Gerechtigkeit in Grün

Unsozial – so brandmarken von Union bis zu den Linken alle die grünen Pläne, die CO2-Abgabe zu erhöhen. Das ist Kokolores

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PICTURE ALLIANCE/REUTERS | ANNEGRET HILSE
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PICTURE ALLIANCE/REUTERS | ANNEGRET HILSE

Gerechtigkeit in Grün

Unsozial – so brandmarken von Union bis zu den Linken alle die grünen Pläne, die CO2-Abgabe zu erhöhen. Das ist Kokolores

In ihrem Programm zur Bundestagswahl sprechen die Grünen Klartext: Der Benzinpreis muss in den kommenden zehn Jahren um fast das Dreifache steigen, heißt es dort. Eine Forderung, die bei den Bürgern gar nicht gut ankommt – die Grünen fliegen bei der Wahl beinahe aus dem Parlament.

Das war im Jahr 1998, in einer Zeit, in der Klimaschutz im Allgemeinen als Öko-Spinnerei galt. Wie sich die Zeiten ändern: Die Bundesregierung hat in ihrem Entwurf zum überarbeiteten Klimaschutzgesetz festgelegt, Deutschland bis 2045 treibhausgasneutral zu machen – und die Grünen liegen in Umfragen zur Bundestagswahl bei mehr als zwanzig Prozent, obwohl sie deutlich höhere Preise für fossile Kraft- und Brennstoffe durchsetzen wollen.

Benzin wird auf jeden Fall teurer

Eine Parallele zu 1998 gibt es allerdings: Wieder sehen sich die Grünen der Kritik ausgesetzt, die Bürger mit den Mehrkosten zu überfordern. Wie damals brandmarken Union, SPD, FDP und Linke die Pläne der Grünen als unsozial. Ist der Vorwurf gerechtfertigt?

Nach geltender Rechtslage werden sich Benzin und Diesel, Erdgas und Heizöl mit der Anfang 2021 eingeführten CO2-Abgabe in den kommenden Jahren ohnehin verteuern. Das geschieht schrittweise, bis 2025 eine Marke von 55 Euro pro ausgestoßene Tonne CO2 erreicht wird. Benzin wird damit um etwa 14 Cent pro Liter teurer. Die Grünen fordern nun bereits für 2023 einen Aufschlag von 60 Euro. Bis 2030 soll die CO2-Abgabe dann weiter steigen, sodass sie dem Klimaziel der Partei für 2030 – insgesamt 70 Prozent weniger Emissionen als 1990 – entspricht.

Im Gegenzug wollen die Grünen die Bürger jedoch entlasten. So sollen die Einnahmen aus der CO2-Abgabe zum einen verwendet werden, um die EEG-Umlage zu senken. Strom wird damit günstiger. Zum anderen wollen die Grünen als Kompensation für die höheren Brenn- und Kraftstoffpreise jedem Bürger ein so genanntes Energiegeld in Höhe von 75 Euro pro Jahr auszahlen.

Die meisten Haushalte werden entlastet

Damit erfüllt die Partei die Anforderungen an eine sozial gerechte Klimapolitik, die die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Rat für Nachhaltige Entwicklung kürzlich formuliert haben. Auch das Berliner Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) bestätigt das Modell der Grünen im Grundsatz: Die Expertinnen haben errechnet, dass viele normal- und geringverdienende Haushalte durch eine Kopfpauschale und günstigeren Strom unterm Strich stärker ent- als durch die höheren CO2-Preise belastet werden. Spitzenverdiener zahlen allerdings drauf. Zudem gelte es, für Härtefälle wie Pendlerinnen oder Besitzer von Ölheizungen einen Ausgleich zu schaffen. Die „Wirtschaftsweise“ Veronika Grimm wiederum macht darauf aufmerksam, dass vor allem diejenigen Haushalte von niedrigeren Strompreisen profitieren, die wenig verdienen. Denn sozial schwache Bürger müssen einen deutlich größeren Anteil ihres Einkommens für die Elektrizität aufwenden als Gutverdienerinnen.

Im Übrigen stehen die Grünen mit der Forderung nach einer steiler ansteigenden CO2-Abgabe in der Politik längst nicht allein da. So setzen auch prominente Vertreter von Union und FDP darauf, für den Klimaschutz an der CO2-Preisschraube zu drehen. CDU-Fraktionsvize Andreas Jung zum Beispiel schlägt für 2023 einen Preis von 55 Euro und für 2024 von 65 Euro vor. Die FDP will die CO2-Bepreisung gar zum zentralen Hebel für den Klimaschutz machen. Dabei soll sich der Preis nach der Nachfrage richten, bei einer Deckelung des Angebots durch das noch zur Verfügung stehende CO2-Budget. Damit dürften die Emissionen noch weitaus teurer werden.

Laschet laviert

Allerdings hat bislang keine der Parteien ein solch konkretes Konzept zur Entlastung der Bürger vorgelegt wie die Grünen. Stattdessen kursieren Vorschläge für isolierte Maßnahmen. So plädiert Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet dafür, steigende Spritpreise mit einer höheren Pendlerpauschale auszugleichen. Keine gute Idee, meint Brigitte Knopf, Generalsekretärin des MCC und Mitglied des von der Bundesregierung berufenen Klimarats – das komme vor allem Haushalten mit mittlerem und hohem Einkommen zugute. Zudem profitiere die Landbevölkerung nicht so stark von einer höheren Pendlerpauschale, wie oft vermutet werde.

Auch bei der Entlastung der Mieterinnen von steigenden Wärmekosten durch eine höhere CO2-Abgabe auf Heizöl und Erdgas fehlt es auf Seiten der Union an einer Strategie. Ursprünglich hatte die schwarz-rote Koalition nach langer Debatte vereinbart, dass Vermieter und Mieter den Aufschlag je zur Hälfte unter sich aufteilen. Die Unionsfraktion hat diesen Beschluss Anfang Juni aber gekippt. Die Last müssen also allein die Mieter tragen.

Echte Kosten

Bleibt die Frage: Welche Preise sind denn überhaupt nötig, um die deutschen Klimaziele zu erreichen? Der Think Tank Agora Energiewende hält es für geboten, den Preis zunächst sukzessive auf 80 bis 100 Euro zu erhöhen. CDU-Politiker Jung nannte vor zwei Jahren für 2030 einen Preis von 180 Euro. Benzin würde sich damit um mehr als fünfzig Cent pro Liter verteuern. Der Betrag von 180 Euro entspricht fast den Schadenskosten, die laut Berechnungen des Umweltbundesamtes durch den Ausstoß einer Tonne CO2 entstehen. Konkrete Zahlen zu den mittelfristig gebotenen Preisen finden sich in den bislang vorliegenden Wahlprogrammen aber nicht. Vielmehr wollen Union, Grüne und FDP spätestens ab Mitte dieses Jahrzehnts den Markt die Höhe der CO2-Abgabe bestimmen zu lassen.

Was für sie mit Blick auf den Wahlkampf auch den Vorteil hat, sich heute nicht auf eine konkrete Zahl festlegen zu müssen – und sich so den Unmut der Wähler zu ersparen, der den Grünen 1998 so weh tat.

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