Lastenfahrrad­fahrvergnügen

Kein Sektor hat beim Klima so versagt wie der Verkehr. Aber das Elektroauto ist keine gute Alternative

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PICTURE ALLIANCE/DANIEL KUBIRSKI
In Mannheim steht die Fabrik – und stehen die Autos.
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PICTURE ALLIANCE/DANIEL KUBIRSKI
In Mannheim steht die Fabrik – und stehen die Autos.

Lastenfahrrad­fahrvergnügen

Kein Sektor hat beim Klima so versagt wie der Verkehr. Aber das Elektroauto ist keine gute Alternative

Die Bilanz fällt deprimierend aus. Im Verkehr ist der Ausstoß des Klimakillers CO2 zwischen den Jahren 1990 und 2016 in Deutschland auf konstant schlechtem Niveau praktisch gleich geblieben. Kein anderer Sektor hat bei der Verringerung von Klimagasen so versagt wie der Verkehr. Jetzt soll er, so war es auf dem Pariser Klimagipfel vereinbart worden, bis 2030 mindestens 40 Prozent einsparen. Eine Herkules-Aufgabe, die fast aussichtslos erscheint. Schon 30 Prozent Abnahme wären ein Erfolg, aber dringend notwendig, zumal die globale Perspektive nichts Gutes verheißt. Die nachholende Massenmotorisierung in Asien, Afrika und Südamerika erhöht Tag für Tag den Druck auf den Planeten.

Königsinstrument für die jetzt überall ausgerufene Verkehrswende ist das Elektroauto. Automobilindustrie und Politik haben sich ganz auf den neuen elektrischen Antrieb fokussiert, der klimaschädliche fossile Verbrenner ist zum Auslaufmodell erklärt worden. „Elektromobilität auf der Überholspur“ heißt es jetzt – jedes siebte neu zugelassene Auto in Deutschland war 2020 ein Elektrofahrzeug, teilt das Kraftfahrbundesamt mit. Gibt es womöglich doch noch ein Happy End in der Tiefgarage? Auf der Internationalen Automobilausstellung in München werden aktuell ebenfalls die neuen E-Modelle nach vorne geschoben, auch wenn die Branche ihr Geld immer noch und auch in den nächsten Jahren hauptsächlich mit Verbrennern verdient, bei VW machen sie mehr als 95 Prozent der Flotte aus.

Originalverpackt und unbenutzt

Die neuen Elektromodelle auf der IAA verlieren allerdings schnell ihren Glanz, sobald man etwas näher hinschaut. Viele Elektroautos sind gar keine, sondern Plug-in-Hybride, die sowohl mit fossilem Treibstoff als auch elektrisch fahren. In der Statistik tauchen sie als Elektrofahrzeuge auf und werden entsprechend üppig gefördert. Der reale Fahrbetrieb entlarvt diese Fahrzeugklasse als klimaschädliche PS-Monster – darunter auffallend viele SUVs –, die überwiegend fossil unterwegs sind. Bei nicht wenigen Fahrzeugen liegt das Ladekabel originalverpackt und unbenutzt im Kofferraum.

Zwei Drittel der Plug-in-Autos schaffen nicht einmal 60 Kilometer mit ihrem elektrischen Alibi-Antrieb. Mehr als drei Viertel sind Dienstwagen, die auf Langstrecken im reinen Verbrenner-Modus unterwegs sind. Mit einer martialischen Leistung von durchschnittlich 280 PS und 1956 Kilogramm Gewicht verbrauchen diese Fahrzeuge im Schnitt fast acht Liter Sprit, in der Spitze bis zu elf Liter. Selbst wenn die Autos bei vollem Akku elektrisch fahren, schaltet sich bei höherer Geschwindigkeit und starker Beschleunigung der Verbrenner dazu. Der Boom der Plug-in-Hybride, die mehr als die Hälfte der 2020 neu zugelassenen Elektroautos ausmachen, gefährdet die Klimaziele. Umweltprämien für solche übergewichtigen leistungsprotzenden Fahrzeuge sind staatlich subventionierter Irrsinn.

Irrsinn und Fehlsteuerung

Wie fehlgesteuert der Verkehrssektor ist, offenbart auch der Blick auf den Bundesverkehrswegeplan, der die Zukunft des Verkehrs plant. Was passiert dort? Das Volumen des automotorisierten Fahrens von Personen und Waren wird überhaupt nicht hinterfragt, moniert der Kasseler Verkehrswissenschaftler Helmut Holzapfel. Es soll weiter und immer weiter zunehmen. Extrem ist vor allem das unterstellte Wachstum des Straßengüterverkehrs um 39 Prozent bis 2030 gegenüber dem Basisjahr 2010. Jährliche Wachstumsrate: drei Prozent, weiterer Straßenbau inklusive.

