Angemessen

Kolumne | Direktnachricht

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DPA/APA/PICTUREDESK.COM
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Angemessen

Kolumne | Direktnachricht

Kennen Sie den Pflexit? Darunter versteht man den Ausstieg von Pflegekräften aus ihrem Beruf aufgrund unerträglicher Arbeitsbedingungen. In der Altenpflege passiert das im Schnitt nach acht Jahren, in der Krankenpflege nach sieben. Aktuelle Umfragen zeigen, dass seit der Coronapandemie jeder sechsten Fachkraft jegliche Motivation für den Job fehlt und ein Pflexit immer wahrscheinlicher wird.

Trotzdem haben Sie in den vergangenen Tagen vermutlich mehr über die sprachliche Vorlage Brexit und fehlende Benzinlieferungen gehört als über einen der wichtigsten Arbeitskämpfe in Deutschland. Seit über drei Wochen streiken nämlich die Pfleger_innen der Berliner Kliniken Vivantes und Charité. Die Forderungen der Berliner Krankenhausbewegung stehen sogar seit Anfang Mai im Raum. Es geht um das, was eigentlich selbstverständlich sein sollte, aber selbst in der Coronakrise nur mit Klatschen und ungenügenden Bonuszahlungen abgespeist wurde: menschliche Arbeitsbedingungen und ein angemessener Lohn.

Pflege ist eben mehr, als der Oberärztin das Klemmbrett zu halten und dem Patienten ein paar Tabletten einzuhelfen. Pflege ist nicht nur „satt, sauber und trocken“. Sie ist ein eigener Bereich der Gesundheitsversorgung. Das hierfür benötigte Fachwissen wird gesellschaftlich allerdings häufig immer noch nicht anerkannt.

Diese Ignoranz steht, wie so oft, auf sexistischen Füßen. In Pflegeberufen arbeiten schließlich vorwiegend Frauen, und was die so an zentralen Aufgaben für unsere Gesellschaft erledigen, wird ja gerne mal übersehen. Jeden Tag Überstunden zu machen, weder zu essen noch zu trinken und von Patient_in zu Patient_in zu hechten, wird dann als „Aufopferung und Berufung“ dargestellt. Diese vermeidbare Ausbeutung beginnt sogar oft schon in der Ausbildungsphase. Am Ende leiden sowohl Personal als auch Patient_innen darunter, dass Krankenhäuser mit einem minimalen Personalschlüssel das Maximale erwirtschaften wollen.

Als Gesellschaft blenden wir es gerne aus, aber: Wir alle sind, früher oder später, auf Pflege angewiesen. Im Fall der Fälle wünschen wir uns natürlich, dass wir oder unsere Herzensmenschen dann auch gut gepflegt werden. Die Berliner Krankenhausbewegung kämpft nicht nur ums eigene Überleben in einem Beruf, den die meisten eigentlich lieben. Sie kämpft gegen den drohenden Kollaps unseres Gesundheitssystems und damit auch für uns als (potenzielle) Patient_innen – kämpfen wir also mit!

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