Ein absurder Mann

Donald Trumps Justizminister William Barr tritt ab – keinen Tag zu früh

19
12
PICTURE ALLIANCE/ABACA | POOL-ABACA
19
12
PICTURE ALLIANCE/ABACA | POOL-ABACA

Ein absurder Mann

Donald Trumps Justizminister William Barr tritt ab – keinen Tag zu früh

Als William Barr Anfang dieses Monats den unsinnigen Behauptungen von Präsident Donald Trump in Bezug auf einen groß angelegten Wahlbetrug öffentlich widersprach, konnte man seine Haltung durchaus prinzipientreu nennen. Diese Positionierung Barrs erfolgte aber erst, nachdem er nahezu zwei Jahre lang der amerikanischen Öffentlichkeit Lügen auftischte, das Gesetz bis weit über ein vernünftiges Maß hinaus bog, traditionelle Normen und Grundsätze des Justizministeriums mit Füßen trat und das Justizministerium auf aggressive Weise für Trumps politische Agenda nutzte. Wir sollten uns in Bezug auf sein Vermächtnis nicht täuschen lassen: Wie kein anderer in jüngster Vergangenheit hat Barr dem Justizministerium Schaden zugefügt und es somit geschwächt.

Rückblickend betrachtet, konnte man durchaus erkennen, wer Barr war, bevor er diese Aufgabe übernahm, als er auf eigene Initiative hin einen Brief an das Justizministerium verfasste und darin bereits vorab die Vorwürfe zur Behinderung der Justiz in den Ermittlungen Robert Muellers vorverurteilte, die er einen auf „vollkommen falschen Voraussetzungen“ basierenden Vorgang bezeichnete. Und in der Tat verdrehte Barr letztlich Muellers Feststellungen gegenüber der Öffentlichkeit derart, dass der normalerweise eher reserviert wirkende Mueller drastische Maßnahmen ergriff und einen Brief veröffentlichte, in dem er Barrs Vorgehen deutlich benannte. Darin merkte Mueller an, Barrs Schreiben „erfasse nicht vollumfänglich den Kontext, das Wesen und den Inhalt der Arbeit und der Schlussfolgerungen dieses Ministeriums.“

Ein Bundesrichter, der von einem Disput über die Veröffentlichungen durch das Justizministerium zum Mueller-Report hörte, stimmte zu und befand, dass Barrs öffentliche „Inkonsistenzen“ mit dem Mueller-Report „das Gericht dazu veranlasse, ernsthaft in Frage zu stellen, ob Justizminister Barr im Rahmen des Mueller-Reports einen berechneten Versuch der Einflussnahme in den öffentlichen Diskurs zugunsten Präsident Trumps unternahm …“. Der Richter erwähnte bewusst Barrs „Mangel an Aufrichtigkeit“, was wiederum „die Glaubwürdigkeit von Justizminister Barr infrage stelle“.

Zwar scheiterte Barr in seinen Bemühungen zum Mueller-Report, sozusagen als seine Erbsünde, sein Vorgehen war jedoch nur der Auftakt. Während seiner Amtszeit mischte sich Barr in politisch brisante Fälle ein und schwächte so die Staatsanwälte seines eigenen Justizministeriums. So bemühte er sich punktuell um eine unvertretbare Nachsicht gegenüber Trumps politisch Verbündeten Roger Stone und Michael Flynn.

Im Rahmen der Ukraine-Affaire, die zu einer Amtsenthebungsklage gegen Trump führte, lehnte Barr Untersuchungen zu potenziellem Fehlverhalten ab. Und unter seiner Leitung autorisierte das Justizministerium ein absurdes Memo, welches den Kongress und die Öffentlichkeit davon abhalten sollte, überhaupt jemals etwas über die vom Informanten erhobenen Vorwürfe zu erfahren.

