Priester H., Priester E. oder Priester O.

Die Kirche, der Missbrauch und die Wut der Frauen

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DPA/MARCEL KUSCH
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DPA/MARCEL KUSCH

Priester H., Priester E. oder Priester O.

Die Kirche, der Missbrauch und die Wut der Frauen

Es herrscht Fastenzeit. Für Katholiken sind es Wochen der Besinnung und Ruhe. Doch für die katholische Kirche birgt sie in diesem Jahr unruhige Tage. Mit einer Stimmung zwischen Frustration und Wut und „Jetzt erst recht“. Seit elf Jahren erschüttert der Skandal um sexuellen Missbrauch an Minderjährigen, verübt durch Geistliche, die Gläubigen. Und es hört nicht auf.

Von 1946 bis 2014 gab es bundesweit mindestens 3677 minderjährige Missbrauchsopfer und 1670 beschuldigte Priester. Doch diese Zahlen, die die Deutsche Bischofskonferenz bis 2018 von wissenschaftlichen Experten ermitteln ließ, sind nicht das ganze Bild. So sprach jene Studie für das Erzbistum Köln von mindestens 135 Betroffenen und 87 mutmaßlichen Tätern. Mittlerweile ist von 300 Betroffenen und 200 Beschuldigten die Rede – allein in den Jahren seit 1975. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki nannte es 2018 beschämend, dass die Kirche solche Taten zugelassen habe. Und „dass nachweislich vertuscht wurde, weil man den Ruf der Institution über das Wohl des Einzelnen gestellt hat“.

So viele Fälle. Ab und an wird irgendwo eine Straße oder eine kirchliche Einrichtung umbenannt, die an einen Würdenträger erinnert. Bald soll im sächsischen Heidenau das Grab eines Priester-Täters eingeebnet werden. In solchen Fällen nennt man die Namen der Beschuldigten. Aber oft ist wegen des Persönlichkeitsschutzes nur von Priester H., Priester E. oder Priester O. die Rede.

Die Geschichte des O. ist auch ein Teil der Geschichte von Kardinal Woelki. Der frühere Berliner und heutige Kölner Erzbischof, der sich in seinen drei Jahren an der Spree viel Anerkennung verschafft hatte, wirkt, seit 2014 wieder in seiner Kölner Heimat, glücklos. Priester O. (1929-2017) soll in den 1970er-Jahren ein Kindergartenkind missbraucht haben. Die Kirche zahlte dem Opfer 2011 in Anerkennung des Leids 15 000 Euro. Woelki kannte den Geistlichen schon, als der heutige Kardinal noch auf dem Weg zum Priester war. Er hielt Kontakt zu ihm. Als Woelki 2012 in Rom zum Kardinal erhoben wurde, gehörte der betagte Pfarrer zu seiner Delegation. Und als O. starb, predigte Woelki in der Trauermesse. Er wusste. Nur die Gemeinde in Düsseldorf-Gerresheim wusste von nichts.

Juristisch und kirchenrechtlich mag am Kölner Kardinal nichts hängen bleiben. Aber dieses eine Beispiel zeigt, wie schwer es ist, wenn Bischöfe als Vorgesetzte über Priester zu entscheiden haben, die immer ihre Untergebenen und – wie es dann heißt – „Mitbrüder im priesterlichen Dienst“ sind, gelegentlich aber auch Wegbegleiter oder Förderer waren.

Woelki galt, wie oben zitiert, als entschiedener Aufklärer. 2018 schob er bei einer Münchner Anwaltskanzlei eine umfassende Studie zum Missbrauch im Erzbistum Köln an. Es sollten Namen genannt werden, auch Namen von Personalverantwortlichen. Als die Vorstellung der Studie im März 2020 anstand, wuchsen der Respekt vor Woelki und die Spannung. Doch zwei Tage vorher zog er die Reißleine, weil Persönlichkeitsrechte verletzt seien. Aus der Vertagung wurde Monate später ein völliger Verzicht auf die Münchner Studie, offiziell wegen „methodischer Mängel“. Derzeit arbeitet ein anderer Jurist im Auftrag des Erzbistums an einer neuen Studie, die in drei Wochen, am 18. März, vorgestellt werden soll.

Seit Monaten steht der Kölner Kardinal massiv in der Kritik, in den Medien, bei vielen Gläubigen seines Bistums. Selbst dessen höchstes Laiengremium, der Diözesanrat, stellte seine Zusammenarbeit mit Woelki ein. Und spätestens, seitdem der Erzbischof in der Weihnachtsnacht nach Abschluss der Christmette im Dom den Ärger der Gläubigen ansprach und sich für die Berichterstattung der Medien entschuldigte, treten Kölner Katholiken zuhauf aus ihrer Kirche aus. Und wohl nicht nur Kölner Katholiken. Bundesweit gibt es Empörung.

Es sind die Frauen, die sich wehren, die nicht einfach aus ihrer Kirche austreten wollen. Aus Heimat kann man nicht austreten. Gerne wurde früher gelästert, dass die männlich dominierte Kirche an der Basis von den Frauen getragen werde. Nun melden sie sich zu Wort. Anfang 2019 starteten wenige Frauen in Münster einen Aufruf zu einem symbolischen Kirchenstreik. Aus dem Titel „Maria 2.0“ wurde eine fast bundesweit präsente Bewegung. Die Kirche verharre „in einer monarchischen Struktur des 19. Jahrhunderts“, sagte Maria-2.0-Mitgründerin Lisa Kötter dieser Tage im Deutschlandfunk.

Es sei nicht vergessen: Das wohl bekannteste Marienlied, das Magnificat aus dem Lukasevangelium, klingt in vielem revolutionär. Die wenigen Frauen von Münster formulierten den Titel und den Streik-Gedanken. Doch die großen katholischen Frauenverbände zogen bereits vorher gegen die Bischöfe zu Felde. Auch, weil sie für hunderttausende Frauen stehen, die ihre Kinder der Kirche, den Priestern, gemeindlicher Jugendarbeit anvertraut hatten.

Kirche muss anders werden, wenn sie bestehen will. Und wenn am vergangenen Sonntag Frauen an vielen hundert Gotteshäusern in Deutschland Thesen anschlugen, reichte der Bogen von der Kritik an Klerikalismus, Machtmissbrauch und Vertuschung hin zu Forderungen nach mehr Demokratie in der Kirche, dem Zugang von Frauen zum Weiheamt, nach einer neuen katholischen Sexualmoral. Bischöfe nehmen das ernst und sind doch ratlos.

Bis zum 18. März – da darf man gewiss sein – wird sich die Situation weiter aufheizen. Die Medien werden noch den einen oder anderen Missbrauchsfall präsentieren. An diesem 18. März will dann Kardinal Woelki das Gutachten nach dem Gutachten vorstellen.

Wenn es denn dabei bleibt. Vor einem Jahr ließ Woelki, wie gesagt, die länger angekündigte Präsentation der Untersuchung kaum zwei Tage vorher absagen. Der Rest ist bekannt. Und das Ende offen. Vieles ist derzeit am Ende in der Kirche. Und vieles offen.

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