Terrortwitter, Twitterterror

Die Taliban nutzen den Kurznachrichtendienst für ihre Botschaften. Warum stoppt sie niemand?

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PICTURE ALLIANCE/FRANK DUENZL
Per Knopfdruck: Wer bedient die Löschtaste im Hause Twitter?
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Per Knopfdruck: Wer bedient die Löschtaste im Hause Twitter?

Terrortwitter, Twitterterror

Die Taliban nutzen den Kurznachrichtendienst für ihre Botschaften. Warum stoppt sie niemand?

Der Kurznachrichtendienst Twitter erlaubt den Taliban, ihre Botschaften zu verbreiten. Das ist nach Einschätzung der Bundesregierung nicht illegal. Dass der Account von Ex-Präsident Donald Trump von Twitter gesperrt wurde, der der Terrororganisation hingegen erreichbar bleibt, offenbart die Macht, die Social-Media-Konzerne über ihre hauseigenen Richtlinien mittlerweile entfalten.

Mehr als 350 000 Follower hat der offizielle Account von Zabihullah Mujahid. Er ist Sprecher des von den Taliban proklamierten „Islamischen Emirats Afghanistan“. Dem Taliban-Sprecher für internationale Medien in englischer Sprache Suhail Shaheen folgen rund 400 000 Nutzer. „Giftige Propaganda“ nannte Shaheen zuletzt die Behauptung westlicher Medien, die Taliban würden junge Mädchen an Kämpfer verheiraten. „Back to school in a New Afghanistan“ betitelt Shaheen einen Videoclip, publiziert nach der Übernahme Kabuls, in dem junge Mädchen zu sehen sind, die, von bewaffneten Männern angewiesen, durch ein Tor in ein Gebäude laufen. Beide Twitter-Accounts werden bereits seit einigen Jahren bedient. Doch mit dem neu ausgerufenen Emirat haben sie eine neue Dimension der Aufmerksamkeit und Relevanz erreicht.

Propagandaplattform

Für Peter Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London und Direktor des Institute for Religious Freedom and Security in Europe (IFFSE), ist völlig unstrittig, dass die Taliban Twitter als Propagandaplattform sehen. „Twitter erlaubt den Taliban, sich besonders gegenüber einer westlichen Öffentlichkeit als legitim und moderat darzustellen – unabhängig davon, was im Land selbst passiert.“

Warum sperrt Twitter die Taliban-Accounts nicht? Im Interview mit dem Hauptstadtbrief betont ein Sprecher, der Konzern beobachte die sich in Afghanistan rasant entwickelnde Lage: „Unsere starken und engagierten Teams bieten rund um die Uhr weltweite Berichterstattung, um unsere Regeln proaktiv durchzusetzen und Inhalte, die gegen die Twitter-Regeln verstoßen, schnell zu bekämpfen, insbesondere Richtlinien, die die Verherrlichung von Gewalt, missbräuchlichem Verhalten, hasserfülltem Verhalten, Schadenswünschen und grundlosem Blut verbieten.“

In Deutschland gelten die Taliban – gemäß §§ 129a, 129b des Strafgesetzbuchs – als terroristische Vereinigung im Ausland. Dennoch: Twitter sperrt die Accounts der Taliban nicht.

Anders im Fall des – inzwischen ehemaligen – US-Präsidenten Donald Trump: Der Social-Media-Konzern hat ihn von der Plattform entfernt. Der Vorwurf: Direkter Einfluss auf den Verlauf der Proteste in Washington am 6. Januar dieses Jahres. Es sind Bilder, die sich in das kollektive Gedächtnis der Welt eingebrannt haben: Der Sturm auf das Kapitol, ein Mob überwindet Absperrungen, verwüstet Büros, Parlamentarier müssen in Sicherheit gebracht werden. Twitter erklärt am 8. Januar 2021 zur Sperrung des Trump-Accounts: „Nach gründlicher Prüfung der letzten Tweets von dem Account von @realDonaldTrump und ihrem begleitenden Kontext, insbesondere auf Grund ihrer Aufnahme und Interpretation, haben wir dauerhaft den Account gesperrt, wegen der Gefahr, dass diese Tweets Gewalt auslösen.“

Unverfängliche Botschaften?

