Generalprobe für die Klimadebatte

Doch, es gibt Wege, Verbraucher angesichts steigender Energiepreise zu unterstützen, ohne den Klimaschutz auszuhebeln

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PICTURE ALLIANCE/ZB/EUROLUFTBILD.DE
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Generalprobe für die Klimadebatte

Doch, es gibt Wege, Verbraucher angesichts steigender Energiepreise zu unterstützen, ohne den Klimaschutz auszuhebeln

Wer Erdgas von den Stadtwerken Neumünster bezieht, muss ab dem 1. Dezember tief in die Tasche greifen – der Kommunalbetrieb erhöht seinen Gaspreis auf einen Schlag um fast ein Drittel. Ein durchschnittlicher Haushalt zahlt damit rund 30 Euro mehr im Monat. Andere Versorger haben ähnlich drastische Tarifsteigerungen angekündigt. Die Aufschläge dürften viele Kunden auch deshalb schmerzen, weil Benzin und Diesel heute ebenfalls so teuer sind wie seit vielen Jahren nicht mehr.

Die Preissprünge bei Gas und Sprit nehmen vorweg, worauf sich die Bürger künftig ohnehin einstellen müssen: Die CO2-Bepreisung wird fossile Brenn- und Kraftstoffe in Zukunft spürbar verteuern. Das soll zum Energiesparen animieren und Anreize für Investitionen etwa in klimafreundlichere Heizungen oder in Elektroautos setzen. Wenn der Energieverbrauch sinken soll, ist es ökonomisch sinnvoll, ihn teurer zu machen, betont Oliver Holtemöller, Vizepräsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).

Ein Gewinn für den Klimaschutz ist die jüngste Preisexplosion bei Erdgas, Benzin und Diesel allerdings nicht. Denn Unternehmen wie Haushalte brauchen einen verlässlichen Rahmen, um investieren zu können. Den bieten die Märkte derzeit aber nicht, da die Ausschläge durch die temporäre Knappheit von Öl und Gas ausgelöst werden, nicht durch langfristig orientiertes politisches Handeln. Entspannt sich die Lage an den Rohstoffmärkten, geben auch die Verbraucherpreise wieder nach.

Nichtsdestotrotz gibt die derzeitige Debatte um die Energiepreise einen Vorgeschmack darauf, welche Auseinandersetzungen zu erwarten sind, wenn die Politik eine CO2-Bepreisung beschließt, die den Klimazielen für 2030 und darüber hinaus gerecht wird – in Deutschland kurzfristig mit einer Erhöhung der Anfang 2021 eingeführten CO2-Abgabe auf fossile Brenn- und Kraftstoffe, auf EU-Ebene mittelfristig mit der von der Kommission vorgeschlagenen Einführung eines Emissionshandelssystems für den Gebäude- und Verkehrssektor im Rahmen des „Fit for 55“-Klimapakets. Bereits heute überbieten sich Politik und Wirtschaft mit Vorschlägen, die Energie wieder günstiger machen sollen. Es ist nicht zu erwarten, dass diese Diskussion verstummen wird, wenn die Preise für den Klimaschutz steigen sollen.

Weit mehr als in Deutschland steht auf EU-Ebene aktuell vor allem der Strompreis im Fokus. Die Beschaffungskosten vieler Versorger sind derzeit sehr hoch, da die Gaskraftwerke mit ihrem teuren Brennstoff die Preise im Großhandel vorgeben. Das schlägt sich vielerorts stark auf die Stromtarife nieder, da die Versorger anders als in der Bundesrepublik mehr Energie über kurzfristige Lieferverträge einkaufen. Deshalb fordern Frankreich, Spanien und einige andere Länder, das europäische Strommarktdesign völlig neu zu gestalten: Nicht mehr die teuerste der Erzeugungstechnologien soll den Preis setzen, sondern deren Durchschnittskosten. Für die europäische Energiewende wäre das allerdings kontraproduktiv. Mit den neuen Regeln käme es deutlich seltener zu stunden- oder tageweisen starken Preisausschlägen – die aber Voraussetzung sind, um die notwendigen Investitionen in Speicher und Back-up-Kraftwerke finanzieren zu können. Dazu kommt, dass solch radikale Markteingriffe dem Investitionsklima generell nicht gerade zuträglich sind.

