Jenseits von Islamophobie und Ignoranz

Wie wir gemeinsam hassvolle und antidemokratische Stimmen im Islamismus übertönen können

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PEER GRIMM DPA/LBN
Wer erhält einen Platz am Tisch? (Oder heute: Wer wird zugeschaltet?) Sitzung der Islamkonferenz 2. Mai 2007 in Berlin.
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PEER GRIMM DPA/LBN
Wer erhält einen Platz am Tisch? (Oder heute: Wer wird zugeschaltet?) Sitzung der Islamkonferenz 2. Mai 2007 in Berlin.

Jenseits von Islamophobie und Ignoranz

Wie wir gemeinsam hassvolle und antidemokratische Stimmen im Islamismus übertönen können

Als der Islamkritiker Hamed Abdel-Samad vor zwei Wochen seinen Austritt aus der deutschen Islamkonferenz ankündigte, wurde eine neue deutschlandweite Debatte losgetreten. Der Vorwurf lautete, der Staat biedere sich den Vertretern des politischen Islam an, wie etwa dem Erdogan-nahen DITIB – der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion. Parallel zu diesen Ereignissen entstand eine ähnliche Kontroverse in Österreich. Nach Razzien der sogenannten „Operation Luxor“ wird nun gegen 70 teils innenpolitisch einflussreiche Beschuldigte ermittelt, die angeblich ideologische und finanzielle Verbindungen zur Hamas und der Muslimbrüderschaft haben sollen.

Zahlreiche neue und alte Fragen wurden infolgedessen aufgeworfen: Haben europäische Regierungen tatsächlich die falschen Ansprechpartner gewählt? Sollte man sich besser mit anderen islamischen Organisationen und Vertretern an den Tisch setzen, die keinen außerstaatlichen Einflüssen unterworfen sind? Und: Wie kann man künftig mit muslimischen Gemeinden in Europa zusammenarbeiten?

Es gibt schon lange Berichte darüber, wie Länder wie Katar, die Türkei und Saudi-Arabien Muslimbrüder und Hamas-Mitglieder materiell und ideologisch unterstützen. Auch dass sie nicht nur einen konservativen Islam, sondern stark politisierte, radikale Strömungen des Islams fördern, ist kein Geheimnis. Doch zu welchem Grad Mitglieder islamistischer Organisationen es geschafft haben, in politische und kulturelle Einrichtungen in Europa vorzudringen, war vielen nicht bewusst. Metapolitische Infiltration ist eine Taktik, die sowohl rechtsradikale als auch islamistische Akteure verwenden, um subtil Einfluss auf Gesellschaftspolitik zu nehmen.

Jeder Moslem in Deutschland sollte sich frei und ermächtigt fühlen, seine Religion so liberal oder konservativ auszuleben, wie er oder sie möchte. Erst wenn Religion politische Dimensionen annimmt, wird es gefährlich – einerseits aufgrund der indirekten Einflussnahme durch fremde Staaten in Europas Innenpolitik, andererseits aufgrund der möglichen Inspiration von Angriffen gegen politische Feindbilder. Gerade die jüngsten Anschläge in Paris, Nizza, Dresden, Wien und Lugano haben gezeigt, dass der dschihadistische Terror nach wie vor eine reale Bedrohung für Europa darstellt.

Dabei ist es notwendig, sachlich und differenziert zu bleiben, damit rechtspopulistische Rhetorik, die alle Muslime unter Generalverdacht stellt und im Islam selbst den Feind sieht, keine Chance hat. Die allermeisten Muslime sind keine Islamisten, und die meisten Islamisten sind keine Dschihadisten. Es gibt 1,8 Milliarden Muslime weltweit, 4,6 Millionen davon leben in Deutschland. Ein kleiner prozentueller Anteil davon sind Islamisten, und ein noch kleinerer Bruchteil sind Dschihadisten. Der Verfassungsschutz geht von rund 28 000 Islamisten und etwa 600 gewaltbereiten islamistischen Gefährdern in Deutschland aus.

Doch das bedeutet nicht, dass man toxische Narrative und damit verbundenes Gewaltpotential einfach ignorieren kann. Während man den Fokus in Europa vor allem auf den unmittelbar bedrohlichen Dschihadismus legte, wurde die graduellere Gefahr des Islamismus leider oft nicht ernst genug genommen. Wie auch im Rechtsextremismus gibt es Radikalisierungswege, die im politischen Extremismus beginnen und in Gewalt enden. Die ideologischen Doktrinen von Ibn Taymiyya, Hasan al-Bannah oder Sayyid Qutb, die in islamistischen Netzwerken gelehrt werden, rechtfertigen Gewalt und gehen von einem unvermeidbaren Konflikt zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen aus.

Islamistischen Organisationen wie Hizb ut-Tahrir und Generation Islam sind offiziell nicht gewaltbereit. Dennoch bieten die Weltbilder, die sie verbreiten, und die Kommunikationsmethoden, die sie anwenden, oft Eingang in gewaltbereite Radikalisierung. Ihre Rolle ist mit der der Identitären Bewegung im Rechtsextremismus vergleichbar. Selbst verüben deren Protagonisten keine Gewalt, dennoch inspirieren sie mit ihren apokalyptischen Ideologien und Schwarz-Weiß-Weltbildern immer wieder Hassangriffe und Anschläge. Das Schüren von Opfer- und Feindnarrativen gelingt auch islamistischen Influencern im Netz wie Sven Lau und Pierre Vogel.

Wir brauchen einen politischen Weg zwischen Islamophobie und Ignoranz. Die Leugnung von Problemen im Zusammenhang mit politisch-radikalen Strömungen des Islams ist sowohl aus sicherheitspolitischer als auch aus demokratischer Sicht problematisch. Denn längerfristig könnte sie bedeuten, dass das Spielfeld rechtsextremen Akteuren und deren unverantwortlichen Lösungsvorschlägen überlassen bleibt.

Der erste Schritt muss sein, dass Muslime sich gehört und vertreten fühlen. Das bedeutet, ihren Stimmen mehr Gewicht zu geben – in den Medien, der Politik und der Wissenschaft. Aber eben den richtigen, den authentischen Stimmen, die nicht unter dem Einfluss anderer Länder stehen oder eine politische Agenda verfolgen. Es geht darum, gemeinsam hassvolle und antidemokratische Stimmen im Islamismus zu übertönen. Wir müssen der moderaten muslimischen Mitte dabei helfen, sich gegen radikale Stimmen aufzulehnen und eine bessere Lobby für Imame zu schaffen, die in Europa ausgebildet worden und mit den europäischen Grundwerten vertraut sind.

Genau wie sich jeder Deutsche dagegen wehren sollte, wenn im Namen des „Patriotismus“ rechtsextremer Fremdenhass geschürt wird, sollten sich Muslime empören, wenn ihre Religion für Gewalt und Hass missbraucht wird. Dazu brauchen wir vor allem mehr Selbstvertrauen unter jungen Muslimen, sich gegen radikale Tendenzen zu wenden – vor allem, wenn diese fälschlicherweise vorgeben, im Namen aller Muslime zu handeln.

Das Interesse ist da: Viele Muslime, mit denen ich im Rahmen meiner Recherchen gesprochen habe, haben auch genug vom Teufelskreis der gesellschaftlichen Spaltung. Am Ende sind es schließlich meist die muslimischen Minderheiten, die am stärksten unter den Konsequenzen der dschihadistischen Anschläge leiden: Fremdenhass und Islamophobie steigen erwiesenermaßen nach jedem islamistischen Terroranschlag an. Das ist das Gesetz der reziproken Radikalisierung.

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