Steinreich, aber keine Steuern zahlen

Bisher hat Olaf Scholz eine globale Mindeststeuer für Tech-Riesen erfolgreich verschleppt. Ändert sich jetzt etwas?

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PICTURE ALLIANCE/ZZ/DENNIS VAN TINE/STAR MAX; AA | ABDULHAMID HOSBAS; LYNCH/MEDIAPUNCH
Jeff Bezos, Mark Zuckerberg, Bill Gates
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Jeff Bezos, Mark Zuckerberg, Bill Gates

Steinreich, aber keine Steuern zahlen

Bisher hat Olaf Scholz eine globale Mindeststeuer für Tech-Riesen erfolgreich verschleppt. Ändert sich jetzt etwas?

Eine „Steuerrevolution“ und „historische Entscheidung“, das ist „der Durchbruch, den wir lange erwartet und erhofft haben“. Als sich die G7 Anfang Juni auf ein Grundgerüst für eine globale Mindeststeuer für Unternehmen einigte, war die Freude von Finanzminister Olaf Scholz schier grenzenlos. Und in der Tat ist endlich Bewegung gekommen in die seit Jahrzehnten andauernde Debatte um Steuervermeidungsstrategien international operierender Konzerne. Erst am vergangenen Donnerstag gab die OECD bekannt, dass sich unter ihrem Dach 130 Staaten grundsätzlich auf eine globale Mindestbesteuerung in Höhe von 15 Prozent geeinigt haben. Offene Details sollen nun bis zum Herbst geklärt werden.

Die rasante Neuordnung der globalen Steuerwelt hat vor allem zwei Gründe: Zum einen sprechen sich der neue US-Präsident Joe Biden und US-Finanzministerin Janet Yellen für eine globale Mindeststeuer aus. Die Trump-Regierung hatte derartige Pläne noch resolut abgelehnt. Zum anderen haben die Belastungen der öffentlichen Haushalte in Folge der Coronakrise weltweit massiv zugenommen: Biden will die Bundesausgaben im kommenden Fiskaljahr auf 6 Billionen US-Dollar hochschrauben – knapp 37 Prozent mehr als 2019, dem letzten Budget vor der Corona-Pandemie. Und auch hierzulande treibt die Coronakrise die Schulden in neue Rekordhöhen: Binnen eines Jahres stieg die öffentliche Verschuldung um knapp 13 Prozent auf über 2,2 Billionen Euro an.

Krisengewinner

Ganz anders sieht es bei den großen Techkonzernen aus. Deren Gewinne sprudeln derzeit kräftiger als je zuvor: So verdiente Amazon allein im ersten Quartal dieses Jahres 8,1 Milliarden US-Dollar – gut dreimal so viel wie im Vorjahreszeitraum. Apple konnte in der gleichen Zeitspanne seinen Gewinn immerhin auf knapp 24 Milliarden US-Dollar verdoppeln. Und auch Microsoft, Facebook und Googles Muttergesellschaft Alphabet verbuchten Rekordgewinne.

Was läge aus Sicht der krisengeplagten Staaten näher, als diese Gewinne steuerlich abzuschöpfen? Der Haken ist nur: Weder in den USA noch in der EU zahlen GAFAM (Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft) bislang in nennenswertem Umfang Steuern. Sie verschieben ihre Gewinne seit Jahrzehnten auch in europäische Steueroasen wie Irland, Luxemburg oder Malta. Die EU-Kommission schätzt, dass die Unternehmen auf diese Weise mit einer effektiven Steuerquote von 9,5 Prozent nicht einmal die Hälfte der Abgaben herkömmlicher Unternehmen in der EU entrichten.

„Ein schwieriger Kampf“

Obwohl dieser Missstand seit langem bekannt ist, blieben Debatten um eine faire Besteuerung von Techkonzernen – etwa mit einer vergleichsweise niedrigen Digitalsteuer – in den vergangenen Jahren ohne Ergebnis. Die von der G7 ins Spiel gebrachte globale Mindeststeuer soll es nun richten – und dabei nicht nur GAFAM, sondern gleich alle großen Unternehmen weltweit miteinbeziehen.

Bei aller Freude über diese Weichenstellung sollte aber zweierlei nicht vergessen werden: Erstens kritisiert unter anderem der Ökonom Thomas Piketty zu Recht, dass eine Steuerquote von 15 Prozent zu niedrig ausfalle. In allen G7-Ländern liegt die Steuerquote derzeit bei mindestens 20 Prozent, in der Regel sogar weit darüber. Größere Firmen könnten somit auch in Zukunft ohne Probleme auf jene Länder ausweichen, die nur die Mindeststeuer verlangen. Kleinere Unternehmen hätten das Nachsehen: Sie können meist keine Tochtergesellschaften im Ausland gründen, um ihre Gewinne dorthin zu verschieben. Eine zu niedrig angesetzte Mindeststeuer sei daher, so Piketty in der französischen Zeitung Le Monde, kaum mehr als eine „formalisierte Lizenz zum Betrug“.

