Das Eigentliche

Postskriptum

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Das Eigentliche

Postskriptum

Die deutsche Weltlage, wenigstens die Weltwahrnehmung in der Ampelkoalition im Frühjahr 2023, lässt sich in dieser einen Szene zusammenfassen: In einer der 31 Stunden Dauerverhandlung über die regierungsamtlichen Themen des Tages und „ganze Bündel an wichtigen Maßnahmen“ lesen die Grünen aus dem jüngst erschienenen Weltklimabericht 2023 des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen vor. (Wer es nicht mitbekommen hat: Die Lage ist ernst.) Vertreter der SPD und FDP verdrehen genervt die Augen. Belehrung verbittet man sich, schon aus Prinzip. Noch wichtiger, haben die Habecks und Baerbocks nicht verstanden, dass man sich im Koalitionsausschuss befindet, wo es nicht um irgendwelche Wirklichkeiten der Welt, zumal die eines leicht verdrängbaren Reports eines Expertinnenrates geht? Sondern um das Eigentliche, nämlich den Fortbestand der Ampel, die Umfragewerte der Liberalen, die Autobahn?

Ricarda Lang, Parteivorsitzende der Grünen, vervollständigte mit ihrem Befund, die Gespräche hätten so lange gedauert, da die drei Parteien stellvertretend für die unterschiedlichen Gruppen in der Bevölkerung Kompromisse ausverhandelt hätten, jene Beschreibung der deutschen Weltlage treffend. Einerseits rührend naiv hoffen die Grünen, mit Fakten über den Klimawandel das Land dazu zu bringen, mehr für die Umwelt zu tun, andererseits sind sie so hardcore pragmatisch, den sehr schlechten Kompromiss dem noch schlechteren vorzuziehen – und in der Regierung zu bleiben. Schlimmer geht immer.

Die FDP ist zwar getrieben nicht von globaler, sondern, eine Stufe höher, Parteiexistenzangst, aber vertritt gemäß des langschen Befundes auch eine Bevölkerungsgruppe, die an, aus ihrer Sicht, aufwendigen, unbequemen oder unnötigen Klimaschutzbemühungen schlicht kein Interesse hat. Und das ideologische Mantra der SPD lautet, das Volk nicht zu überfordern, koste es, was es wolle. Das politische, das Kanzleramt zu sichern.

Das ist die unbezwingbare Binnenlogik einer Dreierkoalition. Ihre Politik kann von abgebrühter Logik sein, maximal flexibel und sehr teuer – und zugleich von höherer demokratietheoretischer Stimmigkeit. Dazu kommt noch etwas deutsche Mutlosigkeit, Wohlstands­verwahrlosung und Verschlumpftheit. Mehr geht gerade nicht.

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