Noch viel problematischer ist allerdings, dass manche Regierungen nun die Einführung des CO2-Handelssystems für den Gebäude- und Verkehrssektor in Frage stellen. So fordern Polen, Ungarn und andere Staaten, die CO2-Bepreisung wegen der hohen Energiekosten auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Da die meisten Länder in diesen beiden Sektoren erhebliche Defizite bei der Emissionsminderung haben, wäre das ein erheblicher Rückschlag für den Klimaschutz in Europa. Zumal damit Mittel fehlen würden, die nach dem Willen der EU-Kommission eingesetzt werden sollten, um die europäische Energiewende sozialverträglich zu gestalten.

Muss sich die EU also entscheiden – Klimaschutz oder niedrige Energiepreise? Nein, denn es gibt einen starken Hebel, der beide Ziele miteinander verbindet: der massive Ausbau der erneuerbaren Energien. Je mehr Wind- und Solarstrom produziert wird, desto niedriger sind die Preise an der Strombörse. Als etwa vor einigen Tagen der Sturm „Ignatz“ über Deutschland fegte und die Windräder so viel Strom lieferten wie selten zuvor, zahlten Einkäufer am Spotmarkt zumeist zwischen 30 und 100 Euro pro Megawattstunde. In den Wochen davor bewegten sich die Preise dagegen in einem Band zwischen 100 und knapp 300 Euro, kurzzeitig sogar noch höher. Niedrige Preise an der Strombörse kommen allen Verbrauchern zugute. Zudem geben sie einen Anreiz, auch in Wärme und Verkehr auf elektrische Energie zu setzen. Das dient dem Klimaschutz und schützt zugleich Haushalte und Unternehmen vor den Kapriolen auf dem Öl- und Gasmarkt.

Bis sich der Ausbau von Photovoltaik und Windkraft für alle Verbraucher spürbar in den Energiekosten niederschlägt, werden allerdings einige Jahre vergehen. Eine kurzfristige Entlastung brächte den Verbrauchern in Deutschland dagegen die Abschaffung der EEG-Umlage. Ein solcher Schritt würde die hohen Großhandelspreise sowie die steigenden Netzentgelte mehr als ausgleichen, sodass die Strompreise real sogar sinken würden – eine Kompensation für steigende Sprit- und Gaspreise, die zudem eine ökologische Lenkungswirkung hätte, weil sie klimafreundlichere Technologien wie Wärmepumpen oder Elektroautos attraktiver macht. Auch sozialpolitisch wäre dieser Schritt sinnvoll, weil Strom bei einkommensschwachen Haushalten einen überdurchschnittlichen Anteil an ihren Gesamtausgaben hat. SPD, Grüne und FDP haben in ihrem Sondierungspapier das Ziel ausgegeben, die EEG-Umlage im Laufe der Legislaturperiode durch ein anderes Finanzierungsmodell zu ersetzen.

Kontraproduktiv sind dagegen die Forderungen einiger Unionspolitiker sowie des Bundes der Steuerzahler, als Antwort auf die hohen Benzin- und Dieselpreise die Pendlerpauschale zu erhöhen. Das mindert den Anreiz, auf emissionsärmere Fahrzeuge und Verkehrsmittel umzusteigen – und ist nach Ansicht von Brigitte Knopf, Mitglied des von der Bundesregierung berufenen Klimarats, auch sozialpolitisch nicht sinnvoll, da Bürger mit niedrigem Einkommen davon viel weniger profitieren als Besserverdiener. Zumal ein Umstand bei der Forderung nach einer höheren Pendlerpauschale gerne außer Acht gelassen wird, auf den das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hinweist: Gemessen an Kaufkraft und Einkommen war Treibstoff bis in die 1970er-Jahre hinein weitaus teurer als heute.

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