Eskalation auf Bestellung

Der türkische Präsident verbindet innenpolitische Willkür mit außenpolitischen Abenteuern

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IMAGO/RAPLPH PETERS
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Eskalation auf Bestellung

Der türkische Präsident verbindet innenpolitische Willkür mit außenpolitischen Abenteuern

Vor fünf Jahren geriet die Türkei in gefährliche Gewässer, als die türkische Regierungspartei „Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung“ (AKP) unter der Führung von Recep Tayyip Erdogan den Verlust ihrer absoluten Mehrheit bei den Parlamentswahlen im Juni 2015 mit einer massiven innenpolitischen Eskalation und erzwungenen Neuwahlen im November 2015 abwendete.

Eine Folge dieser innenpolitischen Eskalation entlang der sogenannten „Kurdenfrage“ war der Neuausbruch des Krieges zwischen der türkischen Armee und der kurdischen „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK), der bis heute andauert und bereits Tausende Menschen das Leben gekostet hat. Inzwischen hat sich dieser Krieg über die Grenzen der Türkei ausgeweitet, und die türkische Armee kämpft auch in Nordsyrien und im Nordirak gegen verschiedene bewaffnete kurdische Organisationen.

Diese Militärinterventionen – insbesondere der Afrin-Krieg 2018 – sorgten für viel Empörung seitens der Öffentlichkeit und der politischen Akteure auch in Deutschland. Allerdings hat die türkische Regierung ihr politisches Schicksal mit einem harten Vorgehen gegen die Kurden verbunden, sodass ein Kurswechsel und eine Rückkehr zum Friedensprozess, der vor 2015 in einer rudimentären Form begonnen wurde, unwahrscheinlich scheint.

Auch eine weitere Strategie der Regierungspartei AKP wird ungeachtet der hohen innenpolitischen und außenpolitischen Folgen weiter fortgesetzt; die Autokratisierung des politischen Systems und die repressive Ausschaltung der Opposition. Dabei blieb es nicht nur beim unfairen Einsatz von staatlichen Medien für den Wahlkampf der Regierungspartei AKP und einer medialen Benachteiligung der Opposition, sondern insbesondere bei den Wahlen seit 2015 sind unterschiedlich intensive Wahlmanipulationen zu beobachten. Die Ergebnisse des Referendums zum autokratischen Präsidialsystem 2017 und der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2018 wurden zugunsten der Regierungspartei AKP manipuliert.

Das gegenwärtige Präsidialsystem in der Türkei bedeutet indes eine deutliche Entdemokratisierung und ist eine weitgehende Aufhebung der Gewaltenteilung, bei der das Parlament wesentliche Kompetenzen zugunsten des Staatspräsidenten eingebüßt hat. Das faktische Handeln des Staatspräsidenten Erdogan geht sogar über die ihm durch die neue Verfassung zugestandene Machtfülle hinaus, und er greift wie selbstverständlich in alle politischen Entscheidungen ein – im Zweifelsfall durch öffentliche Äußerungen, welche Entscheidungen er bevorzugt.

Die Repression gegenüber der Opposition wird indes unterschiedlich dosiert. Während die größeren Oppositionsparteien nur in Einzelfällen Ziel von politischer Verfolgung und zumindest ihre Parlamentarier nur selten inhaftiert werden, ist die linke Opposition durchweg im Visier der staatlichen Angriffe. Zahlreiche Abgeordnete und Bürgermeister der linken „Demokratischen Partei der Völker“ (HDP) und Tausende HDP-Mitglieder wurden verhaftet, wobei viele von ihnen seit Jahren in den Gefängnissen auf einen Gerichtsprozess warten. Die Erfolge der linken HDP bei den Kommunalwahlen im März 2019 wurden durch undemokratische Maßnahmen wieder zunichte gemacht, indem die gewählten Bürgermeister durch staatlich eingesetzte Zwangsverwalter ersetzt wurden. Die Begründung hierbei, wie auch bei den meisten Inhaftierungen, lautet, dass die HDP-Politiker terroristische Propaganda betrieben hätten. Dabei muss man bedenken, dass die Antiterror-Gesetze in der Türkei sehr weitreichend sind und bereits die Forderung nach Föderalismus oder kommunaler Selbstverwaltung als Propaganda für „Separatismus“ und „Terrorismus“ verfolgt werden kann.

Um die eigenen Wähler weiter für diese aggressive Politik mobilisieren zu können, setzt die türkische Regierung auf zwei Methoden, die beide nicht nachhaltig sind und weitere Eskalationen und eine Überforderung der politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Ressourcen des Landes mit sich bringen.

Die erstarkende nationalistische Rhetorik der Regierungspartei AKP führt nicht nur zu einer größeren Feindschaft zwischen Türken und Kurden im eigenen Land, sondern sorgt auch für Spannungen und Konflikte mit den Nachbarländern. Dies betrifft nicht nur Syrien und den Irak, wo türkische Truppen sich Gefechte mit dortigen Milizen liefern, sondern gegenwärtig auch EU-Mitgliedsstaaten wie etwa Griechenland und Zypern. Die Infragestellung der Meeresgrenzen in der Ägäis und im Mittelmeer und die Provokationen in Nordzypern, die einen Verstoß gegen das Waffenstillstandsabkommen von 1974 darstellen, führen zu einer weiteren Entfremdung zwischen der Türkei und der EU.

Allerdings braucht die türkische Regierung diese Eskalationen und Provokationen, um die nationalistische aufgehetzte eigene Anhängerschaft weiter für sich mobilisieren zu können. So verquicken sich auf ungute Weise kurzfristige innenpolitische Interessen der Regierungspartei AKP mit den langfristigen außenpolitischen Interessen der Türkei.

Neben dieser eher ideologischen Mobilisierung setzte die türkische Regierung in den letzten Jahren darauf, durch Kredite und eine expansive Geldpolitik das Wirtschaftswachstum des Landes weiter aufrechtzuerhalten. Ein relevanter Teil dieses Wachstums wurde durch unzählige größere und kleinere Bauprojekte, die staatlich finanziert wurden, ermöglicht. Dieser Bauboom ist allerdings ökonomisch gesehen wenig nachhaltig, weil bei vielen Bauprojekten wie etwa Flughäfen bereits jetzt absehbar ist, dass diese Objekte keine Mehreinnahmen produzieren werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sie auch im laufenden Betrieb weitere staatliche Zuschüsse benötigen werden. Diese Aussichten und die expansive Geldpolitik der türkischen Regierung führten zugleich zu einem massiven Währungsverlust für die türkische Lira.

Auch in diesem Politikfeld steht die türkische Regierung in einem Dilemma, weil die eigentlich notwendigen Sparmaßnahmen, wie etwa ein Ende des staatlich finanzierten Baubooms, mit ihren kurzfristigen innenpolitischen Interessen, wie etwa der Generierung eines Wirtschaftswachstums, in Konflikt stehen.

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