„Das größte Geschenk, das meine Eltern mir gaben, ist das Leben in einem freien, demokratischen Land“

Güner Balci über ihre neue Rolle „im Dienste der Demokratie“, erschreckende Feindseligkeit und die „Kritiker“ des Islams und des Christentums

13
03
SHUTTERSTOCK
13
03
SHUTTERSTOCK

„Das größte Geschenk, das meine Eltern mir gaben, ist das Leben in einem freien, demokratischen Land“

Güner Balci über ihre neue Rolle „im Dienste der Demokratie“, erschreckende Feindseligkeit und die „Kritiker“ des Islams und des Christentums

Der Hauptstadtbrief: Liebe Frau Balci, Sie sind als Filmemacherin, Journalistin und Buchautorin bekannt geworden. Seit August 2020 sind Sie Integrationsbeauftragte in Neukölln. Haben Sie die Seiten gewechselt und sind „in die Politik“ gegangen?

Güner Balci: Fast alles, was ich in meinem Leben bisher beruflich gemacht habe, war auch politisch. Als Journalistin und Filmemacherin habe ich immer aus einer bestimmten Haltung heraus gehandelt und Dinge dargestellt. Als Journalistin fühle ich mich dem Grundgesetz verpflichtet – als Integrationsbeauftragte ist das nicht anders. Jeder Film und jedes Buch von mir hat auch immer eine politische Wirkung gehabt. Gerade wenn es um die Reibungspunkte einer Einwanderungsgesellschaft geht, bleibt eine Kontroverse nicht aus. Ich bin aber nicht in die Politik an sich gegangen, sondern arbeite im Dienste der Demokratie für das Land Berlin. Parteipolitik ist da eher hinderlich, ähnlich ist es im Journalismus.

Wie verstehen Sie Ihr neues Amt? Was ist Ihr wichtigstes Ziel?

Mein wichtigstes Ziel ist, das Verbindende in dieser Gesellschaft zu suchen und zu fördern, ohne dabei den einzelnen Menschen in seinen Nöten, Zwängen und Wünschen aus dem Blick zu verlieren. Das größte Geschenk, das meine Eltern mir gaben, ist das Leben in einem freien, demokratischen Land.

Ich glaube, dass ich als Frau das nicht oft genug sagen kann: Diese Freiheit ist für mich der größte Reichtum und die kostbarste Errungenschaft. Es ist schön zu sehen, wie sehr sich Deutschland durch Einwanderung verändert. Gleichzeitig gibt es Reibungspunkte und Konflikte, die gelöst werden müssen, offen und gleichberechtigt. Genau Letzteres ist meine Baustelle.

Einwanderer – außer sie gehören zur gehobenen Schicht– müssen sich in jeder Gesellschaft erstmal hintenanstellen, so lautet das weltweite, ungeschriebene Gesetz. Wer arm ist und keinen Studienabschluss im Gepäck hat, der ist kein gern gesehener Gast. Diese verirrt kapitalistische Sicht auf Menschen gilt es zu überwinden. Denn das Verbindende ist das Streben nach Glück – gepaart mit einem gesunden Verantwortungsgefühl für ein friedliches Miteinander und der Bereitschaft, sich zu verändern, auch wenn das bedeutet, die eigenen Grenzen neu zu finden, kann uns das alle weiterbringen.

Wer nach dem Verbindenden sucht, darf aber auch nicht totschweigen, dass es Trennendes gibt. Das kann Rassismus sein, das kann aber auch eine offen gelebte feindselige Einstellung gegenüber demokratischen Werten sein.

Wie helfen Ihnen Ihre Erfahrungen aus den politischen Debatten, an denen Sie selbst beteiligt waren, etwa in der Diskussion über die Thesen Thilo Sarrazins?

Ich habe gelernt, dass viele Einwanderer und selbst ihre Kinder und Kindeskinder als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, noch immer nicht dasselbe Selbstverständnis haben, das jemand ohne eine offensichtliche Zuwanderungsgeschichte hat.

Ich habe auch gelernt, dass zu viele Bürgerinnen und Bürger ohne offensichtliche Zuwanderungsgeschichte – solche wie Thilo Sarrazin – erhebliche Defizite in ihrer Wahrnehmung von eingewanderten Menschen und deren Nachkommen haben. Beides ist stark ausbaufähig.

Sarrazin ist ein „Dieb“. Er hat die kritische Auseinandersetzung mit Themen der Einwanderungsgesellschaft nicht erfunden, er hat sie geklaut und in seinen literarischen Ergüssen reduziert, wie ein Trickbetrüger, der ein Rechenspiel vorführt, um am Ende immer beim Minus zu landen: Zu viele Türken im Land ist gleich zu viele Verluste. Der klassische nette deutsche Onkel von nebenan, der dem kleinen Ali gern zuguckt, wenn er ordentlich die Straße fegt, Alis Bruder Hassan aber am liebsten abschieben würde, weil der im Supermarkt klauen geht. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er zum Autor bei der Jungen Freiheit wurde. Vom SPD-Politiker zum Rechtsaußen-Streichler: Wenn das mal kein Absturz ist!

Mit sich stark unterscheidendem Zungenschlag haben Sie den Titel „Islamkritikerin“ bekommen. Damit wollen natürlich alle etwas anderes ausdrücken. Hat der Begriff einen Sinn oder sollten wir uns davon endgültig verabschieden?

