Schluss mit dem Gejammer

Es ist Zeit für einen Neustart der Coronabekämpfung – mit Rücksicht und Respekt

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PICTURE ALLIANCE/REUTERS
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Schluss mit dem Gejammer

Es ist Zeit für einen Neustart der Coronabekämpfung – mit Rücksicht und Respekt

Eine persönliche Erklärung vorweg: Dies ist ein Artikel eines alten weißen Mannes – einer Spezies, die ja schon seit geraumer Zeit von Teilen der jüngeren Generation, auch in Journalistenkreisen, mitunter gerne ins Lächerliche gezogen wird. Den gesellschaftlichen Zusammenhalt hat das nicht gerade gefördert. Dabei wird dieser Zusammenhalt in den kommenden Coronaphasen dringend erforderlich sein. Dazu müssen aber alle Generationen in diesem Land beitragen. Newsflash: Die Zahl der Corona-Infektionen steigt dramatisch an.

Teile der jüngeren Generation, also der 18- bis 36-Jährigen, scheinen es aber als ihr wichtigstes Problem anzusehen, dass sie nicht drei- bis viermal in der Woche große Party machen können – so war es in dem schon berühmt gewordenen Beitrag vor wenigen Tagen im heute-journal des ZDF von einer feierfreudigen jungen Frau zu hören. Das sei unzumutbar – so klingt es häufig aus dem Munde des Partyvolks. Der Verzicht auf viele soziale Kontakte, auf Feiern, häufige Theater- und Konzertbesuche und viele weitere Einschränkungen – sie treffen nicht nur die Jüngeren, sondern auch die Älteren in diesem Land.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat recht, wenn sie sagt: Nur zusammen und mit viel Disziplin wird es uns gelingen, die Covid-19-Ausbreitung in diesem Winter einigermaßen in den Griff zu bekommen. Ihre angedeutete Zahl von 19 200 Infektionen pro Tag dürfte bis Weihnachten übertroffen werden, vor allen Dingen, wenn weiter viele Menschen in diesem Land die einfachen Regeln – Abstand, Händewaschen, Alltagsmaske, Lüften – unbewusst oder sogar bewusst nicht einhalten. Coronaleugner, Verschwörungstheoretiker, Esoteriker und die rechtsradikale AfD sind eine gefährliche Truppe bei der Bekämpfung des Coronavirus.

Hinzu kommt die Rücksichtslosigkeit von Teilen der Gesellschaft – einer Gesellschaft, die in den vergangenen Jahren kälter und egoistischer geworden ist. Der raue Ton, der Hass und die Hetze im Internet haben in hohem Maße dazu beigetragen.

Wer behauptet, Maskentragen sei eine Einschränkung seiner persönlichen Freiheit, der hat wahre Einschränkungen der persönlichen Freiheiten, zum Beispiel in diktatorischen Staaten, nie erlebt. Das Tragen einer Maske abzulehnen, ist nichts anderes als demonstrierte Rücksichtslosigkeit gegenüber seinen Mitmenschen.

Die Deutschen haben in der Vergangenheit ganz andere Entbehrungen ertragen müssen, sei es nach Weltkriegen oder auch – worauf Cerstin Gammelin diese Woche in der Süddeutschen Zeitung mit Recht hinwies – im Osten unseres Landes nach der Vereinigung, als eine Vielzahl der Menschen ihre Jobs verlor, Berufs-und Studienabschlüsse nicht anerkannt wurden, viele noch einmal ganz und gar von vorne anfangen mussten.

Das waren wirkliche Entbehrungen, nicht der Verzicht auf drei Partys in der Woche in diesen Coronazeiten. Gammelin fordert: Schluss mit dem Gejammer! Wohl wahr.

Geradezu abstoßend wirkt es, wenn nun die rechtsradikale AfD als leider größte Oppositionspartei Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zwingen will, seinen richtigen Maskenerlass für die Abgeordneten zurückzunehmen. Das Parlament muss dort Vorbild sein. Was für ein schlechtes Bild zeigt der Deutsche Bundestag allerdings, wenn er reichlich spät seine parlamentarischen Mitwirkungsrechte bei den Anti-Corona-Maßnahmen der Bundesregierung und der Landesregierungen entdeckt und das bisherige Verfahren kritisiert. Wo waren denn die Fraktionschefs und Fraktionen von Union und SPD in den vergangenen Wochen? Sie waren ziemlich still und haben alles mitgetragen, genauso wie die Oppositionsparteien Grüne, Linke und eine zumindest grummelnde FDP. In Zukunft sollte der Bundestag immer sofort mit eingebunden sein. Das heißt aber auch, das Parlament muss in der Lage sein, schnell zu entscheiden. Das Virus verzeiht keine Zeitverzögerungen. In der Finanzkrise hat der Bundestag bewiesen, dass das möglich ist.

Doch auch die Ministerpräsidenten müssen ihre Vorgehensweise in der Corona-Bekämpfung ändern. Mit ihrem Länder-Egoismus haben sie die Bundesrepublik in die deutsche Kleinstaaterei vergangener Jahrhunderte zurückversetzt und damit die Bevölkerung verunsichert – das Beispiel des Beherbergungsverbot-Chaos spricht Bände. Der Wettlauf um die richtigen Maßnahmen zwischen den möglichen Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet und Markus Söder hat die Bürger weiter verunsichert. Beide sind, nebenbei, die Länderchefs mit den höchsten Infektionszahlen. Söder konnte diese Position auch mit den markigsten Worten und ständigem bayrischen Selbstlob nicht verhindern.

All das zeigt: Wir benötigen jetzt in dieser besonders kritischen Phase der Pandemie einen politischen und gesellschaftlichen Neustart in der Covid-19-Bekämpfung. Das bedeutet mehr direkte Ansprache der Bevölkerung, noch häufigere Kommunikation zwischen Politik und Bürgerinnen und Bürgern, noch mehr Austausch innerhalb der Gesellschaft, Austausch zwischen Jüngeren und Älteren. Die Presse sollte auch nicht jede unterschiedliche Virologen-Sicht auf die Pandemie-Bekämpfung schief als „Kampf der Virologen“ aufbauschen.

Den Jüngeren muss mit Fakten in sachlicher, aber durchaus deutlicher Ansprache klargemacht werden, dass ihr Verweigern der Rücksichtnahme nicht nur die Älteren, sondern eben auch die Jüngeren selbst verstärkt trifft und weiter treffen wird. Das gilt aber auch für Teile der älteren Generation, die meint, keine Rücksicht mehr nehmen zu müssen.

Die Bundesrepublik ist bislang in aller Welt beneidet worden um ihren Umgang mit der Pandemie. Wir haben weltweit führende Wissenschaftler. Wir haben eine Regierung, die bislang bei der Bekämpfung vieles richtig gemacht hat. Aus den Fehlern der vergangenen Monate können wir alle nur lernen, mit großer Solidarität, mehr Rücksichtnahme unter und innerhalb der Generationen – und Zuversicht. Am Ende könnte dann das eintreten, was der nun selbst an Corona erkrankte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zu Beginn der Pandemie gesagt hat: Wir werden uns viel verzeihen müssen. Es ist die größte Herausforderung unserer freien Gesellschaft seit Jahrzehnten. Diese Herausforderung sollten wir bestehen.

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