Lukaschenkos Luftnummer

Es käme auf Deutschland an, in der EU für intelligente Sanktionen gegen Minsk zu sorgen

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PICTURE ALLIANCE/HANS PUNZ
Alexander Lukaschenko
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Alexander Lukaschenko

Lukaschenkos Luftnummer

Es käme auf Deutschland an, in der EU für intelligente Sanktionen gegen Minsk zu sorgen

Jagdszenen im Wilden Osten: Ein EU-Inlandsflug von Griechenland nach Litauen der irischen Ryanair wird über Belarus mit einer fingierten Bombendrohung, angeblich von der radikalislamischen Hamas „aus der Schweiz“ (Machthaber Alexander Lukaschenko) gesandt, und von einem MiG-Kampfjet zur Landung in Minsk gezwungen. Dort werden der belarussische Journalist und Oppositionelle Roman Protassewitsch und seine russische Freundin Sofia Sapega festgenommen.

Nur wenige Stunden später erscheinen von beiden Selbstbezichtigungsvideos auf Social-Media-Kanälen. „Das Verhalten der Sicherheitskräfte mir gegenüber ist so korrekt wie nur möglich und gesetzeskonform“, sagt Protassewitsch, dem offenkundig ins Gesicht geschlagen worden war, mit zittriger Stimme. „Ich arbeite weiter mit den Ermittlern zusammen und habe gestanden, Massenunruhen in Minsk organisiert zu haben.“ Unten rechts im Bild, wie absichtlich hineingeschoben, war eine Packung Zigaretten samt gelber Streichholzschachtel zu sehen. Die Produzenten des Geiselvideos wollten wohl subtil die Botschaft mitsenden: Schaut mal, er darf sogar rauchen!

Nun ist Subtilität nicht die Sache des Lukaschenko-Regimes. Kompetenz, beim Betrug oder in anderen Fällen, auch nicht. So plump, wie man vergangenen August zu Werke ging, um den Wahlsieg von Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja in eine 80-Prozent-Unterstützung für „Europas letzten Diktator“ zu verdrehen, handelte man auch bei der Entführung der Ryanair-Maschine. So wurde die angebliche Droh-Mail erst abgeschickt, nachdem der Tower in Minsk die Piloten bereits zur Notlandung in Belarus aufgefordert hatte.

Per Luftpiraterie ist Lukaschenko einer seiner größten Hassfiguren habhaft geworden: Protassewitsch ist Mitgründer des Nachrichten- und Oppositionskanals Nexta, der mittlerweile aus Warschau operiert. Er gehört zu den meistgenutzten Kanälen der in Belarus (und Russland) sehr populären Telegram-App. Nexta berichtete über die Aktivitäten der Opposition, dokumentierte Gewaltverbrechen des Regimes und war seit der Wahlfälschung wichtiges Organisationsinstrument für die Proteste gegen Lukaschenko – ein seltenes Beispiel für die freiheitliche Wirkung des Internets, von der in den 1990er-Jahren so viel zu hören war. In den Händen kompetenter Autokratien ist das Internet heute meist ein Überwachungs- und Unterdrückungsinstrument.

Dass sich Lukaschenko, seit 27 Jahren an der Macht, durch Nexta besonders herausgefordert fühlte, ist nicht verwunderlich, dass er die Entführung der Passagiermaschine persönlich anordnete, mehr als wahrscheinlich. Unberechenbar zu sein gehört zu Lukaschenkos außenpolitischem Muster, mit dem er sich bis vergangenen August der Umarmung durch Wladimir Putins Russland zu erwehren versuchte. Seit seine Diktatur aber keine Legitimität mehr hat, ist er gänzlich auf den russischen Präsidenten angewiesen. China, das Belarus als Knotenpunkt der „neuen Seidenstraße“ vor den Toren der EU aufbauen wollte, hält sich seit der Unterdrückung der Massenprotesten im Hintergrund; ein vom europäischen Binnenmarkt abgeschottetes Land wäre für Peking kaum noch von Interesse.