Barr entließ den US-Anwalt für den Southern District of New York Geoffrey Berman, der an laufenden Ermittlungen zu Trumps nahestehenden Personen beteiligt war, und behauptete öffentlich irreführenderweise zunächst, Berman würde freiwillig „zurücktreten“ (was Berman umgehend dementierte).

Jenseits dieser höchst entscheidenden Exempel für sein gesetzeswidriges Verhalten, würdigte sich Barr, und mit ihm das Justizministerium, in treuer Gefolgschaft zu Trump, stets herab. Barr versuchte zu erreichen, dass das Justizministerium in dem durch E. Jean Carroll erlangten Zivilverfahren Trumps rechtliche Vertretung übernehmen sollte. Wirkungsvoll argumentierte Barr, es gehöre zu den Amtspflichten eines Präsidenten, sich gegen eine Frau zu wehren, die ihm sexuelle Übergriffe vorwerfe. Ein Bundesrichter wies Barrs rechtliche Argumentation umgehend zurück.

Zur Ausrichtung einer opulenten Weihnachtsfeier im Jahr 2019 buchte Barr ein Trump-eigenes Hotel für mindestens 30 000 US-Dollar. (Einem Mitarbeiter im Justizministerium zufolge sei die Party keine offizielle Veranstaltung des Justizministeriums gewesen, und Barr habe diese aus eigener Tasche bezahlt.)

Zudem verglich Barr tausende von engagierten, staatstreuen amerikanischen Staatsanwälten – Herzstück und Seele des Justizministeriums – mit Kindern in einem „Montessori-Kindergarten“, würdigte sie damit herab und stellte ihre Kompetenz infrage.

Sogar in den Monaten vor der Wahl betete Barr gedankenlos Trumps verantwortungslose Behauptungen in Bezug auf einen potenziellen massiven Wahlbetrug nach. Gegenüber den Medien und gegenüber dem Kongress äußerte sich der Generalstaatsanwalt in völlig übertriebenem Maße über mögliche Wahlfälschungen, bot jedoch in diesem Zusammenhang augenfällig keinerlei überzeugende oder verlässliche Nachweise. Er beschuldigte den mutmaßlichen linken politischen Flügel, extremistische Gruppierungen um die sogenannte Antifa, für die weit verbreitete Gewalt verantwortlich zu sein, war jedoch auffallend unwillig, die extremistische Bedrohung durch die politische Rechte anzuerkennen – und blieb so im Einklang mit Trumps Wahlrede auf dessen Wahlkampftour.

Erst als kürzlich klar wurde, dass Trumps Tage (und damit seine eigenen) im Amt gezählt waren – zeigte Barr einen Anflug von Integrität, als er Trumps falschen Behauptungen in Bezug auf einen groß angelegten Wahlbetrug öffentlich widersprach. Zwar verdient Barr Anerkennung dafür, dass er sich nun auf diese Weise äußert, aber dieser Wandel kann in keiner Weise als Ausgleich für sein töricht hohes Maß an Unehrlichkeit oder Korruption verstanden werden, noch macht diese Positionierung sein Handeln in der Vergangenheit ungeschehen.

Ein wesentlicher Faktor ist, dass Barr, der als Staatsanwalt niemals einen Fall verhandelt hat, keinerlei Wertschätzung für die Grundprinzipien zeigte, die garantieren, dass das Justizministerium eine einzigartige Bastion der Unabhängigkeit ist. Er bemühte sich nicht darum, Gerechtigkeit walten zu lassen, das amerikanische Volk zu schützen oder den Amerikanern zu dienen. Stattdessen verbrachte Barr seine Amtszeit als Justizminister damit, die Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit des Justizministeriums im Dienste Donald Trumps zu untergraben. Das Justizministerium wird sich zweifellos rechtzeitig wieder erholen. Aber es wird noch viele Jahre dauern, bis der enorme Schaden, den Barr angerichtet hat, repariert ist.

Aus dem amerikanischen Englisch von Nicoline Brodehl.

Weitere Artikel dieser Ausgabe