuldzuweisung nach dem Völkermord an sämtliche Mitglieder der Bevölkerungsmehrheit von dieser zunehmend als zusätzliche Ungerechtigkeit wahrgenommen wird?

Die Demokratische Republik Kongo wird man ebenfalls als autoritären Staat bezeichnen müssen, allerdings als einen mit zahlreichen dysfunktionalen Aspekten (weil sich der Vergleich anbietet: Trotz großtönender Ankündigungen existiert nur eine völlig disparate Politik zur Eindämmung der Corona-Pandemie, verlässliche Zahlen gibt es nicht). Anders jedoch als in Ruanda ist es dort möglich, weitgehend ohne staatliche Einmischung mit zivilgesellschaftlichen Gruppierungen zu kooperieren. Dazu bedarf es eines langen Atems und einer hohen Frustrationstoleranz. Ein oftmals technokratisches Verständnis von Entwicklungshilfe oder Entwicklungszusammenarbeit muss heruntergebrochen werden auf die Ebene individueller Begegnungen mit Betroffenen, auf die gemeinsame Analyse von Problemen und das einverständliche Finden von Lösungen.

Was in Ruanda auf zweifelhafte Weise dirigistisch von oben geschieht, kann sich im Kongo von unten herausbilden. Eine Gewähr dafür gibt es selbstverständlich nicht, ebenso wenig wie dafür, dass das ruandische Modell tatsächlich eines ist.

Und damit wären wir mitten in dem eigentlichen Dilemma, aus dem uns nur das Beharren auf liberal-demokratische Überzeugungen herausführt. Ob wir diese Politik Entwicklungshilfe oder Entwicklungszusammenarbeit nennen, ist gleichgültig. Sicher ist jedenfalls eins: Die demografische Entwicklung gerade in Schwarzafrika schafft einen Zeitdruck, der zur Offenheit über unsere Ziele zwingt.

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