Neidkultur

Postskriptum

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Neidkultur

Postskriptum

In einer jenen Rekonstruktionen, wie Politik entsteht, für die die berühmte Redewendung passt, man sollte nicht dabei zusehen, wie die vegane Erbsenmortadella gemacht wird, schilderte der Spiegel jüngst, wie es zur sogenannten Gasumlage kam. Wie tragfähig sich die – inzwischen nachgebesserte – Abgabe für Anna Normalverbraucherin erweisen wird, ist offen. Schon jetzt erhellend allerdings ist, was die Geschichte herauszuarbeiten vermochte: „Wer, bitte schön, hat das verbockt?“ – nämlich, dass zunächst auch Firmen profitieren sollten, die satte Gewinne einfahren. An den Plänen beteiligt waren alle drei Parteien, hatten den Konstruktionsfehler nicht bemerkt und den Beschluss gemeinsam gefasst.

Zum Alleinschuldigen wurde dann aber Robert Habeck erklärt. Der Wirtschaftsminister ist bekanntlich stolz darauf, kein Warmduscher zu sein. Um seine Seelenverfassung besteht entsprechend wenig Anlass zur Sorge. Aber der Eifer, mit dem sozialdemokratische und liberale Prominenz auf ihn losging, offenbart doch, dass man nur auf die Gelegenheit gewartet hatte, dem Spitzenreiter der Popularitätscharts die Wassertemperatur endlich noch ein paar Grad runterzudrehen. „Umfrageneid“ herrsche bei den Partnern, heißt es.

Dabei bleibt es eine politische und intellektuelle Fehleistung, die allgegenwärtigen Umfragen mit Börsenwerten und dem Bundesligatabellenstand zu verwechseln. Bei hohen Kursen kann man nicht verkaufen, und drei Punkte heute gehen nicht aufs Punktekonto gegen den Abstiegsplatz am Saisonende 2024.

So schlecht – oder so gut –, dass eine der Parteien es auf Neuwahlen anlegen könnte, können die virtuellen Werte kaum werden. Vielleicht geraten die Ampel-Kompromisse sogar noch diffuser, und es gäbe gute sachliche Gründe, die Koalition zu beenden. Es ist dennoch aus – parteitaktischen – Gründen, die im Zweifelsfall jede inhaltliche Frage weniger wichtig erscheinen lassen, so gut wie ausgeschlossen: Die SPD stellt den Kanzler und will das Kanzleramt nicht aufs Spiel setzen, die Grünen hätten in einer Jamaika-Koalition noch größere Schwierigkeiten, ihr Programm zu verfolgen, und die FDP könnte bei Neuwahlen, wenn schon nicht an der Fünfprozenthürde scheitern, so doch Sitze und Ämter verlieren.

„Wildsäue“ und „Gurkentruppe“ nannte man sich beinahe liebevoll in der schwarz-gelben Koalition zwischen 2013 und 2017. Das waren noch Zeiten.

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