In Biden Fällen

Die Geschichte vom steilen Sturzflug der Zufriedenheit mit der Politik Joe Bidens erweist sich bei genauerer Betrachtung als – schief

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ASSOCIATED PRESS | CAROLYN KASTER
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ASSOCIATED PRESS | CAROLYN KASTER

In Biden Fällen

Die Geschichte vom steilen Sturzflug der Zufriedenheit mit der Politik Joe Bidens erweist sich bei genauerer Betrachtung als – schief

Die Zustimmungsrate von US-Präsident Joe Biden unter den Amerikanern ist in den vergangenen Wochen massiv gesunken, und dies nach Monaten eines sanften und historisch durchaus üblichen Rückgangs in der Folge der äußerst rosigen Zahlen, in denen er sich unmittelbar nach seinem Amtsantritt im Januar sonnen konnte. Dieser Tiefpunkt resultiert aus der kontinuierlichen Fülle an Schreckensbildern und entmutigenden Berichten aus Afghanistan, nachdem die USA nach annähernd zwei Jahrzehnten Krieg ihre letzten Truppen, Geheimdienstleute, Verwaltungsmitarbeiterinnen und so viele afghanische Unterstützer wie möglich aus dem südzentralasiatischen Land abgezogen hatten.

Zu Bidens Verlust an Popularität trägt auch die dritte Welle von Covid-19-Infektionen und Todesfällen bei, die derzeit durch die USA rollt – und zwar insbesondere in Ballungszentren mit niedrigen Impfraten und in Bundesstaaten, in denen republikanische Gouverneure eine Maskenpflicht verhindern. Dies veranlasste die Europäische Union am 30. August, die USA von der Liste der sicheren Länder für nicht unbedingt erforderliche Reisen zu streichen.

Zahlen, bitte

Während Afghanistan und Covid-19 als doppelte Katastrophe Biden in jedem Fall geschadet hätten, sollte ein genauerer Blick auf einige Zahlen und historische Trends die blank liegenden Nerven der Biden-Anhänger etwas beruhigen und – wenn sie den Wählern mit Klarheit und Überzeugung präsentiert werden – das Ansehen des Präsidenten heben.

Gemäß einer Zusammenstellung der jüngsten Umfragen auf fivethirtyeight.com, der Plattform des Datenjournalismus-Stars Nate Silver, ist Bidens Zustimmungsrate von 53,7 auf 47 Prozent gesunken und seine Ablehnungsrate von 42,7 auf 47 Prozent gestiegen, mit dem Effekt, dass seine jüngsten Nettozustimmungsgewinne in Höhe von 10 Prozentpunkten auf null geschrumpft sind. Zum Vergleich: Der frühere Präsident Donald Trump hatte im Jahr 2017, im ersten Jahr seiner Amtszeit und in einem Zeitraum ohne internationale Gesundheitskrisen oder militärische Niederlagen der USA, eine durchschnittliche Zustimmungsrate von 38,4 Prozent.

Auch wenn niemand vorhersagen kann, welche weiteren innenpolitischen oder internationalen Herausforderungen die Führungsqualitäten des US-Präsidenten auf dem Weg zu den Zwischenwahlen 2022 und den Präsidentschaftswahlen 2024 auf die Probe stellen werden, sollte doch die Tatsache, dass mit dem Afghanistan-Abzug Bidens schlimmster politischer Schaden bereits hinter ihm liegen sollte – während er sich immerhin noch 47 Prozent Zustimmung erfreut – mehr Beachtung finden. Sie sollte auch die Sorgen derjenigen, die bereits argwöhnen, dass die Demokraten in den nächsten drei Jahren das Repräsentantenhaus, den Senat oder die Präsidentschaft verlieren könnten, etwas verringern.

Unterstützung für den Abzug

Aber auch eine andere Faktenlage könnte die Befürchtungen der Demokraten im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Abzug mindern. Eine diese Woche vom Pew Research Center durchgeführte Umfrage ergab, dass 54 Prozent der Amerikaner die Entscheidung, sich aus Afghanistan zurückzuziehen, nach wie vor für richtig halten, gegenüber nur 42 Prozent, die anderer Meinung sind. Hinzu kommt, dass die Trump-Regierung den Abzug der US-Truppen ursprünglich schon für Februar 2020 im Rahmen eines Abkommens mit den Taliban zugesagt hatte. Dieses Abkommen hing davon ab, dass die Taliban auf Angriffe auf US-Personal verzichten. Biden aber verzögerte den Abzug um vier Monate und verhinderte so einen noch überstürzteren Ablauf.

