Passt nicht? Passt doch? Passt vielleicht?

SPD und Grüne lavieren in Sachen Rot-Grün-Rot – zu ihrem Schaden

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PICTURE ALLIANCE/ZOONAR | DESIGNIT
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Passt nicht? Passt doch? Passt vielleicht?

SPD und Grüne lavieren in Sachen Rot-Grün-Rot – zu ihrem Schaden

Nun erregt „das“ Wahlkampfthema die Gemüter. Frank Decker hat in der vergangenen Woche im Hauptstadtbrief die Diskussion über Rot-Grün-Rot als Popanz abgetan. Das Schreckgespenst verfange nicht. Die (zugegeben: gekonnt geschliffene) Argumentation überzeugt mich nicht: aus prinzipiellen (der Wähler darf die Katze nicht im Sack kaufen), strategischen (der SPD und den Grünen schadet Lavieren) und aus demokratietheoretischen Gründen (Die Linke ist fürwahr kein Gralshüter des demokratischen Verfassungsstaates). Und: Decker meint, ein Linksbündnis stehe nicht ernsthaft zur Diskussion. Doch: jedenfalls für den Fall des Falles.

Zum ersten Punkt: Der Wähler möchte vor der Stimmabgabe wissen, wer mit wem nach der Wahl ein Bündnis eingeht. Schließlich will er nicht nur für eine Partei stimmen, sondern auch für eine Regierung. Die FDP laviert ebenfalls herum. Zwar betont sie ihre Nähe zur Union, aber sie schließt ein Bündnis mit der SPD und den Grünen nicht kategorisch aus. Die verbreitete Aussage, wer sich vor der Wahl festlege, entmündige den Wähler, läuft auf das hinaus, was sie anprangert. Das Elektorat ist zu Recht verunsichert, wenn Parteien erst nach der Wahl Bündnisse schmieden. Es macht schließlich einen gewaltigen Unterschied, ob eine rot-grün-gelbe oder eine rot-grün-dunkelrote Koalition zustande kommt.

Die neue Machtoption

Ein Beispiel: Die Fraktionsvorsitzende der Grünen Katrin Göring-Eckardt erklärte am 6. September in einem Phoenix-Interview: „Die Linke muss jetzt selbst entscheiden, ob sie regierungsfähig sein will oder nicht.“ Nein, Die Linke soll kein Königsmacher sein, wiewohl ihr außenpolitischer Sprecher Gregor Gysi das eine oder andere verbale Zugeständnis hinkriegen dürfte. Wer ihr demonstrativ den Ball zuspielt, will sich um ein Votum drücken.

Zum zweiten Punkt: Die Position, der Streit um Rot-Grün-Rot nütze der SPD und den Grünen, ist so nicht haltbar, spricht die Empirie doch Bände: Nur 20 Prozent der Bundesbürger befürworten „voll und ganz“ bzw. „eher“ ein solches Bündnis. Selbst die Mehrheit der SPD-Wähler ist dafür nicht zu erwärmen. Profiteure einer Rot-Grün-Rot-Debatte sind die Linkspartei sowie Union und FDP. Die Linke verfügt jetzt über eine Machtoption. Ihr „Sofortprogramm“ vom 6. September macht sich prompt für ein „Mitte-Links-Bündnis“ stark, hebt ostentativ Gemeinsamkeiten mit der SPD und den Grünen hervor. Die Union hofft, SPD und Grüne mit der Gretchenfrage „Wie hast Du‘s mit der Linken?“ in die Defensive zu drängen. Beim „Triell“ hatte Laschet seine stärkste Szene, als er mit dieser Frage Scholz, wahrlich kein Sympathisant einer solchen Koalition im Gegensatz zur Parteispitze, in die Enge trieb. Beide Seiten, Linke – Union und FDP, sehen ein solches Bündnis als möglich an: die einen als Chance, die anderen als Gefahr. Gewiss, Die Linke zählt heute nicht mehr zu den „Schmuddelkindern“ wie 1994, als die „Rote Socken“-Kampagne der Union zum knappen Sieg von Schwarz-Gelb beitrug, gleichwohl aber haftet ihr bei Wählern der Mitte nach wie vor ein Makel an.