Dass Lukaschenkos Wendung nach Moskau allein dem eigenen Machterhalt dienen soll, ergibt sich auch aus der Tatsache, dass sie erfolgte, noch bevor die Europäische Union überhaupt erste Sanktionen verhängte. Seit August sind alle vorher regelmäßig stattfindenden Kontakte zu europäischen Botschaften und der EU abgebrochen. Für den Machthaber in Minsk ist das lange umworbene Europa schon länger Feind Nummer eins.

Die EU reagierte stark und geschlossen. Der Europäische Rat einigte sich schon am späten Pfingstmontag, gut 24 Stunden nach dem Vorfall, unter anderem auf verschärfte Sanktionen, die dieses Mal auch bestimmte Sektoren der belarussischen Wirtschaft treffen sollen. Am schnellsten wirkten sich die von der EU verfügte Meidung des belarussischen Luftraums und ein praktisches Überflug- und Landeverbot für die staatliche Luftfahrtgesellschaft Belavia aus. „Europe in action“, kommentierte EU-Ratspräsident Charles Michel auf Twitter eine Landkarte mit aktuellen Flugbewegungen, die über Belarus ein großes Loch aufzeigte.

Doch noch weit mehr „Action“ ist gefragt. Denn Lukaschenko zu treffen, nicht aber die belarussische Bevölkerung, erfordert Präzision, enge Koordinierung und die Bereitschaft, selbst wirtschaftliche Nachteile zu erleiden – eine geoökonomische Herausforderung wie gemacht für die deutsche Außenpolitik. Denn für Deutschland, mit Abstand der größte europäische Handelspartner Belarus’, sowie für Polen, Schweden und die baltischen Staaten gibt es viele Möglichkeiten, gezielt wirtschaftlichen und finanziellen Druck aufzubauen – bei gleichzeitiger Hilfe für die belarussische Zivilgesellschaft (die bei einem lange anhaltenden Flugverbot im Land eingesperrt würde).

Die deutsche Außenpolitik braucht nun vor allem einen langen Atem. Schon Ende vergangenen August warnten Milan Nič, Cristina Gherasimov und András Rácz von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik vor Erwartungen, dass sich die Lage in Belarus schnell verändern werde oder lasse. Nach der brutalen Unterdrückung der friedlichen Proteste werde das Land unter der Lukaschenko-Diktatur wahrscheinlich erst einmal weiter erstarren.

Dass die Aufgabe, ein intelligentes Sanktionsregime gegen einen internationale Regeln brechenden Diktator aufzubauen, schwierig ist, sollte aber kein Grund sein, sie nicht engagiert anzugehen. Deutschland und die EU können dabei wichtige Lehren für den zukünftigen Umgang mit Putins Russland ziehen. Dass der Kreml diese Woche die drei deutschen Nichtregierungsorganisationen Deutsch-Russischer Austausch, das Forum Russischsprachiger Europäer und das Zentrum für die Liberale Moderne als „unerwünschte ausländische Organisationen“ mit einem Betätigungsverbot belegte, ist ein deutliches Signal dafür, wohin die russische Regierung das Verhältnis steuert. Die größere Abschottung dürfte sich mit aggressiveren Aktionen nach außen paaren.

Das Ausmaß, mit dem der Kreml die Lukaschenko-Diktatur in nächster Zeit unterstützt, wird ein wichtiger Gradmesser werden. Die Stornierung französischer und österreichischer Frachtflüge nach Moskau, die belarussischen Gebiet umfliegen wollten, seitens der russischen Behörden dürfte nur ein erster Testballon gewesen sein. Die Abwägungsentscheidung, ob es nicht doch in Russlands Interesse wäre, in Minsk einen Machtwechsel herbeizuführen, solange die belarussische Opposition zwar prodemokratisch, aber nicht antirussisch ist, muss allein der Herr im Kreml treffen.

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