Abgeschlafft an den Urnen

Sachsen nach der Kommunalwahl: Weder rechtspopulistischer Aufschwung noch Entwarnung

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KLEIN-ERZGEBIRGE
All politics is local – oder: Alle Politik fängt im Kleinen an. Die Ausstellung Klein-Erzgebirge in Oederan.
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Abgeschlafft an den Urnen

Sachsen nach der Kommunalwahl: Weder rechtspopulistischer Aufschwung noch Entwarnung

Sachsen ist ein Bundesland, das für politische Überraschungen immer gut ist. Vor den Kommunalwahlen am vergangenen Sonntag spekulierten viele Experten, ob es der AfD gelänge, erstmals Landratsämter und Rathäuser zu gewinnen. Danach sieht es nach dem ersten Wahlgang am 12. Juni nicht aus. In keinem der neun Wahlkreise und bei keiner der rund 200 Bürgermeisterwahlen lagen die Rechtspopulisten vorn. Anfang Juli geht es in den zweiten Wahlgang, bei dem dann die einfache Stimmenmehrheit ausreicht. Doch bereits jetzt zeigte sich sogar der AfD-Landesvorsitzende Jörg Urban vom Verlauf der Kommunalwahlen enttäuscht.

Die CDU, die bisher in allen zehn Landkreisen den Landrat (und hier ist männliche Form ausnahmslos zutreffend) stellte beziehungsweise einen parteilosen Landrat mittrug, brachte im ersten Anlauf drei ihrer Kandidaten durch. In der vermeintlichen AfD-Hochburg Mittelsachsen schaffte zwar kein Kandidat die absolute Mehrheit. Doch hier überraschte der medial bekannte, parteilose Bürgermeister des Erzgebirgsstädtchen Augustusburg Dirk Neubauer mit 41 Prozent. Der frühere SPD-Politiker ließ die CDU- und AfD-Mitbewerber mit 30 und 28 Prozent deutlich hinter sich.

Während sich in Mittelsachsen und in anderen Landkreisen politische Tendenzen – zumeist zugunsten der CDU – deutlich abzeichnen, ist das Rennen vor allem im traditionell konservativen Erzgebirgskreis noch offen. In dieser Region lassen sich auch aktuelle Verschiebungen im rechten Lager beobachten. So traten bei drei sächsischen Landratswahlen auch die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften „Freien Sachsen“ an, eine politische Neubildung im Zuge der Corona-Proteste, die sich selbst weniger als Partei denn als „Sammelbewegung“ bezeichnet. Die Freien Sachsen mobilisieren über ihren Telegram-Kanal, stellen die staatliche Ordnung in Frage, werben für einen Austritt Sachsens aus der Bundesrepublik („Säxit“), führten oder unterwanderten viele Corona-Proteste, verbreiten Verschwörungsmythen und schreckten selbst vor Morddrohungen gegen Ministerpräsident Michael Kretschmer nicht zurück.

Mit der Gründung der Freien Sachsen verlor die AfD an vielen Orten Anhänger und den Protest auf der Straße. Die Verbindung von parlamentarischer Arbeit und der Straße – etwa in Verbindung mit Pegida in Dresden – war für die Partei lange Zeit eine erfolgreiche Formel. Das Verhältnis zur mittlerweile vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Pegida-Bewegung sorgte seit vielen Jahren für interne Diskussionen in der AfD zwischen dem ebenfalls rechtsextremen Flügel-Anhängern und eher rechtskonservativ-bürgerlichen Kräften, die in Sachsen allerdings meist in der Minderheit waren. Seitdem die Verfassungsschutzbehörden die AfD genauer unter die Lupe nehmen, veränderte die AfD ihre Strategie und agierte öffentlich zurückhaltender, äußerte provokative Thesen eher intern und beschloss einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit zahlreichen rechtsextremistischen Organisationen, unter ihnen auch die Freien Sachsen.

