Der Befehl, keinen Krieg zu führen

20 Jahre Afghanistaneinsatz – oder vom Sinn und Unsinn der Out-of-Area Operations

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PICTURE ALLIANCE/CARSTEN REHDER/DPA
Die ersten 13 Jahre: International Security Assistance Force. (Es ging noch weiter)
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Die ersten 13 Jahre: International Security Assistance Force. (Es ging noch weiter)

Der Befehl, keinen Krieg zu führen

20 Jahre Afghanistaneinsatz – oder vom Sinn und Unsinn der Out-of-Area Operations

Alles schien gut im Januar 2002. Die Bundesrepublik hatte sich nach den Anschlägen von 9/11 mit den Vereinigten Staaten solidarisch gezeigt, die erste Afghanistankonferenz auf dem Petersberg ausgerichtet und beteiligte sich nun mit eigenen Soldaten sowohl an der ISAF- als auch an der OEF-Mission.

Nach 25 Jahren Krieg und der Schreckensherrschaft der Taliban stellte niemand in Zweifel, dass es geboten war, sich am Hindukusch zu engagieren. Doch nach ruhigem Beginn verlief der Einsatz ganz anders als in Bosnien oder im Kosovo, wo die Intervention der westlichen Staatengemeinschaft die Gewalt beendet und den Frieden gesichert hatte. In Afghanistan konnte sich die Bundeswehr nach einigen Jahren nicht mehr damit begnügen, in offenen Jeeps durch die Gegend zu fahren und darauf zu hoffen, dass sich alles von allein regeln würde. Sie musste kämpfen und töten – und konnte doch nicht für dauerhafte Stabilität sorgen.

Hoffnungsvoller Beginn

Was so hoffnungsvoll am 1. Januar 2002 mit der Ankunft der ersten deutschen Offiziere auf dem Flughafen Kabul begann, ging am 30. Juni 2021 mit der Rückkehr der letzten Soldaten zu Ende. Angesichts der nun drohenden erneuten Machtübernahme der Taliban mangelt es nicht an kritischen Stimmen, die darauf hinweisen, dass der Westen gescheitert sei. Andere verteidigen das Engagement, weisen zu Recht darauf hin, dass Afghanistan heute ein anderes Land ist als 2001, dass es erhebliche Fortschritte im Ausbau von Bildung und Infrastruktur gab und dass Al-Qaida aus dem Land verdrängt wurde.

Im Nachhinein ist es natürlich immer leicht, Kritik zu üben. Aus außenpolitischen Gründen war es für die damalige Bundesregierung unumgänglich, sich in Afghanistan zu engagieren. Allerdings: Derart strategielos in den Einsatz gestolpert zu sein, bleibt ein schweres Versäumnis – trotz aller politischen Zwänge und gut gemeinter Absichten. Den Ressorts blieb es damals selbst überlassen, was sie vor Ort zu tun gedachten. Eine Koordinierung gab es nicht. Entgegen dem deutschen Selbstbild als Zivilmacht hielten sich Auswärtiges Amt, Entwicklungshilfeministerium (BMZ) und Innenministerium (BMI) anfangs auffallend zurück. Die Soldaten sollten es richten.

Allerdings: Brauchte man in der Anfangszeit nicht viel mehr zivile Kräfte? Während die Bundeswehr mit vielen hundert Männern und Frauen anrückte, begannen 2002 gerade einmal 16 Beamte mit dem Aufbau der afghanischen Nationalpolizei. Die Logik des Einsatzes wurde nie vom Impact vor Ort bestimmt. Stattdessen ging es darum, außenpolitisches Kapital zu gewinnen und dabei möglichst wenig innenpolitisches Porzellan zu zerschlagen. Ob ein koordinierter und ergebnisorientierter Einsatz aller Ressorts am Endergebnis etwas Grundlegendes geändert hätte, kann man trefflich bezweifeln.

Es lag nicht in der Hand der Bundesregierung, die ISAF-Operation zum Erfolg zu führen – dafür waren die Herausforderungen zu groß. Allerdings muss sich Berlin an den eigenen Ansprüchen von good governance messen lassen. Wer planlos und unkoordiniert in einen Einsatz schlafwandelt, wer vor den Realitäten jahrelang die Augen verschließt, wer Soldaten in einen Krieg schickt, ihnen aber befiehlt, keinen Krieg zu führen, der darf sich nicht wundern, wenn die politischen Kollateralschäden im In- und Ausland erheblich sind. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die vertikale Kohäsion zwischen Bundeswehrsoldaten einerseits und der politischen Führung andererseits hat über die Jahre des Afghanistaneinsatzes massiv gelitten. Dienen durch Einsicht war kaum mehr möglich, und dafür tragen Regierung und Parlament in erster Linie die Verantwortung.

Da es bald an überzeugenden und ehrlichen Erklärungen für den Einsatz mangelte, kann auch die weitverbreitete Kritik der Bevölkerung an Auslandseinsätzen nicht überraschen. Wie soll man Missionen unterstützen, wenn der Sinn nicht einleuchtet? Die Bundesregierungen haben sich selbstverschuldet in einen Teufelskreis hineinmanövriert: Je größer die Skepsis der Bevölkerung gegenüber der ISAF-Operation wurde, desto mehr wurden die Dinge schöngeredet und desto weniger überzeugten die Erklärungen.

Eine Schlussfolgerung aus dem Dilemma war, Kampfeinsätze künftig um jeden Preis zu vermeiden. Aber auch das ist kein Königsweg, denn das Nichthandeln kann ebenfalls schlimme Folgen haben, wie in Syrien zu beobachten war. Das bedeutet im Umkehrschluss natürlich nicht, immer und überallhin Soldaten zu schicken. In Afghanistan hätte deutlich mehr ziviles Engagement gerade zu Beginn der Mission segensreich wirken können, und man kann fragen, warum Deutschland die Provincial Reconstruction Teams nicht – so wie die Türkei – unter ziviles Kommando stellte. Die Konsequenz kann nur sein, sich je nach Situation aus dem sicherheitspolitischen Instrumentenkasten zu bedienen und nichts von vorneherein auszuschließen.

Besonders misslich ist, dass die Bundesrepublik aus der Erfahrung des Afghanistaneinsatzes wenig gelernt hat, wie sich aktuell in Mali zeigt: Die Bundeswehr wird aus außenpolitischen Gründen in eine Auslandsmission geschickt, deren Aufgaben aber nicht von den Notwendigkeiten vor Ort, sondern von der Innenpolitik bestimmt werden. Eine wirkliche Verbesserung für Mali ist schon aufgrund dieses Strukturfehlers kaum zu erreichen. Auch in Zukunft werden die meisten Out-of-Area-Operationen hinter den Erwartungen zurückbleiben, wenn die Bundesregierung nicht endlich zu einem umfassenden, alle Ressorts koordinierenden Ansatz findet, dem eine ehrliche Lageanalyse vorangehen muss. Es ist hohe Zeit, dazu die Strukturen zu schaffen.

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