Hilferufe

Postskriptum

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Hilferufe

Postskriptum

Dieser Film hat einfach alles. Zeigt atemberaubende Szenen, menschliche Dramen und erweitert den Horizont des Verstehens, ist Politik, Wissenschaft und Leben, vereint exzellente Recherche, den Sinn für Zusammenhänge und eine kluge Dramaturgie.

Er erzählt von bewegenden Einzelschicksalen und vom großen Ganzen, das uns alle angeht, nimmt sein Publikum ernst und lässt sich angemessen Zeit, zu sagen und zu erklären, was zu sagen und zu erklären ist.

„Die Nacht, in der die Flut kam“ lief Ende Juni auf Arte, ein 90-minütiges „Protokoll einer Klimakatastrophe“, ein Jahr, nachdem Starkregen und Hochwasser Tod und Elend über das Ahrtal in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen brachten. Der Film zeigt bisher ungesehenes Material aus der Schreckensnacht – einstürzende Brücken, fortgeschwemmte Autos, in sich zusammenfallende Häuser – und erzählt die Geschichten der Menschen, die jene schlimmen Stunden überlebt haben, etwa dank des heroischen Einsatzes eines jungen Mannes, der mit seinem Kanu gegen den Strom paddelte und mit letzter Kraft ein Ehepaar retten konnte. Das Wiedersehen von Rettern und Geretteten dürfte keinen kalt lassen. Aber genauso wenig der Satz eines Überlebenden, er werde die Hilferufe seiner Nachbarn kurz vor dem Ertrinken nie vergessen. Auch sein gezeichneter Gesichtsausdruck dürfte noch lange im Gedächtnis haften bleiben.

Dazwischen geschnitten sind im Film kluge Exkurse über die meteorologischen, geologischen und infrastrukturellen Ursachen der Flutkatastrophe – und die horrenden Folgen des Klimawandels weltweit. Auch Freunden des Tankrabatts, der Energiesteuerbefreiung von Kerosin und des elfminütigen Duschens bei 40Grad ist der Film zu empfehlen.

Eine Frage, die die Dokumentation von Matthias Fuchs und Bernd Wilting nicht beantworten kann, ist die des akuten politischen Versagens auf allen Ebenen in jenen Stunden. War die Angst davor, womöglich unnötigerweise den Katastrophenfall auszurufen und alle Rettungskräfte zu mobilisieren, so groß, dass die Verantwortlichen es lieber unterließen?

Klar, die Dokumentation ist in der Mediathek weiterhin zu sehen. Was aber an diesem Film dann doch fehlt, ist die Ausstrahlung im ARD-Hauptprogramm um 20:15 Uhr.

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