Falten gehen in Damaskus

Scheinwahl schamlos: Präsident Bashar al-Assad sichert sich den Machterhalt in Syrien

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PICTURE ALLIANCE/ASSOCIATED PRESS | HASSAN AMMAR
Bashar al-Assad
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PICTURE ALLIANCE/ASSOCIATED PRESS | HASSAN AMMAR
Bashar al-Assad

Falten gehen in Damaskus

Scheinwahl schamlos: Präsident Bashar al-Assad sichert sich den Machterhalt in Syrien

Einhundert Prozent Zustimmung – was sein Vater Hafiz al-Assad noch 1999 für sich beanspruchte, wagt Sohn Bashar heute nicht mehr. 95 Prozent mussten reichen, schließlich soll es demokratisch aussehen, und dafür braucht es Gegenkandidaten.

Dass ein Urnengang in Syrien trotzdem nicht die Kriterien einer freien und fairen Wahl erfüllt, ist nicht die Meinung westlicher Außenminister, sondern politisches Grundwissen. Fünfzig Jahre Ein-Parteien-Regime unter der Herrschaft desselben Familienclans, keine Meinungs- und Pressefreiheit, kein unabhängiges zivilgesellschaftliches Engagement, stattdessen allgegenwärtige Geheimdienste, systematische Folter und staatliche Institutionen, die das Regime zum Machterhalt vereinnahmt hat – unter diesen Umständen ist der Wahlprozess von der Zulassung der Kandidaten bis zur Auszählung der Stimmen durch die Herrschenden kontrolliert. Es gibt in Syrien keine unabhängige Instanz, die freie Wahlen garantieren könnte, Assads „Wahlbeobachter“ aus Russland, Iran, China und Venezuela sind Teil des Schauspiels.

Wozu also das Ganze? Warum so viel Geld für überlebensgroße Assad-Plakate und Wahl-Partys ausgeben, wenn fast 90 Prozent der Menschen in den vom Regime kontrollierten Gebieten in Armut leben? Die Wahl erfüllt einen doppelten Zweck: Sie erzwingt Loyalität im Innern und erzeugt Legitimität nach außen. Assad braucht beides, um seinen von Russland und Iran herbeigeführten militärischen Sieg in politische und wirtschaftliche Stabilität umzuwandeln. Denn die Not in den Regime-Gebieten ist so groß wie noch nie, Inflation, steigende Preise und die von der russischen und syrischen Luftwaffe zerstörte Infrastruktur machen den Alltag für die Menschen unerträglich.

Der Westen versorgt die Syrer zwar humanitär – EU und USA bezahlen 80 Prozent der UN-Hilfe – weigert sich aber, dem Regime den Wiederaufbau zu finanzieren. Und Moskau und Teheran fehlen die Mittel. Doch ohne ausländische Investitionen kann Assad seine Unterstützer nicht mehr entlohnen und gerät unter Druck.

Dutzende Regimeanhänger – Journalistinnen, Richter, Beamte – hatten in den vergangenen Monaten in den sozialen Medien Misswirtschaft und Korruption kritisiert. Als Teil des Systems sehen sie, wie sich diejenigen, die Assad an der Macht halten, mit Bestechungsgeldern, Schmuggel, Schwarzmarktgeschäften, Drogenhandel und der Vermarktung humanitärer Hilfe bereichern. Aus der jahrzehntealten syrischen Kleptokratie ist ein Mafiastaat geworden. Die Kritikerinnen wurden verhaftet, kamen aber – pünktlich zu den Wahlen – im Rahmen einer Amnestie frei. Ein Denkzettel, mehr nicht, schließlich will man die eigenen Leute nicht gegen sich aufbringen.

Im Süden lässt sich der Widerspruch nicht so leicht einhegen. Auf einem Banner in Daraa, wo 2011 die ersten großen Proteste stattfanden, stand am Wahltag „Es gibt keine Zukunft für die Syrer mit einem Mörder“. Stammesvertreter und einflussreiche Persönlichkeiten der Provinz hatten die Wahl im Vorfeld als illegitim kritisiert, das Regime ließ daraufhin Wahllokale schließen.

