Final episode

Zum Ende seiner verheerenden Amtszeit setzt Donald Trump mit dem Sturm auf das Kapitol ein weiteres Fanal – und eröffnet Joe Biden den Weg zu einer starken Präsidentschaft

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PICTURE ALLIANCE/ZUMAPRESS.COM
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Final episode

Zum Ende seiner verheerenden Amtszeit setzt Donald Trump mit dem Sturm auf das Kapitol ein weiteres Fanal – und eröffnet Joe Biden den Weg zu einer starken Präsidentschaft

Bei der extralangen Schlussfolge der „PRÄSIDENT TRUMP“-Serie haben sich die Drehbuchautoren noch einmal richtig ins Zeug gelegt. Für „Lame Don“, so der Arbeitstitel der Episode, gab es eigentlich kaum noch Stoff. Der Präsident war abgewählt, hatte sich ins Weiße Haus verkrochen und war auf das reduziert, was ihm am leichtesten fällt: die Unwahrheit zu sagen – seine Abwahl ohne Belege als Betrug anzuprangern, mit immer lächerlicheren Lügen die klare Wahlniederlage in einen „Erdrutschsieg“ zu verkehren und seine Partei zu Orwell’schen „Newspeak“-Schwüren zu zwingen. Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Niederlage ist Sieg.

Aber das kannten die Zuschauer schon zur Genüge. Dann kam kriminelle Energie ins Spiel. „Die Menschen in Georgia sind aufgebracht, die Menschen im ganzen Land sind aufgebracht. Und es ist nichts Falsches daran, wenn Sie erklären: Wir haben uns verzählt“, bedrängte der Präsident in einem mitgeschnittenen Telefonat Brad Raffensperger, den republikanischen Innenminister des Staates Georgia, den der Präsident knapp verloren hatte. „Finden Sie mir 11 780 Stimmen!“

Und als das nichts half, kam auch noch eine Art Staatsstreichversuch hinzu. Könnte man nicht die US-Verfassung so verbiegen, dass der bislang willfährige Vizepräsident das Wahlergebnis annullierte? Könnte man das Parlament stürmen lassen? „Wir werden niemals aufgeben, den Machtwechsel niemals akzeptieren“, rief der Präsident bei einer letzten Kundgebung vor dem Weißen Haus. Seine extremistischen Anhänger brachen danach massenhaft in das Kapitol ein und erzeugten Bilder der Gewalt, die um die Welt gingen. Der Präsident saß gebannt vor dem Fernseher und sah zu.

Ein unrühmlicheres Ende für Donald Trumps Präsidentschaft, die von Anfang bis Ende den Gesetzen der TV-Serie folgte, hätten sich auch die begabtesten Drehbuchschreiber nicht ausdenken können. Und doch waren die Ereignisse vom 6. Januar in Washington keine Überraschung.

Trump ist kein Demokrat. Sein Schwärmen für Autokraten von Wladimir Putin über Mohammed bin Salman bis hin zu King Jong Un ist kein Spleen eines Unternehmers und „Deal-Makers“, der Amerika „wieder groß machen“ will. Er und seine engsten Gefolgsleute wollen die amerikanische Republik, wie sie seit 1788 besteht, in ein autoritäres, nationalistisches System verwandeln – nicht zuletzt mit einer die Realitäten überwältigenden Propaganda, für deren Verbreitung Facebook und Twitter die wichtigsten Plattformen sind.

Das wurde denen, die die Trump-Präsidentschaft überhaupt erst ermöglicht haben, viel zu spät dann doch noch klar. Vizepräsident Mike Pence sagte sich mit einer zweiseitigen Erklärung von Trump los. Und der republikanische Senatsführer Mitch McConnell, der wie kein anderer US-Parlamentarier die Trump-Präsidentschaft gestützt hatte, erklärte in der Rede seines Lebens: „Die Wähler, die Gerichte und die Bundesstaaten haben alle gesprochen. Würden wir sie überstimmen, würden wir unsere Republik für immer beschädigen.“ Kurz danach drangen die ersten Trump-Anhänger in die Senatskammer ein.

Wie sieht nun der zweite Teil der überlangen Schlussfolge aus? Nehmen Pence und die Hälfte der Kabinettsmitglieder gemäß des 25. Verfassungszusatzes einem amtsunfähigen Präsidenten das Heft des Handelns aus der Hand, um weiteres Unheil zu vermeiden? Wird Trump als erster US-Präsident der Geschichte ein zweites Mal „impeached“?

