Kollektive Aufmerksamkeiten

Editorial des Verlegers

13
03
13
03

Kollektive Aufmerksamkeiten

Editorial des Verlegers

Liebe Leserinnen und Leser,

unverändert lesen wir täglich mit Schrecken die Schlagzeilen über das Kriegsgeschehen in der Ukraine. Wiederaufgenommene erste Gespräche geben vorsichtig Hoffnung, die dann schnell wieder von Berichten über zivile Opfer im Kampfgebiet zunichtegemacht wird.

Was jetzt tun? Wir haben Michael Schaefer, lange Jahre Diplomat in Diensten des Auswärtigen Amtes, gebeten, die taktischen und strategischen Kalküle Peking vis-à-vis Russland und dem Westen für diese Ausgabe des Hauptstadtbriefs zu analysieren. Schaefer, zuletzt deutscher Botschafter in China, betont, dass Deutschland, bei allen widersprüchlichen Signalen, Peking nicht einfach als Bündnispartner des Kremls einordnen sollte, da gerade China derzeit allein in der Lage zu sein scheint, Putin einen gesichtswahrenden Rückzug zu ermöglichen.

Viel ist in den vergangenen Tagen darüber gesprochen worden, dass die Welt nur mit einer einzigen Großkrise zur gleichen Zeit umgehen kann – man müsste hinzufügen: Ja, nicht einmal wirklich das. Die alles andere als ausgestandene Pandemie etwa wird derzeit bis in die Koalitionsparteien hinein wie Schnee von vorgestern behandelt. Aber auch, was die kollektive Aufmerksamkeit für Kriegsregionen und die Folgen für eine Gesellschaft betrifft, neigt die Welt zum schnellen Vergessen. Es ist kaum mehr als ein halbes Jahr her, dass der Abzug der westlichen Truppen und die Rückkehr der Taliban in Afghanistan Angst und Schrecken und in der Politik Händeringen und Schulterzucken hervorriefen. Im zweiten Beitrag dieses HSB berichtet Thomas Rudhof-Seibert über die angespannte Lage vor Ort und erinnert uns daran, dass auch nach dem Ende aktiver Kampfhandlungen echter Frieden, um von Freiheit erst gar nicht zu sprechen, noch weit entfernt ist.

Günter Bannas stellt in seiner Kolumne Aus dem Bannaskreis der Ampel-Koalition nach 100 Tagen, angesichts der alles andere als einfachen Umstände, ein solides Zeugnis aus – und erinnert zugleich daran, dass große, in Verträge gegossene Pläne sehr schnell Makulatur werden können – und Regieren im Krisenmodus der Normalfall geworden ist.

Inge Kloepfer wirft ihren Zweiten Blick auf die Frage, die in diesen Tagen inoffiziell und in kleinen Gruppen so häufig diskutiert werden dürfte wie keine andere: den Tyrannenmord.

Im Postskriptum würdigt Lutz Lichtenberger den russisch-amerikanischen Reporterstar des New Yorker Masha Gessen.

Mit herzlichen Grüßen verbleibe ich bis zur nächsten Woche

Ihr Detlef Prinz

Weitere Artikel dieser Ausgabe