Gleichwohl war der größte Schlag für die Moral der USA als auch für Bidens politisches Ansehen der Selbstmordanschlag durch ISIS-K in der vergangenen Woche am Flughafen in Kabul, bei dem 13 US-Soldatinnen und -Soldaten ums Leben kamen. Dies ist zwar eine unbeschreibliche Tragödie für die Familien und Freunde der Getöteten, doch ist auch zu bedenken, dass die USA in den drei Jahren vor der Unterzeichnung des Abzugsabkommens mit den Taliban durch Trump im Durchschnitt 16 Opfer pro Jahr zu beklagen hatten und dass für ISIS-K, einen erklärten Feind der Taliban, zu jeder Zeit das Ziel darin bestand, ein möglichst großes Chaos zu verursachen, um zu vereiteln, dass die Taliban nach dem Abzug der USA ihre Fähigkeit zur Kontrolle über Afghanistan zeigen können.

Obwohl Bidens Leute es versäumt haben, sowohl ihre Erfolge während der äußerst schwierigen Abzugsmission wirksam herauszustellen als auch ihre Fehler einzugestehen, wird es noch reichlich Nachrichtenzyklen geben, um ebendies nachzuholen, während die emotionalen Wunden des Abbruchs des Afghanistan-Einsatzes langsam zu heilen beginnen.

Ein zweigeteiltes Land – auch in Sachen Pandemie

Während sich die Nachrichtenmenge aus Kabul in der vergangenen Woche weiter verringert hat, hat die Delta-Variante des Covid-19-Virus ihre Verheerungen in den USA deutlich vergrößert. So wie Biden mit dem Versprechen angetreten war, den Krieg in Afghanistan zu beenden, hatte er sich auch als derjenige präsentiert, der die Covid-19-Pandemie oder zumindest ihre lähmenden Auswirkungen auf die US-Wirtschaft beenden würde. Während die dritte Welle des Virus durch die dafür besonders anfälligen Gebiete des amerikanischen Südens schwappt, kann niemand ernsthaft behaupten, dass die Schuld für die Ausbreitung von Covid-19 in Florida, Georgia, Alabama, Arkansas und Texas – den fünf derzeit am stärksten betroffenen Staaten – bei irgendjemand anderem liegen würde als bei den Republikanern, die 100 Prozent der Parlamente und Gouverneurssitze in diesen Bundesstaaten kontrollieren.

Die weit unterdurchschnittlichen Impfraten in diesen Staaten (mit Ausnahme von Florida, wo die Rate in etwa durchschnittlich ist) können sicher nicht direkt den jeweiligen Regierungen angelastet werden. Trotzdem ist das allgemeine Unvermögen der zuständigen administrativen Stellen, den Impfstoff engagiert zu bewerben und damit die Gesundheit ihrer Wählerinnen zu fördern, nach wie vor ein entscheidender Punkt. Darüber hinaus scheint das Festhalten der Regierungen dieser Bundesstaaten daran, dass alle ihre Bürger das Recht haben, sich ohne Impfung oder Maske in öffentlichen Räumen aufzuhalten, im Widerspruch zu ihren sonstigen Gesetzen zu stehen, die sehr wohl Impfungen gegen Masern, Mumps, Röteln, Kinderlähmung und Tetanus für Kinder im Schulalter, Sicherheitsgurte für alle Autofahrer und Beifahrer sowie eine Kfz-Versicherung für alle Autobesitzer vorschreiben.

Die Zahlen der kürzlich infizierten Personen und Todesfälle in diesen Bundesstaaten – im Gegensatz etwa zu denen in den sechs Staaten Neuenglands mit deutlich höheren Impfquoten als der nationale Durchschnitt – sind aufs Ganze aber doch ein unbestreitbarer Beweis dafür, dass die Covid-19-Politik der dortigen Regierungen, die allesamt von Republikanern gestellt werden, gescheitert ist. Obwohl die Zustimmungsrate von Präsident Biden bezüglich seiner Covid-19-Politik – die im Kern auf dem Werben für Impfungen und der Ausrichtung des Handelns an den wissenschaftlichen Erkenntnissen hinsichtlich Maskierung und sozialer Distanzierung beruht – von ihrem anfänglichen Höchststand von 70 Prozent etwas gesunken ist, liegt sie noch immer weit über der 50-Prozent-Marke. Und es steht durchaus zu erwarten, dass sie noch steigt, wenn die Personengruppen und Kommunen in den Staaten, die die Politik und Maßgaben der Biden-Regierung ablehnen, auch in Zukunft eine unverhältnismäßig hohe Zahl an Todesfällen verzeichnen.

Was also insgesamt betrachtet die politische Bewältigung des Afghanistan-Abzugs und der Covid-19-Pandemie angeht, so besteht die zentrale Herausforderung für Präsident Biden und die Demokraten im Vorfeld der Zwischen- und Präsidentschaftswahlen nun gerade nicht darin, die Fakten zu verschleiern oder zu verdrehen, sondern sie effektiv und wahrnehmbar für alle zu kommunizieren.

Aus dem amerikanischen Englisch von Thorsten Tynior.

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