Nur ohne Esken und Walter-Borjans

Will die SPD noch etwas erreichen bei der Bundestagswahl, müssen sich die Parteivorsitzenden aus dem Wahlkampf zurückziehen

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PICTURE ALLIANCE/REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
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PICTURE ALLIANCE/REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE

Nur ohne Esken und Walter-Borjans

Will die SPD noch etwas erreichen bei der Bundestagswahl, müssen sich die Parteivorsitzenden aus dem Wahlkampf zurückziehen

Welche Freude bei der SPD in Magdeburg und Bonn: Die Sozialdemokraten stellen in Sachsen-Anhalt den neuen Ministerpräsidenten! Reinhard Höppner ist sein Name. Die SPD hat 35,9 Prozent erreicht! Kein Traum, sondern Realität – bei den Landtagswahlen am 24. April 1998. Die SPD war in einem östlichen Bundesland eine Volkspartei.

Vergangenen Sonntag: Die SPD landet bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt bei 8,4 Prozent, weit abgeschlagen hinter der CDU und – noch dramatischer – weit hinter der AfD. Die SPD verkümmert zu einer Randpartei.

Welche Freude bei der SPD bei der Bundestagswahl am 27. September 1998. Deutschland wählt Helmut Kohl ab, der neue Bundeskanzler heißt Gerhard Schröder. Die SPD wird mit 40,9 Prozent stärkste Partei im Deutschen Bundestag.

2021 dagegen dümpeln die Sozialdemokraten in den Umfragen um die 14 Prozent. Ein beispielloser Abstieg einer einst mächtigen Volkspartei. Die SPD ist auf FDP-Niveau angekommen, wie der letzte ARD-Deutschlandtrend zeigt. Es ist das „Zünglein an der Waage“-Niveau. Die SPD liegt nur noch knapp vor der AfD, für Sozialdemokraten ein beschämendes Ergebnis.

Dabei hatten doch die beiden am Nikolaustag 2019 gewählten neuen Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans vollmundig versprochen, sie würden die Partei wieder zur 30-Prozent-Marke führen – beifällig beklatscht von den Parteilinken unter der Führung von Kevin Kühnert. Ohne ihn und seine Jusos hätte es das Team der bis heute eher unbekannten und glücklosen Vorsitzenden Esken und Walter-Borjans nicht gegeben.

Eine damals zerstrittene SPD-Führung hatte sich monatelang von einem Politiker der Generation Kreißsaal-Hörsaal-Plenarsaal ohne Berufserfahrung, aber mit großem Machtwillen ausgestattet, in die Katastrophe treiben lassen. Das Ergebnis: Die SPD könnte mit dieser Parteiführung den Status einer Volkspartei verlieren, es droht das Schicksal ihrer französischen Genossen: Das Verschwinden in der Bedeutungslosigkeit oder – noch dramatischer – die Auflösung wie 1994 bei den italienischen Soziallisten, einst als Sozialdemokraten gegründet.

Esken und Walter-Borjans müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie nicht das größte Hindernis der SPD sind, um einen weiteren Bedeutungsverlust zu verhindern und um einen Kanzlerkandidaten, den sie und die Partei als Parteivorsitzenden nicht haben wollten, überhaupt noch glaubwürdig unterstützen zu können.

Esken und Walter-Borjans loben sich zwar ständig, die Geschlossenheit der SPD wiederhergestellt zu haben, doch immer unklarer wird, wofür die SPD steht. Sie hat ihre Wählerinnen und Wähler ganz einfach verloren. Sie ist weder für die jüngeren und mittleren Generationen noch für die Älteren interessant. Die Partei hat ihre Stammklientel – die typische „alte“ Arbeitnehmerschaft – verloren und die neue „digitale“ Arbeitnehmerschaft nicht hinzugewonnen. Sie ist weder dorthin gegangen, wo – wie Sigmar Gabriel auf dem Dresdener Parteitag 2009 plakativ formulierte – es brodelt, riecht und stinkt, noch hat sie sich frühzeitig um die neue digitale Welt gekümmert und die Kompetenz beim Klimaschutz frühzeitig an die Grünen verloren.

Das alles war ein schleichender Prozess, alle Parteiführungen ab 2009 bis heute stehen dafür in der Verantwortung. Sie haben sich zu sehr mit Intrigen beschäftigt und dabei nicht bemerkt oder bemerken wollen, dass damit ihre Wählerinnen immer mehr verschreckt wurden. Hinzu kam und kommt immer noch das Schlechtreden der Arbeit der großen Koalition. Die SPD schafft es bis heute nicht, ihre Erfolge in Stimmenzuwächse umzusetzen. Fast schon verzweifelt wirkt ihr Versuch, aus den „Masken-Affäre“ Jens Spahns politisches Kapital zu schlagen. Die Taktik der SPD ist in diesem Fall zu durchsichtig, hat sie doch seit Frühjahr 2020 Kenntnis von den Vorgängen gehabt, die Entscheidungen eher mitgetragen, die sie nun zum Skandal erklärt. Die unglücklich agierende Vorsitzende Esken fordert gleich den Rücktritt des CDU-Gesundheitsministers, ihr eigener Kanzlerkandidat Scholz will sich dieser Forderung auf mehrfaches Nachfragen in Sandra Maischbergers Talkrunde in der ARD nicht anschließen – ein Eigentor der Parteivorsitzenden.

Dreieinhalb Monate vor der Bundestagswahl stecken die Sozialdemokraten in einem selbstverschuldeten Dilemma. Sie haben einen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, der nach dem ARD-Deutschlandtrend von dieser Woche mit 26 Prozent Zustimmung nur knapp hinter dem CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet mit 29 Prozent rangiert, die Partei hingegen dümpelt bei 14 Prozent. Wenn die SPD überhaupt noch in den nächsten Monaten ihre Chancen auf einen Wahlsieg verbessern will, dann müssten Esken und Walter-Borjans den Kanzlerkandidaten Scholz und ein Team aus den Bundesministern Hubertus Heil, Svenja Schulze und allen SPD-Ministerpräsidenten:innen ab sofort alleine den Wahlkampf bestreiten lassen.

Dieser Wahlkampf hat seit der Masken-Affäre begonnen, und die Große Koalition schleppt sich nun noch die letzten Monate bis zum Wahltag im September hin. Die SPD muss ab jetzt konkreter sagen, wohin sie dieses Land in der Sozialpolitik (inklusive Rentenpolitik), in der Wirtschaftspolitik, in der Umwelt- und in der Außenpolitik führen will.

Nur wenn die Sozialdemokraten aus dem 14-Prozent-Tal herauskommen, hat die Bezeichnung „Kanzlerkandidat“ für Olaf Scholz noch seine Berechtigung. Mit den 12 Prozent laut ARD-Deutschlandtrend für die FDP hätte nun auch FDP-Chef und Spitzenkandidat Christian Lindner den Anspruch auf einen „Kandidaten-Titel“, und aus dem TV-Triell müsste streng genommen ein „TV-Quartett“ werden.

Es liegt an der gesamten SPD-Parteiführung, es nicht dazu kommen zu lassen. Sie hat dafür nicht mehr viel Zeit, und nur auf die schnell wechselnden Stimmungen bei den Wählerinnen und Wählern zu hoffen, ist mehr als riskant, es ist zu wenig! Es wäre Parteiversagen.

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