Klare und unklare Verhältnisse

Editorial des Verlegers

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Klare und unklare Verhältnisse

Editorial des Verlegers

Liebe Leserinnen und Leser,

die Exegese der 177 Seiten Absichtsprosa hat den Berliner Betrieb diese Woche wie nicht anders zu erwarten in Wallung gebracht. Der Hauptstadtbrief macht deshalb mit einem Beitrag auf, der sich mit einer Angelegenheit befasst, die die Ampel kaum mit wohlklingenden Absichtserklärungen auf später wird verschieben können. Meron Mendel macht mit einem mutigen und klaren Kommentar darauf aufmerksam, dass die AfD, der bisherigen Praxis folgend, Anspruch auf Millionen für ihre parteinahe Desiderius-Erasmus-Stiftung beantragen kann, so wie die anderen Parteien für ihre Adenauer-, Ebert-, Böll-, Naumann-, Seidel- und Luxemburg-Stiftungen. Mendel beklagt deswegen auch nicht nur die menschenverachtenden Äußerungen und radikale Positionen in der AfD, sondern auch die Versäumnisse der anderen Parteien, mit einem Stiftungsgesetz für klare Verhältnisse zu sorgen, auch – oder gerade – wenn dies mit Einschränkungen und Beschwernissen der Arbeit der anderen Stiftungen einherginge. Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt und Kassel, macht deutlich, dass die Parteien nicht einfach „stiften gehen“, sich aus der Verantwortung stehlen und sich um ein Gesetz drücken könnten, obwohl ihnen klar sei, wohin die Gelder der Erasmus-Stiftung sonst flössen: „in rechte Netzwerke, in Hass, Hetze und Menschenverachtung“.

Im zweiten Essay dieses HSB schreibt Johannes Grotzky, einer der bedeutendsten deutschen Experten für die Staaten Osteuropas, über das fragile Staatswesen Bosnien. Grotzky, Autor mehrerer lesenswerter Bücher zum Thema und Hörfunkdirektor beim Bayerischen Rundfunk, schreibt das, was im Englischen so unnachahmlich primer genannt wird, Erklärung, Einordnung, ein Auf-den-neuesten-Stand-Bringen zu einem Thema, das kaum genug Beachtung findet in der Berichterstattung.

Günter Bannas schreibt in seiner Kolumne Aus dem Bannaskreis über her majesty’s opposition, in der es um mehr als einen Erbfolgestreit zwischen dem Nebenbuhler vor Urzeiten, dem einst in Ungnade gefallenen Verstoßenen und dem letzten Getreuen geht.

Anne Wizorek erinnert daran, dass es in diesen dunklen Tagen der pandemischen Not dringend geboten ist, uns besser um die Schwachen und Gefährdeten und weniger um die allzu Lauten zu kümmern. Dass dies nicht nur aus pragmatischen Gründen angebracht, sondern auch – in der besten Bedeutung des Wortes – moralisch klug und gut ist, macht Wizorek in ihrer Direktnachricht eindrucksvoll deutlich.

Im Postskriptum Lutz Lichtenbergers zu guter Letzt geht es um die anhaltend erschreckenden Verrenkungen und Absurditäten, mit denen selbst die Senatoren der republikanischen Partei in den USA mit intellektuellem Anspruch noch dem Ex-Präsidenten huldigen.

Mit herzlichen Grüßen verbleibe ich bis zur nächsten Woche

Ihr Detlef Prinz

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