Gegen den Hass

Nach der Terrortat in Wien: Was kann Europa gegen radikalisierte Gefährder tun?

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PICTURE ALLIANCE/APA/PICTUREDESK.COM
Gemeinsam trauern: Wien nach dem Terroranschlag
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Gemeinsam trauern: Wien nach dem Terroranschlag

Gegen den Hass

Nach der Terrortat in Wien: Was kann Europa gegen radikalisierte Gefährder tun?

Wien ist tief geschockt. Ein 20-jähriger gebürtiger Wiener mit mazedonischen Wurzeln und doppelter Staatsbürgerschaft ermordete vier Passanten in Wiens Kneipenbezirk, dem sogenannten Bermudadreieck im Herzen der Innenstadt. Binnen neun Minuten nach Eingang der ersten Notrufe ist die Polizei zur Stelle und erschießt den Attentäter. Der IS-Sympathisant begann sein Morden in der Seitenstettengasse, dem Sitz der jüdischen Synagoge. Der Täter wollte 2018 nach Syrien, um auf der Seite des Islamischen Staates zu kämpfen. In der Türkei wurde er daran gehindert, inhaftiert und im April 2019 im Heimatland Österreich zu 22 Monaten Haft verurteilt, im Dezember 2019 wegen scheinbar guter Führung auf Bewährung freigelassen. In einem Deradikalisierungsprogramm sollte er wieder zurück in die Gesellschaft finden. Im Juli dieses Jahres stellte der slowakische Geheimdienst fest, dass der junge Mann in Bratislava Munition für eine Kalaschnikow kaufen wollte. Angesichts eines fehlenden Waffenscheins wurde ihm dies verweigert. Die Slowakei meldete den Vorfall nach Wien an das Amt für Terrorismusbekämpfung. Zur Staatsanwaltschaft, die seine Bewährungsauflagen hätte verschärfen können, drang diese Nachricht erst in der Nacht des Attentats. Verbindungen in die Schweiz und nach Deutschland, Kontakte zu mehreren vorbestraften Islamisten in Österreich konnten dem Attentäter ebenfalls nachgewiesen werden.

Ob beim Berliner Attentat von Anis Amri, bei den Attentätern von Paris, Brüssel, Madrid, London, Wien: Immer wieder versagen staatliche Behörden, wenn es darum geht, Gefährder rechtzeitig zu stoppen.

Die Europäische Union muss gemeinschaftlich mehr tun im Kampf gegen den Terrorismus. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fordert eine Neudefinition der Schengengrenzen. Frankreich wird seine Polizisten an den Grenzen verdoppeln. Das alleine wird Attentate jedoch wohl kaum verringern.

Österreich, Schweden, Dänemark, die Niederlande und Finnland, jene Staaten, die das EU-Budget vor zwei Monaten fast scheitern ließen, fordern eine engere Zusammenarbeit bei Europas Terrorbekämpfung. Sie wollen dabei besonders die „intransparente Finanzierung von nationalen zivilen und religiösen Organisationen begrenzen, die negativ auf unsere Gesellschaft einwirken“. Nach Meinung sachkundiger Beobachter der „Terrorfinanzszene“ steht Großbritannien mit seiner „Charity Commission“, die die Befolgung gesetzlicher Vorgaben kontrolliert, am besten da, verließ aber bekanntlich gerade die Union.

In Deutschland hingegen sind, mit leichten Veränderungen, noch immer Regeln und Vorgehensweisen aus der Zeit der bismarckschen Abwehr der Sozialdemokratie am Ende des 19. Jahrhunderts in Kraft. Die Regulierung der Vereine und Nichtregierungsorganisationen findet noch immer weitgehend auf lokaler Finanzamtsebene statt – ein eher intransparentes und ineffektives Vorgehen, das dringend reformiert werden müsste.

Geldflüsse für terroristische Planungen geschehen nicht selten über radikale Moscheen, die zu enttarnen schwer ist. Kompliziert wird die Kontrolle von Geldflüssen durch die Art der Geldübertragung: das Hawala-System, ein informelles System, das im 8. Jahrhundert in Indien entwickelt wurde und heute Gastarbeitern hilft, ihre Familien im Irak, in Afrika oder anderen Orten mit Geld zu unterstützen. In der arabischen Welt verfügen nur 34 Prozent der Menschen über ein Bankkonto. Schickt man über dieses System Geld nach Somalia an eine Terrororganisation, so wird das in Deutschland nur als Ordnungswidrigkeit eingestuft. Die Kontrolle der Geldflüsse ist schwierig. Dabei könnten Australien, Malaysia und selbst Afghanistan als Modelle dienen, die dieses System besser überwachen, als das Europa bisher tut.

Österreich verfügt seit 2015 über ein Islamgesetz, das die Einflüsse der radikalen Hassprediger stoppen soll. Fortan sollte kein aus der Türkei oder einem anderen Islamstaat entsandter und von dort bezahlter islamischer Geistlicher mehr in Österreich arbeiten. Die Umsetzung ist noch nicht wirklich gelungen.

Ein Problem Europas sind jene Menschen, die in den Djihad zogen oder ziehen wollten und entweder zurückkehren oder in Gefängnissen in Syrien oder dem Irak sitzen und auf ihre Repatriierung warten. Die Europäer sind zögerlich, diese Männer und Frauen zurückzunehmen. Zurückgekehrt werden sie vor Gericht gestellt und im Falle nachweisbarer Vergehen verurteilt. Kompliziert ist der Versuch der Resozialisierung. Kommen Verurteilte in ein Deradikalisierungsprogramm, ist der Erfolg offen. Evaluierung und Monitoring sind in Deutschland von Bundesland zu Bundesland verschieden. So gelang es nicht, den Gefährder Anis Amri vor seiner Tat abzuschieben, was rechtlich möglich gewesen wäre.

Österreichs Medien hätten in der Nacht des Attentats informieren sollen, ohne zusätzliche Panik zu verursachen. Ein privater Fernsehsender aber spekulierte haltlos über mögliche Täter und strahlte in unverantwortlicher Weise ein Handyvideo aus, in dem die Verhaftung von vier jungen Männern zu sehen ist, die von nervösen Polizisten gezwungen wurden, sich auszuziehen. Unnötig, an dieser Stelle zu sagen, dass sich schnell herausstellte, dass die Männer mit dem Terrorakt nichts zu tun hatten.

Die ungeprüfte Ausstrahlung führte zu Beschwerden bei der Presseaufsicht. Auch einige Werbetreibende gaben bekannt, ihre Spots auf dem Sender zurückziehen zu wollen.

Schließlich warnen Religionsoberhäupter und Politiker: der islamistische Extremist dürfe nicht mit der Gemeinschaft aller Muslime in Österreich in einen Topf geworfen werden. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz stellte fest: „Hier geht es nicht um Christentum gegen Islam, hier geht es um Zivilisation gegen Barbarei.“ Zusätzliche schärfere Gesetze forderte er allerdings auch. Allein, es ist zu befürchten, dass dies nicht reichen wird.

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