Bombenstimmung

Der Iran ist keine homogene Diktatur, sondern eine hybride Form aus Autokratie und Demokratie. Und bald Atommacht?

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PICTURE ALLIANCE/AA
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Bombenstimmung

Der Iran ist keine homogene Diktatur, sondern eine hybride Form aus Autokratie und Demokratie. Und bald Atommacht?

Ganz zu Beginn, im Sommer 2015, beschrieben viele Iraner die Zeit nach Abschluss des Atomabkommens als Flitterwochen mit dem Westen. Die Menschen tanzten in Teheran auf den Straßen, nachdem in den Nachrichten die Mitteilung über das erfolgreich abgeschlossene Abkommen verbreitet wurde.

Von dem Flitterwochengefühl ist nicht mehr viel übrig. Die Scheidung war teilweise schon vollzogen. Bis Joe Biden zum amerikanischen Präsidenten gewählt wurde.

Nicht nur Teheran hatte darauf gehofft, auch die EU. Und so ging ihre gemeinsame Warte- und Hinhaltetaktik auf – Trump, erklärter Iran-Deal-Gegner, ist abgewählt. Teheran hofft, dass mit der neuen US-Regierung eine Rückkehr zum Atomabkommen eingeleitet werden kann. Präsident Biden hat dies auch schon während seines Wahlkampfes angekündigt.

Doch einfach wird es nicht werden.

Die Länder blockieren eine Einigung durch gegenseitige Bedingungen. Keiner will zuerst nachgeben. Iran, so betont Washington, muss zuerst die Auflagen aus dem JCPOA, dem Atomabkommen, wieder vollständig umsetzen.

Die Islamische Republik hat sich genau ein Jahr, nachdem die USA aus dem Abkommen ausgestiegen waren, nicht mehr an dieses gehalten. Inzwischen wird Uran auf 20 Prozent angereichert, fünfmal höher, als im Abkommen erlaubt, in neuen Zentrifugen, die laut Abkommen auch nicht erlaubt sind. Anders als vereinbart, wird das angereicherte Uran nicht mehr außer Landes gebracht. Gleichzeitig arbeitet man an neuen Atomanlagen. Alles Verstöße gegen das Abkommen. Doch Iran sieht sich im Recht. Seien doch die USA 2018 ausgestiegen und habe doch die Islamische Republik nie die Versprechen eingelöst bekommen, die ihr bei Abschluss des Atomabkommens gegeben wurden. Das größte Versprechen: Wirtschaftsaufschwung.

Es ist das bekannte alte Problem: Irans Präsident Hassan Rohani müsste ein Zurückfahren des Atomprogramms den Hardlinern in der Islamischen Republik verkaufen. Doch die Hardliner, die dieses Abkommen noch nie befürworteten, sehen sich jetzt erst recht von den Amerikanern betrogen. So sagte der Chef der Revolutionsgarde, Hussein Salami, jüngst, dass der Iran überhaupt kein Atomabkommen brauche.

US-Außenminister Antony Blinken warnte kürzlich davor, dass die Islamische Republik nur noch „Monate“ davon entfernt sei, eine eigene Atombombe konstruieren zu können. Das alles hört sich nicht gerade nach neuen Flitterwochen an.

Die Staatengemeinschaft fürchtet Irans Atomprogramm zu Recht. Die Gefahr ist groß – für die Welt und die Iraner. Hätten die Mächtigen in Teheran eine Atomwaffe in den Händen, würden sie sich damit das Weiterbestehen ihres Regimes sichern. Denn es wäre dann nicht mehr ohne weiteres möglich, die Herrscher zu stürzen. Warum hängt die Führung so sehr am Nuklearprogramm, wenn es angeblich nur zivilen und friedlichen Zwecken dienen soll? Das klingt wenig glaubwürdig. US-Präsident Biden muss sich beeilen, wenn er den Konflikt noch entschärfen und die Mullahs vom Besitz einer Atombombe abhalten will.

Eigentlich herrscht auch schon so etwas wie Krieg. Der iranische Verteidigungsminister warnte kürzlich Richtung Israel, dass die Pläne fertig auf dem Tisch lägen, um Tel Aviv und Haifa vollkommen auslöschen zu können. Iran ließ über Stellvertreter einen US-Stützpunkt im Irak mit zehn Raketen angreifen. Iranische Stellungen in Syriern wurden daraufhin als Vergeltungsschlag der Amerikaner zerstört. Israel greift iranische Tanker an, Iran greift israelische Tanker an. Iran sorgte laut Israel für die größte Umweltkatastrophe im Land seit Jahren. Die israelische Regierung wirft dem Iran vor, „Umweltterrorismus“ zu betreiben: Zwischen dem 1. und 2. Februar 2021 habe Iran absichtlich mehrere tausend Tonnen Rohöl von einem unter panamaischer Flagge fahrenden Tanker in seine Hoheitsgewässer abgelassen und damit mehr als 100 Meilen der Mittelmeerküste verschmutzt. Bisher wurden etwa tausend Tonnen schwarzer Teer und zahlreiche tote Tiere angespült. Die Strände sind seither gesperrt, Fischer dürfen ihren Fang nicht mehr verkaufen.

