Der Vizekanzler schaut zur Seite

Wie Olaf Scholz einmal auf die Wirklichkeit traf

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DPA/WOLFGANG KUMM
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Der Vizekanzler schaut zur Seite

Wie Olaf Scholz einmal auf die Wirklichkeit traf

Corona. Die Wirtschaft steht still. So auch das Telefon von Sven Wegener, Inhaber eines Friseursalons. Die Überbrückungshilfen decken nicht die Fixkosten seines Unternehmens, die Grundsicherung reicht nicht für die laufenden Kosten. Unsicherheit, Zukunfts- und Existenzängste sind für Wegener seit einem Jahr knallharte Realität ohne Aussicht auf ein Ende. Und damit ist er nicht alleine. Auch für andere Betriebe ist die Lage brenzlig.

Um die Probleme und Unsicherheiten der Friseure und Kosmetiker der Politik näherzubringen, organisierte die Handwerkskammer ein Online-Meeting mit dem Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz. Dort sollten die Probleme auf den Tisch gelegt werden.

Mit einiger Hoffnung auf Verbesserungen nahm auch Wegener teil. Mit Stift und Papier bewaffnet, hoffte er auf Antworten. Wie sollte es weitergehen? Warum deckt die Grundsicherung in seinem Fall nicht die Kosten?

Auch Mandy Rechenberger, Obermeisterin der Kammerbezirke Frankfurt-Oder und Cottbus und Inhaberin eines Kosmetikstudios wurde eingeladen und nahm an dem Online-Meeting teil. Ihre Erwartungen? Keine großen. Und damit sollte sie (leider) recht behalten.

Statt auf Verständnis und Antworten trafen die Teilnehmer auf einen Olaf Scholz, der Fragen zumeist auswich und sich scheinbar in vielen Punkten einfach nicht so recht auf die Wirklichkeitsbeschreibungen der Betroffenen einlassen wollte. Während ihm Fragen gestellt wurden, schaute er immer wieder zur Seite und schien jemandem neben sich mehr seiner Aufmerksamkeit zu schenken. Da kam schon mal die Frage: „Hört Olaf Scholz überhaupt noch zu?“ Auch schien sich der Vizekanzler vor dem Gespräch nicht informiert zu haben, was das Berufsbild eines Kosmetikers überhaupt ausmacht. Er betonte, dass ihm die Bedeutung der Kosmetiker bewusst sei, er würde ja auch vor Fernsehauftritten davon Gebrauch machen.

Spätestens an dieser Stelle dürften wohl alle Kosmetiker und auch Friseure die Hoffnung aufgegeben haben, das Gespräch könnte etwas bewirken.

Auch Wegener wollte auf seine Situation aufmerksam machen und hakte nach, warum die Grundsicherung nicht alles bei ihm abdecke, wie Olaf Scholz immer wieder behaupte. Eine hilfreiche Antwort bekam er leider nicht. „Nun kenne ich nicht jedermanns Lebensstil“, war die einzige Aussage, und eine Auflistung, was übernommen wird.

Rechenberger versuchte ebenfalls, Olaf Scholz mit der Wirklichkeit zu konfrontieren, und machte deutlich, dass nicht alles optimal liefe. Sie müsse an ihre Rente, ihr Erspartes, einer Kollegin sei das Haus als Wert angerechnet worden. Scholz ging darauf nicht ein, stattdessen behauptete er, viele Dinge seien Gerüchte und würde andere davon abhalten, selbst die Anträge zu stellen.

Natürlich machte Scholz deutlich, dass die Regierung helfen möchte und auch versucht habe, Barrieren zu beseitigen. Er betonte mehrmals, dass bisher schon viel Geld für Hilfen ausgegeben worden und das auch der richtige Weg sei. Was aber, wenn darauf aufmerksam gemacht wird, dass immer noch Schwierigkeiten vorhanden sind? Sollten diese nicht ernst genommen, nach Lösungen gesucht werden?

Immerhin bot Scholz den Teilnehmern schließlich an, ihm ihre Probleme persönlich via E-Mail zu schildern, damit er den Dingen auf den Grund gehen könne. Auch muss man ihm anrechnen, dass er sich den Fragen überhaupt gestellt und sich die Zeit für das Treffen genommen hat. Nur, leider scheint er die Chance, die Probleme der Betriebe und deren Schwierigkeiten in der Praxis richtig zu verstehen, nicht richtig genutzt zu haben.

Handelt es sich um ein typisches Symptom der bürokratisch-lebensfernen Maßnahmen gegen die Pandemie? Könnte eine zupackendere Politik Menschen und Wirtschaft besser helfen, vor allem jenen in kleinen Betrieben – und so schließlich auch zu mehr Stimmen im Herbst verhelfen?

Die vollständige Konferenz kann online angesehen werden.

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