In hitzigem Gefecht

Die Bundeswehr bestellt ein neues Sturmgewehr bei einem Kleinunternehmen mit zweifelhaften Geschäftsbeziehungen

11
10
MICHAEL REICHEL/DPA/ZENTRALBILD
11
10
MICHAEL REICHEL/DPA/ZENTRALBILD

In hitzigem Gefecht

Die Bundeswehr bestellt ein neues Sturmgewehr bei einem Kleinunternehmen mit zweifelhaften Geschäftsbeziehungen

Update:
Das Bundesverteidigungsministerium gab inzwischen bekannt, dass es das Vergabeverfahren für das neue Gewehr der Bundeswehr gestoppt hat. Da eine Patentrechtsverletzung durch die Firma Haenel nicht auszuschließen sei, „war die Vergabestelle des Bundes angehalten, das Informationsschreiben an die Bieter über die beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Firma C.G. Haenel GmbH aufzuheben“, wie das Ministerium mitteilte. Die Vergabestelle des Bundes werde damit in eine Neubewertung der Angebote unter Berücksichtigung aller Aspekte eintreten.



Die Bundeswehr braucht ein neues Sturmgewehr – so hatte es vor mehr als fünf Jahren die damalige Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) entschieden. Zu öffentlich waren die Beschwerden über das Standardgewehr der Bundeswehr, das G36 der Firma Heckler & Koch, geworden. Viele Soldaten hatten sich beschwert, dass die Waffe bei hitzigen Gefechten heiß liefe und dadurch das Ziel verfehle. Wie immer bei solchen öffentlichen Diskussionen hat sich auch dort die Politik eingeschaltet und an der Sicherheit der Frauen und Männer gezweifelt, die doch für die Verteidigung Deutschlands am Hindukusch sorgen.

Doch ist das G36 eine Fehlkonstruktion? Spricht man mit Angehörigen der Bundeswehr, dann bekommt man ein anderes Bild. Ein Großteil der Truppe ist mit der Waffe mehr als zufrieden. Da die Konstruktion zum größten Teil aus Kunststoff gefertigt wird, ist es im Vergleich zu Modellen von Mitbewerbern leicht. Auch sonst zeichnet sich das Modell durch Robustheit, Einfachheit und unter normalen Umständen auch als zuverlässige Waffe aus. Denn für Gefechte, bei denen Ziele mit langanhaltendem Dauerfeuer auf großer Entfernung bekämpft werden, ist das G36 schlichtweg nicht ausgelegt. Kurze Feuerstöße, dafür ist es gebaut.

Auch heute noch, rund 23 Jahre nach Einführung des Modells, genießt die Waffe weltweit einen guten Ruf und wird nach wie vor für Armeen oder Behörden dieser Welt beschafft. Unabhängig davon wurde gleichwohl entschieden, dass die Truppe eine neue Waffe braucht. Anfangs war das Interesse auf Seiten der Industrie groß. Neben Heckler & Koch, die seit 1955 das Standardgewehr der Bundeswehr stellen, bewarben sich auf das lukrative Geschäft auch noch SIG Sauer, Rheinmetall und Haenel. Zu verlockend war der Auftrag, der dem Gewinner der Ausschreibung etwa 250 Millionen Euro in die Kassen spülen würde.

Nun ist es so, dass die Beschaffung von Rüstungsgütern in Deutschland so eine Sache ist. Schon früh beklagte sich die norddeutsche Waffenschmiede SIG Sauer etwa, dass der Auftrag auf den Mitbewerber Heckler & Koch ausgelegt sei. So war SIG Sauer anfangs noch zugesagt worden, bestimmte Munition zur Erprobung der eigenen Waffe zu testen, später wurde diese Aussage aber vom zuständigen Beschaffungsamt (BAAINBw) in Koblenz zurückgezogen. Lieferanten der Bundeswehr mit Zugriff auf die Munition, wie eben Heckler & Koch, seien in der kurzen Zeit der Ausschreibung bevorzugt, weil sie länger testen konnte, teilte SIG Sauer 2017 mit und stieg aus der Ausschreibung aus. Rheinmetall, das in Kooperation mit dem österreichischen Waffenhersteller Steyr Mannlicher die geplanten 120 000 Gewehre liefern wollte, zog ein Jahr später die Reißleine. Als Begründung gab der Rüstungsgigant aus Düsseldorf betriebswirtschaftliche Gründe an. Viele Brancheninsider gingen damals aber von einem ähnlichen Beweggrund aus, wie ihn SIG Sauer schon angegeben hatte.

