Mit dem Geschenk der Versöhnung

Es ist und bleibt wichtig, die gemeinsamen Fundamente Deutschlands und Russlands zu stärken

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PICTURE ALLIANCE/ALFRED HENNIG
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PICTURE ALLIANCE/ALFRED HENNIG

Mit dem Geschenk der Versöhnung

Es ist und bleibt wichtig, die gemeinsamen Fundamente Deutschlands und Russlands zu stärken

Zwei Ereignisse des Jahres 2021 geben Anlass, über die deutsch-russischen Beziehungen resümierend, aber auch mutig nach vorne gerichtet nachzudenken: Am 22. Juni 2021 jährt sich der Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion zum 80. Mal. Ein Datum und zugleich Gedenktag, der uns verbindet und vor Augen führt, welche immense historische Verantwortung wir heute als nachfolgende Generationen haben, den Frieden zu bewahren und auf internationaler Ebene konstruktiv zusammenzuarbeiten.

Und dann der heutige 2. März vor 90 Jahren: An diesem Tag wurde Michail Sergejewitsch Gorbatschow, Vater von Glasnost und Perestroika, in Stawropol im Nordkaukasus geboren. Ein Mann, der in keiner Erzählung, insbesondere über Deutsche und Russen, fehlen darf. In der Bundesrepublik Deutschland verehrt, in der heutigen Russländischen Föderation immer noch erheblichen Anfeindungen ausgesetzt. Verantwortlich für den Fall des Eisernen Vorhangs, für die Chance der Wiedervereinigung. Oder wie er selbst sagte: „Ich habe an die Türen der Geschichte geklopft, und sie taten sich auf.“

Es ist aus unserer Perspektive wichtig, dass in diesem Jahr ein 80. Jahrestag besondere Aufmerksamkeit findet. Der 22. Juni 1941 war der Auftakt eines grauenvollen Vernichtungsfeldzuges mit am Ende 27 Millionen Toten auf Seiten der damaligen Sowjetunion. Schuld daran trugen Deutsche, und wir Nachgeborene können nur in stiller Demut der Toten gedenken und uns zur historischen Verantwortung unseres Landes bekennen. Dass heute Parteien von Sergej Lawrow hofiert werden, die die damalige Zeit als „Vogelschiss der Geschichte“ bezeichnen, verstört uns vor diesem Hintergrund unserer gemeinsamen Geschichte sehr. Insbesondere, da Teile dieser neuen Rechten den Besiegten von einst in nichts nachstehen.

Wir erinnern daran, dass sehr viele der alliierten Soldaten der Roten Armee, die nicht mehr zu ihren Familien nach Hause zurückkehrten und noch heute namenlos auf deutschen Friedhöfen liegen, aus Moskau, Minsk, Kiew, Almaty – aus der gesamten Sowjetunion also – kamen. Sie hatten entscheidenden Anteil am Sieg der Alliierten aus West und Ost.

Dass Russen, Belarussen, Ukrainer schließlich zur Versöhnung mit den Deutschen bereit waren, ist ein großes Geschenk. Auch Michail Gorbatschow war dazu bereit. Für ihn waren in den 1980er-Jahren die deutsch-sowjetischen Beziehungen entscheidend. Sie waren aus seiner Sicht bedeutsam für die Zukunft Europas, ja, der ganzen Welt, wie er es damals in einem Interview mit dem Spiegel hervorhob.

Er war bereit für Aussöhnung und Frieden. Er war bereit, den Worten Willy Brandts Glauben zu schenken, dass wir ein Volk guter Nachbarn sein wollen. Dass Frieden nicht alles ist, aber ohne Frieden alles nichts ist.

Heute sind unsere Zivilgesellschaften trotz politischer Differenzen eng miteinander verbunden und stehen in stetigem Austausch miteinander. Dass wir Deutsche heute mit offenen Armen empfangen werden, ist vor dem Hintergrund unserer Geschichte keine Selbstverständlichkeit. Wenn der eigene Großvater noch als junger Soldat an die Ostfront geschickt wurde und verwundet zurückkam und der Enkel heute in Freundschaft an dieselben Orte reist, dann zeigt dies, welche Kraft Versöhnung haben kann und wie wichtig es war, dass sich unsere Völker die Hände gereicht haben. Gleiches gilt, wenn der eigene Vater als achtjähriger Junge aus dem damaligen Ostpreußen vor der Roten Armee fliehen musste und daraus die bis heute andauernde Grundüberzeugung gewachsen ist, dass Russen und Deutsche für alle Zeiten ihre Freundschaft vertiefen sollten. Ja, dass die Mauer, die uns in unserem Land trennte, dank Michail Gorbatschow fiel.

Allerdings ist der politische Dialog zwischen Deutschland und Russland bekanntlich heute nicht einfach. Die europäische Friedensordnung, die als sichtbares Ergebnis der Ostpolitik Willy Brandts und Egon Bahrs die Prinzipien der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit sowie des Europarats zur Grundlage hat, wird von Russland verletzt. Die frühere Normalität kann es deshalb nicht so einfach wieder geben. Ostpolitik ist heute nicht mehr national, sondern europäisch.

Die Herausforderungen sind groß. Doch die Wahl von Joe Biden bietet Chancen. Dennoch verstört es uns sehr, wenn heute Teile der Partei Die Grünen und ihr nahestehender Think-Tanks eher die Sprache eines Donald Rumsfeld und Dick Cheney wählen, als gemeinsam über Wege hin zu einer konstruktiven Politik zu diskutieren. Diese Ablehnung lässt einen kopfschüttelnd zurück, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die deutsch-sowjetischen Röhren-Erdgas-Geschäfte zu Beginn der 1970er-Jahre eine Grundlage für Kooperation und spätere Verständigung waren.

Zivilgesellschaftliche Beziehungen können den Boden bereiten für intensivere politische Beziehungen. Es ist wichtig, diese gemeinsamen Fundamente zu stärken. Für die Geschäfte der in Russland tätigen deutschen Unternehmen wäre es zudem förderlich, wenn sich das Investitionsklima zwischen Pskow und Magadan verbesserte – wofür nicht zuletzt mehr Rechtssicherheit und ein engagierter Kampf gegen Korruption entscheidend sind. Ziele, die Michail Gorbatschow mit Offenheit (Glasnost) und dem Umbau des Staates (Perestroika) revolutionär anging.

Wir wünschen Michail Gorbatschow zu seinem 90. Geburtstag alles erdenklich Gute, vor allem Gesundheit, sodass wir in fünf Jahren rückblickend auf mutige Schritte europäisch-russischer Politik auf seinen 95. Geburtstag anstoßen können.

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