Ohne Moos nichts los

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

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Ohne Moos nichts los

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

Wie bringt man die Dürre in Europa und China, die Über­schwemmungen in Pakistan, den gemeinsamen Kanada-Besuch von Kanzler und Vizekanzler, die Lateinamerika-Reise der Entwicklungsministerin sowie den Wiederantritt Lula da Silvas bei den Präsidentschaftswahlen in Brasilien in einen Zusammenhang?

Fangen wir mit Kanada an. So viel Ehre war selten: Da fliegen die beiden führenden Regierungsmitglieder Olaf Scholz und Robert Habeck in einer Maschine gemeinsam über den Atlantik, um einem Land ihre Aufwartung zu machen, das mit Blick auf Bevölkerung und Wirtschaftskraft gerade einmal halb so groß wie Deutschland ist. Nicht viel bringen sie mit. Zukunftsweisende Verträge sind – von einem recht unkonkreten Abkommen über grünen Wasserstoff abgesehen – nicht zustande gekommen. Wie Kanada Deutschland aus der Gasklemme helfen kann, ist alles andere als klar.

Währenddessen begibt sich Entwicklungsministerin Svenja Schulze nach Lateinamerika. Allein und ohne besondere mediale Beachtung. Sind ja nur zwei kleine Länder, und ihre Mission unter den Oberbegriffen „grün“ und „gerecht“ bleibt eher diffus. Immerhin: Man will sich gemeinsam für Klimaschutz einsetzen. Bolivien und Kolumbien sind zu jeweils rund 600 000 Quadratkilometern Regenwald-Länder. Das sind riesige Flächen, wenn auch im Vergleich zu Brasilien (4,7 Millionen Quadratkilometer) natürlich nachrangig. Angesichts der Bedeutung für das Weltklima ist die Unversehrtheit des Amazonas-Regenwaldes von unschätzbarem Wert. Wahre Vernichtungs­feldzüge, die sich dort seit Jahren abspielen, um aus Regenwald Nutzfläche zu generieren oder Goldabbau zu ermöglichen, finden derzeit – warum auch immer – überhaupt keine Beachtung. Will heißen: Ministerin Schulze hätte wahrlich mehr Aufmerksamkeit verdient.

Warum? Weil die Welt klimatisch immer mehr aus den Fugen gerät: Waldbrände und Dürre in Deutschland, ein auf ein Rinnsal geschrumpfter Yangtse in China, Jahrhundertüberschwemmungen in Pakistan. Die Wetterextreme nehmen zu. Mit erheblichen Konsequenzen, auch für Länder in geographischen Premiumlagen wie unseres.

Nun wird in vier Wochen in Brasilien gewählt. Lula gegen Bolsonaro – eine Wahl von durchaus klimapolitischer Relevanz. Denn es geht auch um die Zukunft des Regenwaldes, den Bolsonaro weiter in Nutzgebiet umwandeln, Lula dagegen schützen will.

Was hat das jetzt aber wiederum mit Scholz und Habecks Kanada-Reise zu tun? Ganz einfach: Es wäre mindestens genauso wichtig gewesen, dass die beiden Frontmänner der Bundesregierung nicht nach Kanada, sondern nach Brasilien und mit Frau Schulze dann weiter nach Bolivien und Kolumbien gefahren wären. Sie hätten sich mit Lula treffen können, um ihm im Falle seines Wahlsieges ein Angebot zu machen, das er für Brasilien nicht würde ablehnen können: eine hohe jährliche Prämie für den Schutz des Regenwaldes, dessen CO2-neutralisierende Wirkung uns allen zugutekommt. Es ließe sich durchaus berechnen, was die Welt den Regenwaldländern dafür bezahlen müsste, dass sie auf die Umwandlung der grünen Lunge in Agrarflächen verzichten. Natürlich, das müsste auf internationaler Ebene vereinbart werden. Doch könnte man von einer teils grünen Bundesregierung durchaus erwarten, dass sie endlich beginnt, an so einem Vorhaben zu arbeiten. Appelle zum Schutz des Regenwaldes sind wohlfeil und bringen nichts. Will sich die Welt den Regenwald und damit die gute Luft erhalten, wird sie über kurz oder lang zahlen Milliarden zahlen müssen.

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