Alles scheint dieser Tage möglich in Washington. Für die Gesundheit der amerikanischen Demokratie kann man sich nur wünschen, dass der Bruch der Amerikaner mit ihrem unsäglichen 45. Präsidenten nun verspätet so klar ausfällt wie nur möglich. Trumps nachgeschobene Verurteilung der Gewalt („ein abscheulicher Anschlag auf die amerikanische Hauptstadt“) und seine Beinahe-Anerkennung der Wahlniederlage („eine neue Regierung wird am 20. Januar ins Amt eingeführt“) am späten Donnerstagabend (Ortszeit) mag gerade genug gewesen sein, um das zu verhindern.

Klar ist jedoch, dass Trump, zuvor in fast vollständiger Kontrolle der Republikanischen Partei, sie nunmehr gespalten hat. Seine „feindliche Übernahme“, mit der Schwiegersohn Jared Kushner einst prahlte, zerbröckelt. Einflussreiche Senatoren wie Tom Cotton aus Arkansas (der präsidentielle Ambitionen hegt) und Lindsay Graham sagten sich noch in der Gewaltnacht von Trump los. „Der Tag, an dem Trump die Republikaner zerbrach“, titelte Politico. Karl Rove, Chefstratege von Präsidentschaft von George W. Bush, sieht die Partei nunmehr „im Bürgerkrieg“.

Nur noch sieben Senatoren unter der Führung von Ted Cruz und Josh Hawley trieben das zynische, verfassungsbrechende Politiktheater der Wahlanfechtung danach noch weiter. Im Repräsentantenhaus waren es allerdings fast noch 140 Abgeordnete, die auch nach dem Sturm des Kapitols Trump die Treue hielten. Eine von ihnen, die neu gewählte Mary Miller aus Illinois, stand am Donnerstag in der Kritik, weil sie bei einer Kundgebung der Protestgruppe „Moms for America“ am Vortag auf den Stufen des Kapitols Adolf Hitler zitiert hatte: „Hitler hatte in einer Sache recht. Er sagte: ‚Wem die Jugend gehört, gehört die Zukunft.‘“

Gehört ihr und ihresgleichen die Zukunft? Danach sieht es erst einmal nicht mehr aus. Dass die Republikaner Trumps schmutziges Spiel über die Wahl hinaus mitgemacht haben, hat sich gerächt. Die offenkundige Hoffnung, in der Trump-Zeit berufene Richter würden bei der Umkehrung des Wahlergebnisses behilflich sein, hat sich nicht erfüllt – ein Zeichen dafür, dass das US-System von einer Bananenrepublik dann doch noch weit entfernt ist. Auch dass zumindest Facebook Trump auf Dauer verbannen will, ist eine wichtige Wende – höchste Zeit, dass angeblich „soziale“ Internet-Plattformen den gleichen Mediengesetzen folgen müssen wie Rundfunk und Presse.

Wichtiger noch: Bei der Stichwahl um die Senatssitze in Georgia gewannen mit Raphael Warnock und Jon Ossoff die beiden Kandidaten der Demokraten. Im Senat stehen die Mehrheitsverhältnisse damit 50:50 (erst zum vierten Mal in der US-Geschichte), mit der neuen Vizepräsidentin und qua Amt Präsidentin des Senats Kamala Harris als Zünglein an der Waage – bei Stimmengleichheit kann sie mit ihrem Votum das Patt brechen. Die Demokraten haben nun in beiden Kammern die Mehrheit. Die politischen Möglichkeiten für die Präsidentschaft Joe Bidens haben sich damit über Nacht um einen gewaltigen Faktor vervielfacht. (Und dass beispielsweise ein gewisser Bernie Sanders Vorsitzender des Finanzausschusses im Senat werden soll, könnte noch ganz interessante Folgen haben.)

Während Trump entgegen der Konvention wohl schon am 19. Januar aus dem Weißen Haus ausziehen und womöglich zu seinen Turnberry-Golfplatz nach Schottland fliegen wird (ein von Trump regelmäßig benutztes Flugzeug ist zumindest für den Tag zu einen Flug nach Prestwick Airport angemeldet), hat es Biden nun in der Hand. Aus der altväterlichen Übergangsfigur könnte einer der wichtigsten US-Präsidenten werden: derjenige, der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wieder überall Geltung verschafft und die US-Gesellschaft in eine gerechtere verwandelt; derjenige, der das Land wieder zu dem macht, was es vor Trump war: Amerika.

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