Andernorts zeigte sich dagegen, wie ritualisiert Syrer und Syrerinnen ihre Loyalität unter Beweis stellen – sie überließen die Stimmabgabe gleich den „Wahlhelfern“. Zu beobachten in einem Video, das seit Tagen im Internet kursiert und offensichtlich in einem syrischen Wahllokal aufgenommen wurde. Der Mann hinter der Wahlurne markiert auf den Stimmzetteln Assad, steckt diese in den Umschlag, reicht sie den „Wählern“ über den Tisch oder steckt sie gleich selbst in die Plastikurne. Dann gibt es die Ausweise zurück, die Personalien sind notiert.

Die Menschen in Syrien kennen es nicht anders. Sie wissen, dass Loyalität in einem Polizeistaat das eigene Überleben sichert, Zugang zu Hilfsleistungen oder Geheimdienst-Genehmigungen verschaffen kann. Dass die Loyalität vorgetäuscht ist, interessiert die Machthaber nicht – Untertanen sollen zuverlässig ihre Rolle spielen und die Herrschaft nicht öffentlich infrage stellen, darum geht es.

Natürlich gibt es auch echte Loyalisten – wer vom Regime und seinen Strukturen profitiert, jubelt aus Überzeugung. Andere, die keine Möglichkeit haben, das Land zu verlassen, handeln aus Angst und Verzweiflung. Und bei vielen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Assad zwar Schreckliches tut, aber nicht von der Macht lassen wird, sodass sie sich ohne greifbare Alternative besser mit seinem Regime arrangieren.

So soll nach außen das Bild eines unbeugsamen und vom Volk legitimierten Präsidenten entstehen, an dem nach zehn Jahren Krieg kein Weg vorbeiführt. In der Region verfängt der Plan bereits. Die Arabische Liga erwägt die Wiederaufnahme Syriens, auch um das Land nicht den regionalen Rivalen Iran und Türkei zu überlassen. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben ihre diplomatische Vertretung wiedereröffnet, Oman hat einen Botschafter entsendet. Die von Russland betriebene Rehabilitierung Assads schreitet auch in Europa voran – Ungarn, Tschechien, Bulgarien und Rumänien sehen die Isolationspolitik der EU zunehmend kritisch, Dänemark stuft Damaskus als sicher ein und will Syrer dorthin zurückschicken.

Daneben untergräbt Assads Wiederwahl die Arbeit des syrischen Verfassungskomitees in Genf. Nach Jahren vergeblicher Verhandlungen war das Gremium das Letzte, was von dem UN-geführten politischen Prozess geblieben war. Laut UN-Resolution 2254 sollte erst eine neue Verfassung erlassen und dann unter UN-Aufsicht gewählt werden. Assad hat das Komitee lahmgelegt, um Zeit zu gewinnen – sieben Jahre, in denen er seine Macht zementieren kann und keine Zugeständnisse machen muss.

Assads nächster Etappensieg steht am 10. Juli an, da entscheidet der Weltsicherheitsrat über die Verlängerung der Cross-Border-Hilfe über den letzten verbliebenen Grenzposten zur Türkei. Drei weitere Übergänge, die UN-Hilfslieferungen in Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes ermöglichten, hat Russland durch sein Veto bereits blockiert – mit katastrophalen Folgen für den kurdisch verwalteten Nordosten und die von Assad-Gegnern gehaltene Provinz Idlib im Nordwesten.

Um die Lage der Menschen dort zu verbessern, will US-Präsident Biden seinem russischen Amtskollegen Putin jetzt einen Deal anbieten: Die Amerikaner lassen die Finger von der Ölförderung in den Kurdengebieten, die Moskau sich bereits in Verträgen mit dem Regime gesichert hat. Dafür stimmt Russland der Wiedereröffnung des Grenzübergangs Al Yaroubiah zu, der bis Ende 2019 die humanitäre Versorgung über den Irak sicherstellte. Es gehe den USA – anders als von Amtsvorgänger Trump behauptet – nicht um Öl, sondern um die Menschen, heißt es in der neuen US-Regierung. Ob Putin darauf eingeht, ist fraglich. Zu befürchten ist das Ende jeglicher Cross-Border-Hilfe, dann müsste die gesamte humanitäre Versorgung über Damaskus laufen. Ein weiterer Hebel für Assad, um den Rest des Landes zu unterwerfen.

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