Jetzt – oder besser später

Wie man ein Land nicht erneuert – oder Armin Laschets halbgare Hoffnung, niemanden mit der ökologischen Wirklichkeit zu verschrecken

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PICTURE ALLIANCE/DPA | MARIUS BECKER
Armin Laschet, lachend
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PICTURE ALLIANCE/DPA | MARIUS BECKER
Armin Laschet, lachend

Jetzt – oder besser später

Wie man ein Land nicht erneuert – oder Armin Laschets halbgare Hoffnung, niemanden mit der ökologischen Wirklichkeit zu verschrecken

Politische Kehrtwenden sind möglich, vor allem, wenn sie vernünftig sind. Als im März 2011 der japanische Atomreaktor Fukushima in die Luft flog, dauerte es keine drei Tage bis die Bundeskanzlerin Angela Merkel die gerade erst beschlossene Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke für drei Monate aussetzte. Wenig später ist klar: Es geht zu Ende mit der Atomkraft in Deutschland, und zwar viel schneller, als die Atomenergiewirtschaft sich das gewünscht hatte.

Dass Unfälle in Atomkraftwerken tödliche Folgen haben, war promovierten Physikerinnen natürlich schon vor dem Seebeben vor der japanischen Küste klar. Trotzdem hat es die Schreckensbilder aus Japan gebraucht, um den längst überfälligen Ausstieg aus der atomaren Hochrisikowirtschaft zu besiegeln.

Im Sommer 2021 reiht sich nun eine ganze Reihe von Katastrophen aneinander, die – jede für sich und erst recht alle zusammen – eine politische Kehrtwende zu wirklichem Klimaschutz auslösen müssten. Im Golf von Mexiko zerreißt eine Gaspipeline am Meeresboden und das Meer steht in Flammen, in Kanada wird es über 50 Grad heiß und Hunderte von Menschen sterben an der Hitze, in Kalifornien glüht die Erde und ganze Landstriche brennen. Während in den deutschen Wäldern die Dürreschäden der vergangenen heißen Sommer erst richtig sichtbar werden, verschlingt der Starkregen ganze Dörfer und reißt weit über hundert Menschen mit sich.

„Die Lage ist eine andere“, hat Merkel nach Fukushima gesagt. „Alles gehört auf den Prüfstand.“ Und genau das müsste sie jetzt wieder sagen – sie und jede andere Politikerin, die es ernst meint mit der Verantwortung für die Daseinsfürsorge ihrer Bürgerinnen und Bürger. Auch Armin Laschet müsste das jetzt sagen, als Kanzlerkandidat und als Ministerpräsident eines Landes, das von der Bedrohung durch Starkregen wusste und trotzdem Dutzende von Menschen nicht vor dem Ertrinken gerettet hat.

Laschet müsste sagen: „Wir haben in den vergangenen Jahren gehofft, dass die Warnungen der Wissenschaft vielleicht doch nicht so eintreffen. Aber jetzt haben wir gesehen, dass das naiv war. Und weil wir jetzt merken, dass die Veränderungen schneller kommen als gedacht, müssen wir auch schneller handeln als geplant.“

Es bräuchte ein solches klares Eingeständnis – anders kann er den Eindruck von kompletter Unkenntnis des Stands der Klimaforschung oder einer Abwehr wirkungsvoller (lebensrettender!) Politik wider besseres Wissen nicht zerstreuen. Laschets Talkshow-Satz „Aus irgendeinem Grund ist das Klimathema plötzlich ein weltweites Thema“ war eine Ohrfeige für alle verantwortungsvollen Bürgerinnen und Bürger, die sich als Unternehmerinnen, Forscher, Konsumentinnen oder ehrenamtlich in den vergangenen Jahrzehnten für Klimaschutz und Nachhaltigkeit eingesetzt haben – und davon gibt es viele, gerade auch in NRW. Laschets Satz hat Leugner und Querdenker bestärkt, die glauben, der Greta-Hype sei übertriebene Panikmache und man könne weitermachen wie bisher.

Die Rechtfertigungen des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten, er engagiere sich schon seit Jahrzehnten für Klimaschutz und NRW gehöre zu den Vorreitern bei der CO2-Reduktion, hat das alles noch schlimmer gemacht. Es wirkt, als wolle er den Eindruck erwecken, die CDU sei schon auf einem guten Weg zu mehr Klimaschutz – und im Übrigen könne alles weitergehen wie bisher.