Wie hast Du’s mit der SED?

Die Diskussion um dieses für SPD und Grüne heikle Thema bedeutet keineswegs, allein dadurch verspiele Scholz die Kanzlerschaft. Wähler wissen: Der Einzug des Kommunismus droht bei einer Regierungsbeteiligung der postkommunistischen Kraft nicht. Parteien sollten ihre Programmatik in den Vordergrund rücken, weniger die des Kontrahenten attackieren. Freilich ist der Verweis auf die offene Flanke legitim, zumal die Warnung vor Rot-Grün-Rot angesichts des ausweichenden Verhaltens der SPD und der Grünen nicht auf „negative campaigning“ hinausläuft.

Zum dritten Punkt: Da der Partei Die Linke keineswegs ein demokratisches Gütesiegel zukommt – der Verfassungsschutz beobachtet einzelne extremistische Teilstrukturen wie die Kommunistische Plattform oder marx21, die geistige Heimat der Vorsitzenden und Spitzenkandidatin Janine Wissler –, ist eine Koalition mit ihr im Bund, milde formuliert, nicht ratsam. SPD und Grüne stellen als einziges Hindernis für ein Bündnis lediglich die außenpolitischen Positionen der Linken heraus (wie den Austritt aus der Nato oder den Verzicht auf Auslandseinsätze der Bundeswehr).

Kaum zur Sprache kommen andere problematische Punkte: Die „Nachfolgepartei“ lehnt den Begriff „Unrechtsstaat“ für die DDR strikt ab. Das Wahlprogramm fordert „offene Grenzen für alle Menschen“, das Abschaffen des Verfassungsschutzes – eine unabhängige „Beobachtungsstelle Autoritarismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ soll ihn ersetzen.

Drohkulissen und Kartenhäuser

Wieso sind SPD und die Grünen in einer derartigen Bredouille? Der Hauptgrund: Sie wollen ihren starken linken Flügel, der sich bedeckt hält, nicht vor den Kopf stoßen. Wer mit der SPD oder den Grünen sympathisiert, rechtfertigt deren Ausweichen mit dem Aufbau einer Drohkulisse gegenüber den Liberalen. Aber wenn die Option in puncto Die Linke auf einem Bluff basiert, fällt der Druck auf die Liberalen wie ein Kartenhaus zusammen. Wäre es dann nicht klüger und glaubwürdiger, der Partei eine offene Absage zu erteilen und offensiv ein Bündnis mit den Liberalen zu propagieren? Das wiederum ist schwerlich möglich, denn ein Vergleich vieler programmatischer Punkte (etwa Mindestlohn und -rente), offenbart zahlreiche Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Parteien der „linken Mitte“ – hier greift der Terminus – mit der Hennig-Wellsow- und Wissler-Kraft. Es soll ein Hintertürchen offenstehen – für den Fall, dass ein Bündnis mit der FDP scheitert oder zum Scheitern gebracht wird. Ein Versprechen brechen, wie es die hessische SPD-Politikerin Andrea Ypsilanti 2008 getan hat, kommt nicht in Frage. Dafür nimmt man die „Rumeierei“ in Kauf.

2015 erteilte Olaf Scholz als Erster Bürgermeister Hamburgs der Linken mit Blick auf eine Koalition im Stadtstaat lakonisch eine Absage: „Das passt nicht.“ Dabei spielten außenpolitische Konstellationen keinerlei Rolle. Und ein Bündnis mit der Linkspartei schloss er auch für die Bundestagswahl 2017 aus. Eine derartige Klarheit fehlt diesmal.

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