Keine Gräser auf der anderen Wiese

Ursachen der Welternährungskrise – Kriege, Konflikte, Klimawandel, Einkommen und Verfügbarkeiten

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SHUTTERSTOCK.DE/STANISLAUV
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Keine Gräser auf der anderen Wiese

Ursachen der Welternährungskrise – Kriege, Konflikte, Klimawandel, Einkommen und Verfügbarkeiten

Bereits vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine war die globale Ernährungslage fragil. Seit dem Jahr 2015 ist keine Reduzierung der Zahl der hungernden Menschen mehr zu verzeichnen. Die Pandemie mit ihren gesundheitlichen, aber im globalen Süden vor allen mit ihren wirtschaftlichen Folgen, hat dazu geführt, dass die Zahl der hungernden Menschen schon seit 2019 wieder ansteigt. Auch wenn in verschiedenen Teilen der Welt dieser Anstieg zu beobachten war, sind besonders afrikanische Länder betroffen. Für diese Länder wird geschätzt, dass 2020 bis zu 60 Prozent der Bevölkerung gezwungen waren, die Menge der von ihnen verzehrten Nahrungsmittel zu reduzieren – oder schlichtweg zu hungern. Im südlichen Asien, besonders in Indien, ist die Lage kaum besser.

In der Corona-Krise haben die Lockdowns dazu geführt, dass etablierte landwirtschaftliche Lieferketten lokal, aber auch global aus dem Takt kamen. Dies spiegelt sich bereits seit dem Jahr 2020 in einem kontinuierlich ansteigenden globalen Lebensmittelpreisindex wider. Der Krieg ist jetzt ein zusätzlicher Faktor, der die Situation auf den globalen Märkten eskalieren lässt. Die Ernährungskrise verschlechtert nicht nur eine schon schlimme Situation in Ländern, in denen Hunger und Mangelernährung seit vielen Jahren Realität ist, sondern droht jetzt auch auf weitere Länder etwa in Nordafrika überzugreifen, wo zumindest in den vergangenen Jahren die Ernährungssituation relativ stabil war.

Hunger und Mangelernährung können der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen zufolge entstehen, wenn entweder das Einkommen fehlt, um ausreichend nahrhafte Lebensmittel kaufen zu können, oder ihre Verfügbarkeit nicht gegeben ist. Gerade Konflikte und Bürgerkriege, aber auch Wetterextreme sind Ursachen. Hierdurch wird die lokale landwirtschaftliche Produktion eingeschränkt, was sich wiederum negativ auf die lokale kurz- und mittelfristige Verfügbarkeit von Lebensmitteln auswirkt. Oft verstärken sich die Probleme von Armut, Krieg, Klimawandel und politische Instabilität auch gegenseitig.

Auch wenn die politische Situation stabil ist, ist zusätzlich oft in weniger entwickelten Ländern eine politische Vernachlässigung der heimischen Agrar- und Ernährungswirtschaft und insbesondere der Produktion von Grundnahrungsmitteln zu beobachten. Lieferketten für Exportprodukte – Kakao, Kaffee, Früchte oder Tee – stehen hingegen oft deutlich stärker im politischen Fokus. Dabei fehlt es gerade in der Produktion von Grundnahrungsmitteln oft an mangelnder politischer und privatwirtschaftlicher Koordination und Professionalisierung entlang der Wertschöpfungskette. Gerade benachteiligte Gruppen werden nicht einbezogen, dabei sind die Produktionsbedingungen für sie besonders schlecht – und bedürften schon allein unter schnöden Effizienzerwägungen dringend der Verbesserung. Unzureichende Transportbedingungen und Energieversorgung führen dann zusätzlich dazu, dass Kühl-, Verarbeitungs- und Verpackungsmöglichkeiten fehlen oder nicht richtig funktionieren. Lebensmittel sind lokal nicht verfügbar, verfallen, gehen kaputt – ein Jammer. Zu allem Übel kommt hinzu, dass gerade die Rollen von Frauen in der Produktion und Verarbeitung von Grundnahrungsmitteln, aber auch für die Ernährungssituation im familiären Haushalt, in ihrer Bedeutung nicht erkannt wird.

Die fehlende lokale Verfügbarkeit könnte durch regionalen und globalen Handel mit Agrar- und Lebensmittelproduktion kompensiert werden. Aber gerade im regionalen Agrarhandel gibt es zum Beispiel in vielen Regionen Afrikas noch viele Hürden, und er ist in der jetzigen Krise, wo die knappe Verfügbarkeit viele Länder in Afrika gleichermaßen trifft, auch nur von untergeordneter Bedeutung für die Problemlösung.

Daher ist es nötig, den Blick auf die globalen Verfügbarkeiten von Grundnahrungsmitteln zu werfen. Aufgrund der extremen Preisanstiege sind jedoch selbst verfügbare Lebensmittel deutlich teurer geworden, was das oben diskutierte Problem fehlenden Einkommens wieder in den Blick rückt. Nur eine Erhöhung der globalen Verfügbarkeit kann die Preiseskalation beenden. Dies ist umso wichtiger, da Agrarmärkte nur unflexibel und zeitversetzt reagieren können, was auch bei geringen Mengenausfällen schnell zu hohen Preisausschlägen führt.

Kurzfristig könnten geringere Bioenergie-Beimischungsanforderungen weiteres schon vorhandenes Getreide verfügbar machen. Ein Verzicht auf die Nutzung von Exportrestriktionen in Getreide exportierenden Ländern erlaubt eine kontinuierliche Belieferung der globalen Märkte und könnte die aufgeheizten Märkte etwas beruhigen. Weniger Getreide in der Tierfütterung kann ebenfalls helfen, jedoch ist zu erwarten, dass diese Substitutionseffekte aufgrund der hohen Getreidepreise zum Teil schon erfolgt sind. Die Krux ist zugleich, dass ein mittelfristiger Abbau von Tierbeständen, zu – wie es agrarwissenschaftlich heißt – Erntemengen-relevanten Wechselbeziehungen zwischen der verringerten Verfügbarkeit von tierischem Wirtschaftsdünger und mineralischem Dünger führen kann. Oder einfacher: Alles hängt mit allem zusammen.

Weiterhin könnte die globale Verfügbarkeit kurzfristig auch durch das Freisetzen von Getreidelagerbeständen erreicht werden.

Mehr Getreide könnte zur Verfügung stehen, wenn man an die Lagerbestände ginge. Da jedoch weltweit mehr als 50 Prozent dieser Bestände in China lagern, ist die Frage, ob man dort nicht die eigene Versorgung sichern will, von politischen Implikationen neuer Deals mit Präsident Xi Jinping ganz zu schweigen.

Damit bleiben nach dem (Teil-)Ausfall der Ukraine, neben Russland, noch die klassischen Getreideexportländer aus den G7 wie USA, Kanada, Australien, EU sowie weitere Länder wie zum Beispiel Argentinien, die zumindest mittelfristig für eine erhöhte Verfügbarkeit am Weltmarkt sorgen könnten. Allein können diese Getreideexportländer jedoch auch nicht die Welternährung sichern.

Keine Frage, die kurzfristige Versorgung der ernährungsunsicheren Länder ist von höchster Dringlichkeit. Die nachhaltige und inklusive Intensivierung und Professionalisierung der landwirtschaftlichen Produktion in den Ländern des globalen Südens und die Bekämpfung des Klimawandels zur Erhaltung des globalen landwirtschaftlichen Produktionspotentials ist es zugleich nicht weniger.

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