Zweitens ist das Vorhaben längst nicht in trockenen Tüchern. Viele weitere Staaten müssen nun von der Mindeststeuer überzeugt werden – als Nächstes beim Treffen der G20-Finanzminister in der kommenden Woche vom 8. bis 11. Juli in Venedig. Der französische Finanzminister Bruno Le Maire erwartet dort insbesondere mit Blick auf China einen „schwierigen Kampf“.

Scholz’ Blockade

Wie ermutigend ist es da, dass Le Maire den euphorischen deutschen Amtskollegen Scholz an seiner Seite weiß. Auch die SPD spricht sich – wie alle anderen deutschen Parteien in ihren Wahlprogrammen – für eine „gerechte“ Besteuerung international operierender Unternehmen aus.

Allerdings hofft wohl vor allem Le Maire, dass Scholz es dieses Mal nicht bei Lippenbekenntnissen belässt. Denn dass es nicht bereits früher zur „Steuerrevolution“ gekommen ist, hat vor allem der deutsche Finanzminister zu verantworten: Im Jahr 2018 hatte Scholz’ Ministerium konkrete Pläne für eine europäische Digitalsteuer in Höhe von gerade einmal drei Prozent, dem Vorgänger der globalen Mindeststeuer, vereitelt – obwohl diese auf einen gemeinsamen Vorschlag von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron im Juni des gleichen Jahres zurückgingen und die SPD noch im Bundestagswahlkampf ein Jahr zuvor kräftig damit geworben hatte, Google, Apple, Facebook und Amazon stärker zur Kasse bitten zu wollen. Eine „Dämonisierung der großen Digitalunternehmen“ sei „nicht zielführend“, hieß es plötzlich aus dem Finanzministerium. Einem geleakten vertraulichen Papier nach überwog dort offenbar die Sorge, dass die USA im Gegenzug gezielt deutsche Automobilunternehmen höher besteuern könnte.

Während sich Frankreich von möglichen Sanktionen nicht abschrecken ließ und die Digitalsteuer kurzerhand im nationalen Alleingang einführte, schob Scholz das Vorhaben auf die lange, internationale Bank: Man strebe eine gemeinsame Lösung mit den USA, Kanada und weiteren Industriestaaten auf Ebene der OECD an, verkündete der Finanzminister im November 2018. Dort aber, das wusste Scholz sehr wohl, blockte das sichere Veto des damaligen US-Präsidenten Donald Trump jedes weitere Vorankommen in der Debatte.

Zweite Chance für einen Durchbruch

Mit der Wahl Joe Bidens sind die Karten allerdings neu gemischt. Und da nun ein konkreter multilateraler Vorschlag auf dem Tisch liegt, erhalten nicht nur die Pläne für eine faire Besteuerung international agierender (Tech-)Konzerne, sondern auch Scholz eine zweite Chance. Noch vor der Bundestagswahl im September kann sich der Finanzminister auf den anstehenden Gipfeltreffen für die globale Mindeststeuer mit Verve stark machen.

Und auch in Europa kann er schon bald einiges wiedergutmachen: Denn bereits im kommenden Frühjahr könnte die EU die Machtfrage stellen – wenn sich der Rat der Europäischen Union und das EU-Parlament auf das von der Kommission vorgelegte Digitale-Dienste-Gesetz und das Digitale-Märkte-Gesetz einigen müssen. Beide Gesetzesvorschläge sehen vor, die Macht der Plattformkonzerne empfindlich zu beschneiden und könnten ein „echter Gamechanger für die Digitalwirtschaft“ werden, wie Dominik Piétron und Philipp Staab jüngst in den Blättern für deutsche und internationale Politik schrieben.

Den Rückhalt seiner Partei hat Scholz – zumindest auf dem Papier: In ihrem jüngsten EU-Wahlprogramm forderte die SPD unmissverständlich, „digitale Monopole aufzubrechen“. Wenn also der politische Wille nicht erneut schwindet, könnten die Techkonzerne am Ende nicht nur höhere Steuern zahlen, sondern obendrein ordentlich an Marktmacht einbüßen. Das wäre dann gleich ein doppelter „Durchbruch, den wir lange erwartet und erhofft haben“.

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