Den Stecker ziehen

Netzwerk der Lügen: Muss der Facebook-Konzern zerschlagen werden?

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MONTAGE: HSB
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Den Stecker ziehen

Netzwerk der Lügen: Muss der Facebook-Konzern zerschlagen werden?

Hinter Facebook-Chef Mark Zuckerberg liegt eine pechschwarze Woche. Gleich am Montag erlitt sein Konzern eine massive Störung: Für mehr als sechs Stunden waren Facebook, Instagram und WhatsApp offline. Nichts ging mehr.

Der Blackout verdeutlichte schlagartig, wie sehr Milliarden Nutzerinnen und Nutzer weltweit von dem US-Unternehmen in ihrer Kommunikation abhängig sind. Und aus diesem Grund kam er für Facebook auch zum denkbar schlechten Zeitpunkt. Denn nur einen Tag nach der Störung stand die ehemalige Facebook-Mitarbeiterin Frances Haugen vor dem US-Senat Rede und Antwort. Als Teamleiterin der Einheit „Civic Integrity“ war die 37-Jährige bis vergangenen Mai bei dem Konzern dafür zuständig, Falschinformationen, Gewaltaufrufe und Hassrede einzudämmen. Als sie jedoch erkannte, dass Facebook dieses Anliegen intern weit weniger ernst nimmt als das eigene Profitstreben, ging sie an die Öffentlichkeit: Gemeinsam mit dem Wall Street Journal veröffentlichte die Whistleblowerin in den vergangenen Wochen die Facebook Files, eine Artikelserie über das skrupel- wie rücksichtslose Geschäftsgebaren ihres ehemaligen Arbeitgebers.

Haugens Anschuldigungen sind in der Sache zwar wenig überraschend, wiegen aber dennoch schwer. Denn sie beruhen erstmals auf Informationen, die dem tiefsten Inneren des Facebook-Konzerns entstammen und damit dessen eigene PR gleich mehrfach Lügen strafen. Deshalb ist auch das von Facebook verbreitete Narrativ, wonach der Konzern eine harmonisch miteinander verbundene Welt anstrebe, endgültig in sich zusammengebrochen.

Zum Ende dieser ereignisreichen Woche lassen sich damit drei zentrale Schlussfolgerungen ziehen.

Erstens: Facebook verdient sein Geld nicht nur wissentlich mit toxischen Produkten, sondern erhöht auch regelmäßig die Giftdosis – zum Schaden seiner Nutzer, des öffentlichen Diskurses und der Demokratie.

Die von Haugen ans Licht gebrachten Studien belegen, dass Instagram bei Teenagern die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper verstärkt. Die Folgen sind unter anderem Depressionen, Essstörungen und Angstzustände. Und obwohl der Konzern dies weiß, hat er keinerlei Korrekturen an Instagram vorgenommen. Vielmehr lässt er es sogar aus Profitgründen zu, dass Anzeigenkunden die erkrankten Jugendlichen gezielt umwerben.

Im Facebook-Netzwerk hat der Konzern hingegen den News Feed so angepasst, dass dieser die Stimmung unter den Nutzern gezielt anheizt. Denn nur dann steigen auch Klickzahlen und Interaktionen – und sie sind die goldene Währung für Facebooks Anzeigenkunden. Aus diesem Grund geht Facebook offenbar auch – anders als vom Konzern behauptet – nur gegen einen winzigen Bruchteil der Hassrede, Gewalt und Hetze auf seinen Plattformen vor.

Die Folgen sind dramatisch: Facebook habe damit nicht nur die Impfskepsis in der Coronakrise erhöht, so Haugen, sondern trage auch eine Mitschuld an der Erstürmung des Kapitols in Washington Anfang Januar. Seiner gesellschaftlichen Verantwortung habe sich der Konzern damit klar entzogen: „Wenn unsere Umgebung aus Informationen besteht, die polarisieren, die wütend machen, dann führt das zu Vertrauensverlust in unser Gegenüber. Diese Version von Facebook zerreißt unsere Gesellschaft und verursacht Gewalt in der Welt“, so das Fazit der Whistleblowerin.

Zweitens: Facebook hat keinerlei Interesse daran, an den Missständen etwas zu ändern. Ganz im Gegenteil.

Nach jedem Skandal der vergangenen Jahre versprach Zuckerberg Aufklärung und Transparenz. Es waren hohle Worte, wie sich nun deutlicher denn je zeigt.

