Die Stille nach dem Stuss

@RealDonaldTrump hat erst mal Sendeschluss. Und doch: Müssen die Internetmonopolisten reguliert werden?

16
01
PICTURE ALLIANCE/IMAGE SOURCE | DENISE DESIGN
Mehr Tweeds wagen
16
01
PICTURE ALLIANCE/IMAGE SOURCE | DENISE DESIGN
Mehr Tweeds wagen

Die Stille nach dem Stuss

@RealDonaldTrump hat erst mal Sendeschluss. Und doch: Müssen die Internetmonopolisten reguliert werden?

Über mehrere Jahre hat sich die Beziehung zwischen Twitter und Trump zu beiderseitigem Nutzen gestaltet. Trump hat Twitter Millionen Follower zugeführt und den Umsatz der Firma gesteigert; Twitter hat im Gegenzug Trump ein Forum geboten, um als Präsident an allen Regierungsstellen vorbei in geradezu diktatorischer Manier Verträge aufzukündigen, militärische Maßnahmen einzuleiten, Karrieren zu beenden und den Stab über Menschen zu brechen.

Risse entstanden in dieser wechselseitigen Nutznießerschaft, als Twitter sich im vergangenen Frühjahr erstmals veranlasst sah, einen von Trump abgesetzten Tweet über die angebliche Betrugsanfälligkeit von Briefwahlen mit einem Warnhinweis zu versehen. Dadurch fand sich Trump in seiner Meinungsfreiheit beschnitten. Von da an drohte er damit, Twitter und anderen digitalen Netzwerken ihren speziellen Rechtsstatus zu entziehen, der sie als Plattformen im Unterschied zu Verlagen von der Haftung für die auf ihnen publizierten Inhalte freistellt. Sobald ein Dienst wie Twitter Äußerungen bewertet und womöglich unterdrückt, so lautete das Argument, stellt er kein neutrales Forum mehr dar, sondern arbeite wie eine Redaktion, die für Falschmeldungen juristisch belangt werden könne.

Die Logik dieser Auseinandersetzung war allerdings insofern etwas verknäult, als Trump ja gerade die Warnung vor seinen fake news zum Anlass nehmen wollte, um Internetdienste für die Verbreitung von fake news haftbar zu machen.

Inzwischen hat sich die Situation umgedreht: Nicht Trump reguliert Twitter, sondern Twitter hat Trump abgeschaltet. Dieser Schritt ruft auch bei Gegnern des noch amtierenden Präsidenten gemischte Gefühle hervor. Darin zeigt sich ein grundsätzliches, über die Tagespolitik hinausreichendes Dilemma. Denn es gibt gute, nicht bloß geschäftliche Gründe dafür, dass privatwirtschaftliche Onlineplattformen bis vor Kurzem davor zurückgescheut sind, sich als Schiedsrichter oder gar Zensoren aufzuspielen. Wenn sie sich jedoch andererseits weiter der Illusion hingeben, Foren einer freien, ungehinderten Meinungsvielfalt zu sein, werden sie mitverantwortlich für die massenhafte Verbreitung von Hetze und Propaganda.

Die sogenannten sozialen Medien halten sich zugute, die Teilhabe am politischen Geschehen zu demokratisieren. Sie senken die Hürde für eine Mitwirkung am öffentlichen Diskurs durch Personen und Schichten, die in der kuratierten Öffentlichkeit der klassischen Medien zu keiner eigenen Stimme gelangten.

Zugleich mindern sie so die Lenkungsmacht professioneller Verlautbarungsautoritäten, die sich nach ihrem herkömmlichen Rollenverständnis nicht nur als gatekeeper zu Zeitungen und Sendeanstalten, sondern auch selbst als Repräsentanten der öffentlichen Meinung, ja, mehr noch: der öffentlichen Vernunft betrachten. Auf eine kurze Formel gebracht: Die partizipative zieht eine Krise der repräsentativen Öffentlichkeit nach sich. Aber wer steht dann noch für die Normen des Erlaubten und Sagbaren ein?

Es lohnt sich, historische Vergleichsfälle heranzuziehen. Denn in mancher Hinsicht wiederholt sich heute nur, was in anderen mediengeschichtlichen Umbruchphasen schon einmal ganz ähnlich ablief. Neben die Diskursmacht der Etablierten treten dann andere Kanäle und Rollenprofile, bilden sich neue Weisen zu sprechen und zu appellieren heraus, die innerhalb kürzester Zeit ein hohes Maß an sozialer Erregung entfachen.

Vor allem zwei historische Parallelen springen ins Auge: zum einen die Reformationszeit mit ihren durch Verbreitung des Buchdrucks schnell und günstig zu vervielfältigenden Flugschriften, Sendschreiben oder Predigten, zum anderen die Epoche der europäischen Aufklärung mit ihrer massenhaften, teils in hohem moralischem Ton gehaltenen, teils ins Vulgäre ausschlagenden Publizistik, die den Gärstoff der Französischen Revolution bildete.

In allen genannten Fällen kommt es zu einem Angriff auf bis dahin bestehende Informations- und Wahrheitsmonopole. Eine neue, mit zunehmendem Sendungsbewusstsein ausgestattete Kommunikationselite wächst heran, die sich besser als das bisherige Establishment darauf versteht, die veränderten Breitenmedien zu nutzen. Als Instrumente der Selbstermächtigung sind sie für Bevölkerungsgruppen attraktiv, deren Anliegen bis dahin nur eine geringe öffentliche Aufmerksamkeit fanden. Vor allem bieten sie sich an, um einer bis dahin unartikuliert gebliebenen Empörung Luft zu verschaffen.

Vor diesem Hintergrund erscheint der Disput um die social media, wie er heute geführt wird, lediglich als Aktualisierung einer periodisch wiederkehrenden Konstellation. Übrigens sind die betreffenden Debatten auch in ihrem Ablauf vergleichbar. Anfangs lösen die medientechnischen Innovationen regelmäßig einen utopischen Überschwang aus, nähren die Hoffnung auf eine direktere Verbindung zu Gott, zum Wissen, zur Wahrheit, zur Macht. Bald aber wächst die Einsicht in die zerstreuenden und dysfunktionalen Effekte des jeweils neuen Mediennutzungssystems und vor allem das Erschrecken über ein plötzlich zutage gefördertes Unmaß an Misstrauen und Ressentiment.

Vor allem wird erkennbar, dass die Verallgemeinerung der Kommunikationsmittel keineswegs einen gleichmäßigeren Zugang zur Wahrheit nach sich zieht. Stattdessen bilden sich neue, oft radikalisierte Meinungskartelle, die in der durch den Medienpluralismus entfesselten Konkurrenz um Aufmerksamkeit zu immer größerer Militanz neigen. Früher oder später steht deshalb das Erfordernis im Raum, einen Ersatz für die normwahrenden Instanzen der vorhergehenden Diskursordnung zu finden.

Das kennzeichnet die aktuelle Situation. Im Zeitalter von Big Data werden allerdings weder strittige Einzelmaßnahmen noch der Rückgriff auf herkömmliche Formen redaktioneller Kontrolle ausreichen – so wünschenswert die Einführung eines digital code of conduct oder eines Oversight Board, wie es Facebook plant, sein mag. Der Eingriff muss tiefer gehen und in das Geschäftsmodell der Internetmonopolisten eingreifen. Denn deren Algorithmen begünstigen es, dass sich sensationsheischende Lügen pandemisch ausbreiten und eine Eigendynamik entwickeln, die zivilgesellschaftlich nicht mehr zu bändigen ist – mit Trump oder ohne ihn.

Weitere Artikel dieser Ausgabe