Ich habe mich nie als Islamkritikerin begriffen und lehne dieses Etikett ab. Der kritische Diskurs ist mir immer eine große Freude. Ohne Kritik keine Entwicklung. Ich bin ein kritischer Mensch, es macht mir Freude, Dinge zu hinterfragen, ohne dafür bestraft zu werden. So habe ich es gelernt, und auch das ist eine Errungenschaft unserer freien Gesellschaft.

Ich nehme mir das Recht heraus, alles und jeden und jede zu kritisieren, da bleibt keine Weltanschauung, keine Religion, kein Mensch, kein Ding verschont.

In dieser Reihe hat der Islam für mich keinen Sonderplatz. Es ist immer den aktuellen Entwicklungen in unserer Gesellschaft geschuldet, was oder wer gerade besonders kritikwürdig ist. Der Begriff Islamkritik ist aber auch tatsächlich zu einem Brandmal für viele geworden, die sich für demokratische Werte einsetzen. Gleichzeitig ist er zum Kampfbegriff der Rechten mutiert. Allein schon deshalb ist er hinfällig.

In dieser Zuschreibung zeigt sich aber noch viel mehr: Wenn es um Verfehlungen der Kirche geht, um moralische Abgründe der Katholiken oder andere Skandale unterm Kreuz, dann gibt es das Wort Christentum-Kritiker nicht. Niemand bekommt den Titel Katholizismus-Kritiker verpasst, weil er oder sie überholte Rollenbilder hinterfragt oder gegen den Zölibat und für das Recht auf Abtreibung eintritt. Da ist man wieder unter sich. Der Islam ist exotisch, fremd und irgendwie unheimlich, mancher findet ihn gerade deshalb so spannend. Dabei ist er seit über einem halben Jahrhundert gelebte Religion in Deutschland. Allein schon deshalb sollte man sich ein wenig damit auskennen, auch wenn man sich selbst nicht als Muslim bezeichnet.

Im Gespräch mit Mariam Lau von der ZEIT haben Sie angedeutet, dass sich Ihr Blick auf die Bedeutung des Islams, wenn wir es einmal so allgemein verstehen, für die Integrationsarbeit positiv verändert hat. Wie kam es dazu? Und wie würden Sie dies heute beschreiben?

Ich würde nie behaupten, dass irgendeine Religion sich besonders positiv auf ein gutes Miteinander auswirkt. Und ich meine damit jetzt nicht engagierte Gläubige, die auf der Welt viel Gutes tun. Ich freue mich, wenn ich sehe, dass sich auch Religion positiv entwickeln kann, also stark nach außen gelebte religiöse Bekenntnisse sich dem Allgemeinwohl unterordnen können.

Religion, wenn sie nicht spirituell, privat verstanden wird, betont immer auch sehr stark das Trennende. Jeder Gott will besser als der andere sein, und auch der schlechteste unter ihnen ist immer noch besser als jede Frau – eine endlose Tragödie. Ich verstehe aber, weshalb Menschen dieses Gerüst brauchen, und ich versuche, mich in Toleranz zu üben, auch dann noch, wenn es die Grenzen meiner Überzeugung, etwa von Gleichberechtigung, stark überschreitet. Ja, auch konservative religiöse Einstellungen haben einen Platz in diesem Land.

Zu Beginn Ihrer Amtszeit gab es einige negative und ziemlich pauschal-oberflächliche Kommentare aus der Linkspartei und von den Grünen. Hat sich im ersten halben Jahr im Amt das Klima verbessert? Gab es Erkenntnisfortschritte, ein Aufeinanderzugehen?

Ich habe auch sehr großen Zuspruch von Linken- und Grünen-Politikern erfahren, das hat nur weniger Schlagzeilen gemacht.

Sie haben das ganz richtig beobachtet: Die Kritik, das waren oberflächliche Kommentare von Menschen, die sich gar nicht mit meiner Arbeit auseinandergesetzt, sondern falsch zitiert, aus dem Kontext gerissen und tatsächlich auch Lügen verbreitet haben. Aber es waren dann doch nur eine paar einzelne ideologisch angetriebene Irre, denen es vor allem darum ging, mir zu schaden. Sie haben aber dann genau das Gegenteil bewirkt. Die Öffentlichkeit hat mir gutgetan, und Menschen, die mich bis dahin noch nicht kannten, haben sich selbst ein Bild gemacht. Der Zuspruch und die Unterstützung waren und sind groß.

Zwar gibt es jetzt dank dieser Leute auch ein perfekt aufbereitetes salafistisches Hetzvideo gegen mich, aber auch das ist für mich einfach nur ein Zeichen mehr dafür, dass ich vieles ganz richtig mache. Es gibt tatsächlich Leute, die mich richtig hassen. Manchmal sitzen sie mir gegenüber im Beirat oder in einer Ausschusssitzung, und ich bin erstaunt über so viel Emotion von Fremden. Frau ist eben auch Projektionsfläche für alles Mögliche, das gehört, glaube ich, dazu, wenn Frau Haltung zeigt.

Die Fragen stellte Lutz Lichtenberger.

Weitere Artikel dieser Ausgabe