 

 

Im Iran ist nichts so, wie es scheint. Dazu zählt auch, dass der Iran das Land mit der pro-amerikanischsten Gesellschaft in der Region ist. Ein Land, in dem eine Frau vor dem Gesetz teilweise nur halb so viel wert ist wie ein Mann, aber 57 Prozent der Studierenden an Universitäten weiblich sind. Frauen müssen ihre Weiblichkeit unter Kopftuch, Mantel oder Schleier verstecken, und gleichzeitig ist der Make-up-Verbrauch nach Saudi-Arabien der höchste in der gesamten Region. Im Rahmen einer Studie wurden vor einiger Zeit 40 000 Iranerinnen und Iraner befragt, wie islamisch sie seien. Demnach verstehen sich 40 Prozent der Bevölkerung als muslimisch-schiitisch. Das heißt aber im Umkehrschluss, dass 60 Prozent das nicht tun. Das deckt sich recht genau mit meiner eigenen Einschätzung – die Mehrheit der Frauen würde vermutlich das Kopftuch ablegen, wenn sie es nicht mehr tragen müssten.

Ein Großteil der Bevölkerung ist sehr frustriert. Das Regime hat den Leuten immer wieder und jahrelang auf perfide Weise versprochen, dass sich etwas zum Besseren ändern, dass es mehr Freiheiten geben würde. Deshalb sind die Menschen immer wieder wählen gegangen. Vor allem, wenn Reformer im Rennen waren. Doch passiert ist nichts. Das macht die Mehrheit der Bevölkerung zornig. Wenn es das nächste Mal knallt, dann richtig.

Doch Protest im Iran heißt auch, das Risiko einzugehen, dafür mit dem Leben zahlen zu müssen. Denn die millionenstarke Basij-Miliz und die militante Revolutionsgarde sorgen dafür, dass eine Opposition im Land nicht entstehen kann.

Wenn der Unmut droht, außer Kontrolle zu geraten, wie zum Beispiel 2009, dann schlagen die Herrscher massiv zurück. Die Sicherheitskräfte scheuen nicht vor tödlicher Gewalt zurück. So war es auch 2019. Die Menschen, die auf den Straßen demonstrierten, wurden einfach erschossen. Bis zu 1500 Iraner sollen laut Reuters damals gestorben sein. Die Menschen wissen sehr genau: Protestieren sie in der Öffentlichkeit, sind sie in Lebensgefahr. Die Iraner und Iranerinnen, die auf Veränderungen drängen, sehen sich einer hochgerüsteten, zu allem entschlossenen Staatsmacht gegenüber. Für die Herrscher und ihre Schergen zählt ein Menschenleben nichts. Dabei ist der Einzelne so wichtig für das ganze Land. Das macht Israel deutlich. Aber im Iran hat keine Iranerin, kein Iraner dieses Gefühl: etwas zu zählen.

Jedes Mal, wenn ich mit meinen Kolleg:innen für die ARD einen Beitrag über die Zivilgesellschaft und ihre Sorgen und Ängste drehen wollte, war es für uns ein zermürbendes Katz-und-Maus-Spiel mit dem System, seinen Ministerien und Geheimdiensten. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute kontrollierten sie uns westliche Journalisten. Die Zwischentöne und geheimen Botschaften in meinen Beiträgen verstanden sie am besten. Sie hörten genau das, was ich eigentlich vermitteln wollte: Große Teile der Bevölkerung im Iran haben genug von der Islamischen Republik. Sie sind erschöpft, müde, aufgerieben vom Kampf ums Überleben in einem korrupten Staat.

Neben dem Kampf des Regimes nach außen und der Unterdrückung der Bevölkerung nach innen herrscht auch noch ein Machtkampf innerhalb der politischen Eliten. Der Iran ist keine homogene Diktatur, sondern eine hybride Form aus Autokratie und Demokratie. Jede Gruppe im System kämpft ums eigene Überleben. Die Machthaber der Islamischen Republik sprechen nicht von einer Diktatur, sondern, wie im Namen verankert, von einer Republik. Doch der Revolutionsführer, der an der Spitze des Machtsystems steht, kann durch die ihm untergeordneten ultrakonservativen Gremien die demokratischen Elemente jederzeit aushebeln – was permanent geschieht.

Und der Machtkampf tobt. Denn es geht um die Nachfolge des Revolutionsführers. Er ist alt und soll krank sein. Dass es nach seinem Tod besser werden könnte, diese Hoffnung hat die Zivilgesellschaft schon längst aufgegeben.

Im Iran wird im Juni 2021 ein neuer Präsident gewählt werden. Es wird höchstwahrscheinlich ein Hardliner werden, denn die Teile in der Bevölkerung, die an Reformen glauben, werden nicht zur Wahl gehen. Und das sind nicht wenige. Dann wird der loyale Rest wählen. Diejenigen, die hinter dem Regime stehen. Und auch das sind immer noch so viele, dass ein Umsturz schwer werden wird. Und wenn doch – dann blutig.

Die jüngsten Ankündigungen über neue Verhandlungen über das Atomabkommen zwischen Washington und Teheran in der kommenden Woche in Wien – mit China, Russland und der EU als Vermittlern – ist dann doch immerhin ein hoffnungsvolles Zeichen. Ein „wieder vollumfänglich respektiertes Abkommen“ (Heiko Maas) könnte auch zu einem Impuls für mehr Stabilität und friedliche Beziehungen in der Region insgesamt werden.

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