Auch wenn die AfD bisher keinen Chefposten in den Verwaltungen errang, stabilisierte sie sich auf einem hohen Niveau. Bei der Landtagswahl 2019 waren es 27,5 Prozent, bei der Bundestagswahl 25 Prozent und zehn Direktmandate. Ihre Landratswahlergebnisse liegen zwischen 19 und 35 Prozent. Sie ist in den meisten Regionen aufgrund der Schwäche der anderen politischen Parteien die einzige Alternative zur CDU, wie der Politikwissenschaftler Hans Vorländer jüngst in der Sächsischen Zeitung erklärte. Zugleich scheint die AfD aber die Grenze ihres Wachstums erreicht zu haben, weitere Wahlsteigerungen sind aktuell nicht erkennbar.

Die Kommunalwahlen zeigten bei der von inneren Spannungen keineswegs freien AfD offenkundige Personalprobleme. In vielen Orten, selbst in der Hochburg Ostsachsen, gelang es ihr nicht, eigene Bürgermeisterkandidaten aufzustellen. Auch die geringe Wahlbeteiligung dürfte für die AfD, die sonst Wähler zu mobilisieren versteht, Auswirkungen gehabt haben. Anscheinend unterscheiden viele Bürgerinnen und Bürger doch, ob sie ein Zeichen des Protests setzen oder der AfD wirklich exekutive Macht übertragen wollen.

Blickt man in den Ende Mai vorgestellten Verfassungsschutzbericht Sachsens 2021, so bleibt der Rechtsextremismus weiterhin die größte Bedrohung der staatlichen Ordnung im Freistaat. Während die rechtsextremen Straftaten im vergangenen Jahr zurückgingen und die Zahl der amtlich bekannten Rechtsextremen etwas abnahm, stieg die Zahl der aktiven Reichsbürger an. Diese erwarben jüngst zwei größere Immobilienobjekte in Sachsen, um „Gemeinschaftsdörfer“ zu gründen.

Und dennoch: Die Lautstärke der Straße ist nicht immer ein Spiegel der realen Befindlichkeiten in der Bevölkerung. Rechtsextremisten sind in Sachsen eine kleine Minderheit. Wie neueste Meinungsumfragen zeigen, sind – auch in Sachsen und Thüringen – die meisten Menschen trotz oder gerade wegen der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie mit Regierung und Verwaltungen zufrieden, nehmen diskriminierende und rassistische Einstellungen in Ostdeutschland ab.

Die Skepsis gegenüber Parteien und ihren Vertretern bleibt gleichwohl ein prägendes Kontinuum der politischen Kultur und Parteienlandschaft in Sachsen: Hier die seit 30 Jahren das Land regierende CDU mit einem für lange Regierungszeiten typischen Habitus, dort die nun mit 20 bis 25 Prozent etablierte AfD, schließlich relativ kleine Verbände von Grünen, Linken und SPD. Diese Parteien traten nur teilweise mit eigenen Vorschlägen bei den Kommunalwahlen an und schlossen sich in vielen Wahlkreisen zusammen, um einen gemeinsamen Kandidaten zu unterstützen. Den Parteien des linken und grünen Spektrums fehlen abseits der urbanen Zentren starke Orts- und Kreisverbände und entsprechendes Personal. Ihre sächsischen Hochburgen haben diese Parteienvor allem in den etwas weltoffeneren Mittel-, Universitäts- und Großstädten.

Traditionell stark abgeschnitten haben bei den sächsischen Kommunalwahlen die Freien Wähler oder unabhängige Einzelkandidatinnen und -kandidaten. Dieser sich nun über eine Reihe von Kommunalwahlen bundesweit, aber verstärkt in Ostdeutschland abzeichnende Trend zeigt ein schrumpfendes Vertrauen in die klassischen Parteien und ihre Strukturen. Ähnliches belegen Meinungsumfragen. Vielleicht ist dort der Osten Deutschlands ein Labor für neue politische Trends. Parteienunabhängige Amtsträger müssen der Demokratie keineswegs schaden, sondern können sogar neue Impulse setzen, wenn es ihnen gelingt, die Bürgerschaft zusammenzuführen und die Kommunen zu erneuern. Die politischen Meinungsbildungsprozesse in den und die Vergemeinschaftungseffekte der Parteien können sie allerdings nicht stärken. Dass noch immer erschreckend wenige Frauen den Weg in Wahlämter einschlagen, ist eine weitere große Baustelle, der sich Sachsen in den nächsten Jahren dringend stellen muss.

Roland Löffler leitet die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung. Dieser Artikel stellte seine persönliche Sicht der Dinge dar.

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