Auf den Braunkohleklippen

Postskriptum

21
01
21
01

Auf den Braunkohleklippen

Postskriptum

Die jüngsten Ereignisse in Lützerath, immerhin, haben in diesen Tagen das deutsche Kommentariat zu großer Form auflaufen lassen. Der Soziologe Armin Nassehi, dessen Analysen immer wieder bestechend hellsichtig daherkommen, bemängelt im Spiegel, wie „erwartbar und drehbuchhaft die Reaktionen auf die Aktivisten ausfallen, wie sich fast alle Beteiligten zwischen Rollenprosa und tiefen Überzeugungen bewegen – und wie erwartbar die Eskalations­dynamiken des Protests und seiner Kritiker ist“. Entweder gingen unter den edlen Motiven, der Dringlichkeit des Problems die Frage nach den Mitteln unter. Oder Beweggründe und Gefahren des Klimawandels würden ignoriert und in den Protestierenden „die üblichen verdächtigen arbeits- und reflexionsscheuen Leute“ gesehen, vor denen man immer schon gewarnt habe. Bombenlegerinnen mit Zöpfen – oder so ähnlich, hieß das einst.

Der Widerstand „unterirdischer Spezialkräfte im Tunnel, Frontbesuche aus dem Oberkommando und von der eigens angereisten Jeanne d’Arc der Bewegung, geballte Fäuste und Verlustmeldungen aus dem Kampfgebiet“ erinnerten Reinhard Müller in der Frankfurter Allgemeinen an eine Inszenierung unter der Regie Ernst Jüngers, um dann freilich wieder in sachlichem Ton vor Rechtsbruch und Gewalt zu warnen: „Auch der grundgesetzlich gebotene Kampf für die natürlichen Lebensgrundlagen gibt kein Faustrecht.“

Im Feuilleton des Blattes unterzieht Jürgen Kaube die Aussagen der Aktivistinnen und Aktivisten einer hermeneutischen Prüfung. Um es kurz zu machen: Sie sind nicht satisfaktionsfähig. „Das Eigentümliche an all dem ist, dass die Aktivisten ernsthaft glauben, sie kämen mit solchen Verdrehungen und Legenden und missgünstigen Auslegungen durch.“ Kaube stellt aber auch die Frage, ob sie sich diese „Bereitschaft zum Melodram und strategischen Daherreden“ von jenen Politikern abgeschaut hätten, die sie am meisten verachteten. Kaube bezweifelt, dass der Versuch der Klimabewegung, in den Medien ein vorteilhaftes Bild von sich abzugeben und so moralisches Kapital anzuhäufen, mit dem dann Rechtsbrüche legitimiert würden, zum Erfolg führte.

Auch Nassehi sieht die Strategie der „Letzten Generation“ am Ende in eine Sackgasse führen, spricht aber den Kritikern der Bewegung das Recht ab, sich unter Berufung auf sinnlose Unterscheidungen der Auseinandersetzung in der Sache zu entziehen: „Als ließe sich die Bekämpfung des Klimawandels mit der Alternative zwischen ‚neuen Technologien‘ und ‚staatlichem Zwang‘ beschreiben, zwischen einer (angeblichen) liberalen Lösung durch Eigeninitiative und einer (angeblich) sozialistischen durch staatliche Gängelung und Verbote.“ Das ist wohl gesprochen, aber auch der Soziologe deutet „ein Drittes“ zwischen den schwachen Unterscheidungen nur an.

Derweil haben die Aktivisten neben zweifelhaften Protestaktionen auch einfache Forderungen im Programm: ein Tempolimit auf Autobahnen und ein bundesweites 9-Euro-Ticket.

Weitere Artikel dieser Ausgabe