Es waren also nur noch zwei Waffenhersteller übrig. Haenel aus dem thüringischen Suhl hatte nach Ansicht vieler Experten keine Chance, schließlich hatte das Unternehmen vor drei Jahren nur vier Mitarbeiter. Heute sollen es laut Wirtschaftsdatenbank gerade einmal neun sein, und der Umsatz soll irgendwo bei rund 7 Millionen liegen. Heckler & Koch aus Oberndorf in Baden-Württemberg ist dagegen allein von den Wirtschaftszahlen ein ganz anderes Kaliber – mehr als 900 Mitarbeiter und ein Jahresumsatz von über 220 Millionen Euro.

Ursprünglich war geplant, dass 2018 der Gewinner der Ausschreibung bekannt gegeben wird und die ersten Waffen 2020 an die Truppe ausgeliefert werden. Doch die Entscheidung wurde immer wieder verschoben, was bei der Auftragsvergabe von Rüstungsvorhaben nichts Ungewöhnliches ist, da Verzögerungen mittlerweile fast schon zum guten Ton gehören. Als dann aber Ende vergangenen Monats bekannt wurde, dass David gegen Goliath gewonnen hat, der millionenschwere Auftrag des G36 Nachfolgert also nach Thüringen ging, war das Erstaunen in der Branche groß.

Warum und wieso die Entscheidung auf ein bis vor kurzem noch vielen unbekanntes Unternehmen gefallen ist, wird hoffentlich an der technischen Überlegenheit liegen.

Doch bis die Truppe die Waffen vom Typ MK 556 bekommen wird, kann es noch dauern. Denn kurz nach der Entscheidung für Haenel hat Heckler & Koch seine Juristen ins Feld geschickt. Die reichten prompt beim BAAINNw eine fristgerechte Rüge ein. Nur wenige Tage später folgte dann das sogenannte Nachprüfungsverfahren. Weitere rechtliche Schritte sind möglich, die das Vergabeverfahren und vor allem die Auslieferung der Waffe um Monate, wenn nicht sogar um Jahre verzögern könnten. Auch das gehört mittlerweile zum normalen Beschaffungsprozess für Rüstungsgüter dazu.

Thema sind auf einmal auch die Eigentümerverhältnisse von Haenel, steckt doch hinter der beschaulichen Firma aus Thüringen mit Caracal International ein Waffenhersteller aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Dass die Heckler & Koch AG von der luxemburgischen CDE Holding kontrolliert wird und bis 2002 sogar dem britischen Waffenhersteller BAE Systems gehörte, hatten wohl viele Kritiker vergessen.

Viele Abgeordnete fragen sich auch, ob Haenel mit seinen neun Mitarbeitern überhaupt in der Lage ist, diesen Großauftrag abzuarbeiten.

Die Frage allerdings, ob das Modell MK 556 technisch besser ist als das HK 433 oder HK 556 von Heckler & Koch oder mehr Punkte der Ausschreibung erfüllt, scheint nur wenige zu interessieren.

Unabhängig davon wird es am Ende wohl wieder einmal dauern, bis ein groß angekündigtes Rüstungsvorhaben umgesetzt werden kann. Denn dass Heckler & Koch alle juristischen Mittel ausreizen wird, scheint mehr als wahrscheinlich. Schließlich trübt ein dreistelliger Millionenbetrag die Bilanz der Waffenschmiede, und prestigeträchtige Aufträge, die zudem auch noch mehr als lukrativ sind, gibt es momentan auch nicht so viele.

Bis auf weiteres müssen also die Truppen in Mali oder Afghanistan mit dem G36 ins Gefecht ziehen. Problematisch scheint das nicht mehr zu sein. Denn die Kritik an der Waffe ist schon seit Jahren verstummt.

Weitere Artikel dieser Ausgabe