Neustart in Bunt

Acht Parteien, eine Koalition – Israels neue Regierung, ohne Bibi

20
06
PICTURE ALLIANCE / ASSOCIATED PRESS | ARIEL SCHALIT
Zweisame Spitze: für jetzt – Naftali Bennett (rechts), für später – Yair Lapid.
20
06
PICTURE ALLIANCE / ASSOCIATED PRESS | ARIEL SCHALIT
Zweisame Spitze: für jetzt – Naftali Bennett (rechts), für später – Yair Lapid.

Neustart in Bunt

Acht Parteien, eine Koalition – Israels neue Regierung, ohne Bibi

Nach vier Wahlen innerhalb von zwei Jahren hat Israel nun seit wenigen Tagen endlich eine neue Koalition. Sie besteht aus acht Parteien. So viel Diversität war nie. Es kommt einem vor, als wäre man von einem binären System in ein multipolares hineingeraten. Bei der Einheitsregierung gehe es nicht „um mich“, sondern „um uns“, hat es Ministerpräsident Naftali Bennett mit einem eindeutigen Seitenhieb auf seinen Vorgänger formuliert.

Benjamin Netanyahu war ohne Zweifel eine One-Man-Show auf der politischen Bühne, mit Platz allenfalls für Statisten. Er galt als Einzelkämpfer, grundsätzlich misstrauisch im Umgang mit seinen Partnern und Mitarbeitern, alle Karten fest bei sich haltend. Man konnte nur für oder gegen ihn sein. Viele seiner Anhänger glauben, dass ein Staatsmann im Nahen Osten auf solche Eigenschaften angewiesen ist.

Kippaträger und Feministinnen

Wer Netanyahu jetzt nach zwölf Jahren in Folge an der Macht ablöst, ist ein ganzes Team, das Partnerschaft, Kooperation und Konsensfindung zum Prinzip erhoben hat. Solche Schlagworte waren schon aus dem Vokabular verschwunden in einer zunehmend polarisierten und fragmentieren Gesellschaft. Dass Bennett bei seiner Antrittsrede in der Knesset keinen Satz ausreden konnte, hat das noch einmal mehr als deutlich gemacht.

Nun ist es zu einer Art Reset gekommen. Die neue Regierung ist so heterogen wie keine zuvor. Man darf gespannt sein, wie lange sie sich überhaupt halten kann und wie sich die Kooperation konkret gestalten wird zwischen einem religiös-rechten Ministerpräsidenten mit Kippa, seinem säkularen Tel Aviver Ko-Partner im Amt, einer überzeugten Feministin an der Spitze der Arbeitspartei, einem bekennenden Homosexuellen an der Spitze der Meretz-Partei und einem konservativen Muslim an der Spitze der Raam-Partei – um nur einige zu nennen. Kaum jemand hatte geglaubt, dass ein solches Bündnis überhaupt zustande kommen würde. Allein schon dessen Existenz aber ist ein Beweis dafür, dass sich mit gutem Willen einiges machen lässt.

Was das Team zusammenbrachte, war die gemeinsame Überzeugung, dass es ein neues Kapitel braucht, in dem ein langjähriger Ministerpräsident unter Anklage mit zunehmender Hybris keine Rolle mehr spielen dürfe. Dazu mussten alle Beteiligten mehr oder weniger Kompromissbereitschaft aufbringen, auf politische Prinzipien verzichten, um den Preis, einen Teil ihrer Wählerschaft zu vergraulen oder sogar als Verräter dazustehen. Ideologischer Ballast musste abgeworfen werden, um sich zu einigen.

Die Mannschaft ist der Star

Mehr als alle seine Vorgänger ist Bennett somit auf gute Kooperation und das Vertrauen seiner Partner angewiesen. Denn mit ihm sitzt erstmals ein Politiker im Sessel des Regierungschefs, dessen Partei nur sechs Mandate hinter sich versammeln konnte. Das sind weniger als zehn Prozent in der 120-köpfigen Knesset und macht ihn für viele angreifbar. Deshalb soll er auch nur eine halbe Amtszeit regieren und in der zweiten Hälfte das Ruder an den anderen, „alternierenden Ministerpräsidenten“ Yair Lapid übergeben. Sie bilden, wenn man so will, zusammen einen ganzen Regierungschef oder gleich zwei auf einmal.

Beide verfügen über ein Vetorecht. Damit ist dieses Arrangement mehr als ein bloßes Rotationsabkommen. Erfunden und gesetzlich verankert hatte dies bereits die vorausgegangene Regierung, weil der „alternierende Ministerpräsident“ Benny Gantz sicherstellen wollte, dass ihn Netanyahu am Ende nicht austricksen würde. Am Ende ist es, wie man weiß, dann tatsächlich nicht so weit gekommen. Es gab aber auch von Anfang an keine Vertrauensbasis.

Das Gespann Bennett-Lapid beginnt unter einem besseren Stern. Die beiden stellen gerne ihr „brüderliches“ Verhältnis zur Schau, auch wenn sie politisch in vieler Hinsicht völlig anders ticken. Dieser Ton prägt – bisher – auch das koalitionäre Miteinander. Freundschaftliche Gesten, wie man sie bei ihren Meetings oft beobachten kann, suggerieren Teamgeist. Die Koalition steht auf unspektakuläre Weise für Partnerschaft, Pragmatismus und Konsensfindung. Erstmals in der Geschichte des Landes sollen auch Minister rotieren. Machtteilung wurde zum Prinzip erhoben. Nur wofür genau?

Ersehnte Langeweile

Große Sprünge sind tatsächlich nicht in Sicht. Der Fokus der neuen Regierung liegt explizit auf wirtschaftlichen Fragen, es geht um Infrastruktur und die Restaurierung demokratischer Normen, die unter Netanyahus Ägide zunehmend erodiert waren. „Langweilige Innenpolitik“, nennt es Lapid. Kontroverse Fragen wird man zu umgehen versuchen, soweit das möglich ist. Man kann davon ausgehen, dass es im Hinblick auf die Palästinenser weder zu einer Annektierung von besetzten Gebieten, noch zu einem Abzug aus dem Westjordanland kommen wird.

Sicherheitsfragen könnten aber trotzdem schnell zu Zerreißproben werden. Als erster Test galt – nur zwei Tage nach der Vereidigung – die noch unter der vorherigen Regierung geplante Flaggenparade israelischer Nationalisten durch die Jerusalemer Altstadt, für die ein massives Aufgebot an Polizei und Militär bereitgestellt worden war. Die Sorge vor erneuten Unruhen war groß, zumal der Waffenstillstand nach dem letzten Gazakrieg als wackelig gilt. Die Hamas, die sich seither zur Verteidigerin Jerusalems stilisiert hat, drohte, jede aus ihrer Sicht provokative Aktivität mit erneutem Raketenbeschuss zu beantworten. Bisher beschränkte sie sich darauf, Brandballons über die Grenze zu schicken.

Eine neue Zeit

Dass eine neue Regierung in Israel gerne von seinen Feinden in der Region herausgefordert wird, hat Ehud Olmert 2006 erlebt, Wenige Monate nach seinem Amtsantritt war es zum Krieg mit der proiranischen Hizbollah im Libanon gekommen.

An politischen Landminen wird es nicht fehlen. Und Netanyahu hat versprochen, alles zu tun, um seine(n) Nachfolger zu stürzen. In jedem Fall aber hat jetzt schon einmal eine neue Art von Politik Einzug gehalten, die für eine Zeitenwende steht. Es könnte sein, dass es genau das ist, was das Land gerade für einen Reset braucht.

Weitere Artikel dieser Ausgabe