Taking care

Kolumne | Direktnachricht

03
10
DPA/APA/PICTUREDESK.COM
03
10
DPA/APA/PICTUREDESK.COM

Taking care

Kolumne | Direktnachricht

Haben wir wirklich schon Oktober oder befinden wir uns nicht vielmehr im andauernden März 2020? Corona hat unser Zeitempfinden auf jeden Fall nachhaltig beeinflusst. Die Parallelität von Zeit, die wie zähflüssiger Honig vor sich hin tropft, und Zeit, die wie ein reißender Gebirgsbach dahinrauscht, ist nur schwer zu ertragen. Gleichzeitig gewöhnen wir uns an diesen Zustand neuer Normalität – weil wir müssen, aber auch, weil wir weitaus resilienter sind, als wir denken.

Trotzdem hat diese Resilienz ihre Grenzen, wenn keine oder zu wenige Möglichkeiten bestehen, um überhaupt neue Kraft zu schöpfen. Wir betreiben derzeit Raubbau an den psychischen wie physischen Ressourcen, die uns in der Zukunft fehlen werden. Oft tun sie das auch schon längst. Gerade junge Mütter können ein Lied davon singen, bei dem sie vor Erschöpfung einschlafen. Generell sind insbesondere Frauen in der Krise mal wieder gezwungen worden, die gravierenden Mängel unseres Gesellschaftssystems mit Händen und Füßen auszugleichen und jene Care-Arbeit zu erledigen, ohne die unsere Gesellschaft schlicht am Ende wäre.

In einem Positionspapier, das mehrere sozial- und gesundheitswissenschaftliche Expert_innen im August mit konkreten Lösungen zur Care-Krise veröffentlichten, heißt es dazu: „In der noch andauernden Pandemie wird einmal mehr deutlich, dass zum Menschsein nicht nur der Wunsch nach Unabhängigkeit und Eigenständigkeit gehört, sondern auch Verletzlichkeit und Angewiesenheit. Menschen können – in jedem Alter – ohne Care nicht (über-)leben.“

Das unerbittliche Hamsterrad der sogenannten Leistungsgesellschaft wird niemals die Lösung, sondern immer das Problem sein. Gerade in einer nie dagewesenen Krisensituation, wie Corona sie darstellt, müssen wir uns erst recht darauf besinnen, dass unser Leben sprichwörtlich von der (bezahlten wie unbezahlten) Fürsorge, Erziehung, Pflege und Unterstützung für uns selbst und füreinander abhängt. Es ist daher absolut überfällig, unsere Gesellschaft entlang dieser Bedürfnisse zu denken und auszurichten.

Häufig wird auf „nach Corona“ verwiesen, um solche Veränderungen anzugehen. Dabei kann niemand sagen, wann das sein wird, geschweige denn garantieren, dass die Änderungen erfolgen. Die gute Nachricht ist: Auch der ewige März wird irgendwann vorbei sein. Damit wir es bis dorthin – und darüber hinaus – gut schaffen, müssen die Weichen aber bereits jetzt gestellt werden.

Weitere Artikel dieser Ausgabe