Auch das Wahlprogramm von CDU und CSU verspricht – leicht widersprüchlich – „Stabilität und Erneuerung“ und macht große Versprechen von Aufstiegschancen und neuem Wohlstand, und es erweckt den Eindruck, als bräuchte es nur mehr Wettbewerb und Innovation, um die Sache mit leidigen CO2-Emissionen aus der Welt zu schaffen. 2045 soll Deutschland treibhausgasneutral werden, verspricht das Unions-Wahlprogramm. Und das scheint ganz einfach zu gehen, denn „dabei setzen wir auf neue Technologien und Innovationen.“ Der Emissionshandel soll es richten, und – schon wieder ein Versprechen – die Verbraucherinnen und Verbraucher sollen entlastet werden, die EEG-Umlage wird gestrichen.

Dabei haben die Dürren und Fluten längst gezeigt, wie sehr die von der CDU beschworene Stabilität gefährdet ist. Um in einer durch die Klima- und Biodiversitätskrisen zerrütteten Welt weitere Katastrophen abzuwenden, braucht es viel mehr als neue Technologien. Die Transformationsforschung zeigt, dass sich alle Bereiche des Lebens ändern müssen, wenn wir nicht von den multiplen ökologischen Krisen zerstört werden wollen. Dazu braucht es ganzheitliche Lösungen, die weit über Markt und globale Wettbewerbsfähigkeit hinausgehen.

Ein Beispiel: 2016 hat das – damals noch grünregierte – Umweltministerium NRW zu einer Tagung über Starkregen eingeladen, passenderweise in Münster, wo im Sommer 2014 ein Unwetter mit 292 Litern Niederschlag zwei Menschen getötet hatte.

„Vor uns die Sintflut“ hieß die Tagung, ich war als Moderatorin dabei und habe gelernt, dass wir eine komplett neue Stadtplanung brauchen, um mit den häufiger werdenden Extremwetterereignissen fertig zu werden. Städte müssten in Zukunft Schwammstädte werden, die große Mengen Wasser aufsaugen können und in Tropennächten kühlende Feuchtigkeit abgeben. Dazu müssen Flächen entsiegelt werden und es braucht viel Platz für Gewässer und Natur. Technische Innovationen wie wasserdurchlässiger Dränbeton wurden auch genannt – als ein Baustein einer umfassenderen Wende in der Stadtplanung.

Doch genau diese Erkenntnis – dass es viel mehr braucht als technologische Innovationen – mutet die CDU ihrer Wählerschaft nicht zu. Vielleicht denken Laschet und sein Team an die Leser der Bild-Zeitung, die entgegen aller wissenschaftlicher Evidenz behauptet, das Unwetter sei keine Folge des Klimawandels gewesen. Doch es ergibt langfristig keinen Sinn, die Augen vor den kommenden Krisen zu verschließen und überrascht zu tun, wenn die Menschen plötzlich auf die Straße gehen und Lösungen fordern.

Selbst die neu gegründete Klimaunion setzt auf diese merkwürdige Abwehrhaltung. Sie definiert sich als eine „ideologiefreie Plattform“ und als „Alternative zum linksideologischen Lager“, „zu Verzichtsdebatten und moralischer Überhöhung“, „auf Fakten statt Ideologie“ setzt. Übersetzt heißt das: Bei uns bekommt ihr Klimaschutz auch mit SUV, Fleisch und Flugreisen ad libitium. Und wenn die Grünen in die Debatte bringen, dass das vermutlich nicht gehen wird, dann behaupten die das nur, weil sie sich als Gutmenschen gerieren, und nicht etwa, weil Daten und Erfahrungen der vergangenen Jahre sehr deutlich dafür sprechen.

Das ist ebenso unlauter wie die Benzinpreisdebatte, die die SPD-Chefin Saskia Esken im frühen Wahlkampf angezettelt hatte, um den Grünen unsoziale Klimapolitik vorzuwerfen.

Um die Klimakrise auch nur halbwegs gut zu bewältigen, braucht es einen gesellschaftlichen Aufbruch, für den möglichst viele Menschen begeistert werden müssen. Mit Abwehrrhetorik gegenüber anderen Parteien und Akteuren, die das Thema vorher als Pioniere besetzt haben, kommt keine Partei weiter. Viel schlauer wäre es, das gesammelte Transformationswissen von kleinen Unternehmen und großen Forschungseinrichtungen, von regenerativen Bauernhöfen und CO2-neutralen Fabriken, von Unternehmenschefs und Ehrenamtlichen zusammenzutragen und daraus ein Zukunftsprogramm zu entwickeln, das dem großem Thema Umwelt- und Klimaschutz nicht ausweicht.

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