Zum einen sabotiert Facebook systematisch jeden Versuch, von außen Licht ins Dunkel des Konzerns zu bringen. Im April löste das Unternehmen beispielsweise das Team des von ihm im Jahr 2016 aufgekauften Analysedienstes CrowdTangle auf. Mit Hilfe des Dienstes können Marketingabteilungen jene Inhalte ermitteln, die in sozialen Medien die größte Resonanz erzeugen. Journalisten und Wissenschaftlerinnen nutzten CrowdTangle hingegen dazu, um den Einfluss von Verschwörungserzählungen und Hassrede in dem Netzwerk zu untersuchen. Dem Facebook-Management missfiel das, es zog den Aufklärern kurzerhand den Stecker.

Im August deaktivierte das Unternehmen außerdem die Facebook-Konten unabhängiger Forscherinnen und Forscher des Center for Cybersecurity an der New York University. Sie hatten ebenfalls die Ausbreitung von Fake News auf der Plattform untersucht und konnten dabei nachweisen, dass Facebook eigene Zahlen schönt. Nur wenig später darauf sah sich die deutsche Nichtregierungsorganisation AlgorithmWatch nach einer Klagedrohung von Facebook ebenfalls genötigt, ihr Forschungsprojekt zu Instagram einzustellen.

Zum anderen versucht der Konzern mit allen Mitteln, das eigene Image innerhalb seiner Netzwerke aufzupolieren. Dazu verbannt er gezielt negative Meldungen über sich selbst aus den News Feeds der knapp drei Milliarden Nutzerinnen und Nutzer. Darüber hinaus rief Zuckerberg erst vor wenigen Wochen das „Project Amplify“ ins Leben, das die unternehmenseigene PR in die Nachrichtenströme des Netzwerks pumpen und vor allem den Konzernchef in ein besseres Licht rücken soll.

Eben dafür legt der Konzern auch mal immense Geldsummen auf den Tisch: Wie vor wenigen Tagen ebenfalls bekannt wurde, zahlte Facebook der US-amerikanischen Federal Trade Commission vor gut zwei Jahren sage und schreibe 4,9 Mrd. US-Dollar mehr als nötig, um Zuckerbergs Namen aus den Ermittlungsakten zum Cambridge-Analytica-Skandal zu tilgen. Mit der zugesagten Aufklärung und Transparenz haben solche Deals äußerst wenig gemein.

Drittens: Die Ereignisse der vergangenen Tage deuten darauf hin, dass der Konzern endgültig überreizt hat und die Geduld auf Seiten der Politik aufgebraucht ist.

Seit der Gründung von Facebook im Jahr 2004 wiederholt Mark Zuckerberg gebetsmühlenartig, dass soziale Netzwerke durchaus negative Auswirkungen haben könnten, bei Facebook unterm Strich aber das Positive überwiege und das Unternehmen fortan noch härter daran arbeiten werde, Schaden von seinen Nutzerinnen und Nutzern abzuwenden.

Diese Erzählung ist nun aus dem eigenen Haus heraus als glatte Lüge entlarvt worden. Stattdessen rückt in den USA ein anderes Bild in den Vordergrund: Dort vergleichen Politiker Facebook zunehmend mit den großen Tabakunternehmen. Wie sie verbreite auch der Techkonzern wissentlich ein Produkt, dass der Gesundheit schade, lautete etwa der Vorwurf des demokratischen Senators Ed Markey. Demnach sei Instagram „diese erste Zigarette der Kindheit“, die Heranwachsende frühzeitig abhängig machen solle, so Markey weiter.

Für Facebooks PR-Abteilung ist dieser Vergleich fatal. Hastig legte der Konzern seine langgehegten Pläne auf Eis, ein „Instagram for Kids“ einzuführen. Doch es half nichts: Demokraten und Republikaner kündigten inzwischen parteiübergreifend an, weitere Anhörungen zu Haugens Enthüllungen durchführen zu wollen. Zudem legten Senatoren beider Seiten bereits Gesetzesentwürfe vor, die den Plattformen strengere Regeln zum Schutz von Kindern auferlegen. Immerhin hat Facebook so dazu beigetragen, die abgrundtiefen Gräben in der amerikanischen Parteienpolitik zu überbrücken.

Die nun diskutierten Reformen werden allerdings bei weitem nicht ausreichen, um den Konzern zu bändigen. Denn die Ursachen der Missstände bei Facebook liegen tief in den Unternehmensstrukturen: in der Unternehmenskultur, im Netzwerkdesign und in den kommerziellen Zwängen. Beseitigen lassen sie sich am Ende daher möglicherweise nur, indem man dem Facebook-Monopol beherzt seine Giftzähne zieht – und es zerschlägt.

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