Wie soll der Güterverkehr auf der Straße bei diesem vermuteten rasanten Wachstum in demselben Zeitraum um 40 Prozent Klimaemissionen einsparen? Es gibt weder Oberleitungen noch einen effizienten Batteriebetrieb im Güterfernverkehr. Auch der grüne Wasserstoff bietet keine ernsthafte Perspektive für einen baldigen Großeinsatz in der LKW-Flotte, zumal bei der Umwandlung des eingesetzten grünen Stroms enorm viel Energie verloren geht.

Industriezweig mit Subventionsanspruchsmentalität

Der Auto-Personenverkehr soll ebenfalls weiter zulegen – um ein Prozent in jedem Jahr. Damit stehen alle Wegweiser auf „volle Fahrt voraus“ für den motorisierten Verkehr, inklusive eines niedrigen Benzinpreises, der gegenwärtig im Bundestagswahlkampf gleich von mehreren Parteien als sakrosankt erklärt wurde. Die Bepreisung des Klimagases CO2 wird zwar von allen seriösen Parteien rhetorisch unterstützt, aber wenn dann der Benzinpreis steigt, beginnen sofort die Rückzugsgefechte, der Autofahrer wird unter Naturschutz gestellt.

Im besonders klimaschädlichen Luftverkehr, der jetzt von Corona ausgebremst wurde, geht die Politik ebenfalls von saftigen Steigerungsraten aus. Passagieraufkommen und Flugkilometern sollen jährlich um fünf Prozent zulegen. Die Bundesregierung hat bisher nichts getan, um diese verheerende Entwicklung zu stoppen. Im Gegenteil: Die Luftfahrtbranche wird unverändert stark subventioniert und CDU wie SPD wollen nichts gegen innerdeutsche Flüge unternehmen, wie sie gerade im Wahlkampf erklärt haben.

Tempo 130: Win-Win-Win für Klima, Verkehrssicherheit und Verkehrsfluss

Wo bleibt die gute Nachricht? Zumindest in den Großstädten nimmt die Verkehrswende Fahrt auf. Dort wird der Straßenraum neu verteilt, dort scheint sich die jahrzehntelange Symbiose – man könnte es auch Gefangenschaft nennen– zwischen Politik und Automobilindustrie langsam aufzulösen. Die aktive Mobilität, also Fuß- und Radverkehr, fordert immer selbstbewusster ein größeres Kuchenstück und bekommt tatsächlich mehr Platz zu Lasten des Stehzeugs Auto. Auch im Ausland. Paris exekutiert Tempo 30 wie auch die spanischen Metropolen. London verbietet den Bau weiterer Tiefgaragen, Singapur erklärt weniger Autos zum Ziel amtlicher Verkehrspolitik. Schnellwege, breitere und bessere Spuren und Stellflächen für Fahrräder, mehr Tempo-30-Zonen sind vielerorts on track. Wären deutsche Kommunen verkehrspolitisch durch Bundesgesetze weniger geknebelt, würde alles noch deutlich schneller gehen. In allen einschlägigen Städte-Rankings wird die fahrradfreundliche Stadt hoch bewertet.

Und noch eine erfreuliche Entwicklung. Beim Tempolimit auf Autobahnen bahnt sich eine Wende an. Automobilindustrie und die Politik scheinen sich damit abgefunden zu haben, dass bei einer Regierungsbeteiligung der Grünen Tempo 130 kommt – nach allen wissenschaftlichen Untersuchungen ein deutliches Plus für Klima, Verkehrssicherheit und Verkehrsfluss.

Verwelkte Wunschmaschinen

Es wäre auch ein symbolischer Schritt, um das Auto zu zähmen und die Dominanz dieses individuellen Massenverkehrsmittels ein wenig zurückzudrängen. Denn auch Elektroautos beziehen einen großen Teil ihrer Energie in den nächsten Jahren aus fossilen Quellen. Der grüne Strom von Wind und Sonne ist knapp; er wird auch für andere Sektoren dringend gebraucht.

Fazit: Das bestehende Verkehrsparadigma mit seinem permanenten Wachstum und dem entfernungsintensiven Verhalten der Menschen muss umgedacht werden. Weniger Autos, weniger Lastwagen, weniger gefahrene und geflogene Kilometer – das wären die Zutaten einer echten Verkehrswende, dazu eine Offensive für die Bahn und für öffentliche Verkehrsmittel, für Sharing-Modelle und vor allem für den Fahrrad- und Fußverkehr. Davon sind wir zwar weit entfernt, aber zumindest bei den jungen Leuten verliert das eigene Auto als glitzernde Wunschmaschine dramatisch an Attraktivität.

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