Auch in diesen Tagen entstehen Bilder, die die Welt erschüttern: Ein Selbstmordanschlag vor dem Kabuler Flughafen. Verzweifelte Afghaninnen und Afghanen in Todesangst. Völlig erschöpfte Menschen in Frachtmaschinen der Bundeswehr oder der US-Streitkräfte. Zu diesem Zeitpunkt twittern Taliban – auf den ersten Blick – unverfängliche Botschaften.

Kann harmlos sein, was eine Terrororganisation im Kontext der Ereignisse twittert? Fest steht: Im Kommuniqué von Anfang der Woche bringen die G7-Staaten ihre tiefe Besorgnis über die Lage in Afghanistan zum Ausdruck: Sie fordern „die Einhaltung der Verpflichtungen aus den internationalen Menschenrechtsnormen, einschließlich der Rechte von Frauen, Mädchen und Minderheitengruppen, und die Einhaltung des humanitären Völkerrechts unter allen Umständen.“ Nach deutschem Recht sind Botschaften verboten, die grausame oder unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen zeigen. Das Verbot beinhaltet unter anderem die Verherrlichung von Gewalt und die Verletzung der Menschenwürde. Doch die offiziellen Vertreter der Taliban haben solche Inhalte auf Twitter nicht verbreitet.

Außerdem, so erläutert Marc Liesching, Professor für Medientheorie und Medienrecht an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig, ist die Rechtslage klar: „Da die Taliban von Afghanistan aus twittern, ist deutsches Strafrecht nicht anwendbar. Dass die Taliban als Terrororganisation eingestuft sind, ändert daran nichts.“ Und auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das darauf abzielt, Hasskriminalität oder strafbare Inhalte in sozialen Medien wirksamer zu bekämpfen, kommt nicht in Betracht, so Liesching, es fehle die strafbare Handlung in Deutschland.

Landesmedienanstalten mit Leistungsdefiziten

Ohnehin, so das Bundesamt für Justiz (BfJ), das Beschwerden von Nutzern auch gegen Twitter prüft, gäbe es „keine Sanktionsmöglichkeiten für Beschwerden, die einen Account als solchen betreffen, ohne konkrete Inhalte zu benennen, die rechtswidrig sein könnten“. Unter gewissen Voraussetzungen seien in Deutschland die Landesmedienanstalten auf der Grundlage von jugendschutzrechtlichen Bestimmungen befugt, das Löschen oder Sperren von Inhalten anzuordnen. Doch dafür sind die Landesmedienanstalten nicht ausgestattet.

Die Beteiligung an den Taliban als Mitglied ist strafbar; als Beteiligungshandlung eines Mitgliedes kann auch das Werben um Sympathie gelten. Ob einzelne Tweets so zu werten sind, bedarf der Prüfung im Einzelfall und könne „nur im Rahmen eines konkreten Ordnungswidrigkeitenverfahrens geprüft werden“, so die Bundesregierung.

Viele fürchten, das Islamische Emirat Afghanistan werde zu einem Scharia-Staat, der Frauen, Andersgläubige und Angehörige von ethnischen Minderheiten zu Menschen zweiter Klasse macht. Sie fürchten einen „Gottesstaat, in dem Frauen unterdrückt und weggesperrt werden, sowie barbarische Strafen wie die Steinigung“, so die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte in einer Ankündigung für eine Diskussionsveranstaltung in der kommenden Woche. Unterdessen erlauben Rechtsstaaten wie Deutschland Social-Media-Konzernen, weiter zu bestimmen, wer twittern darf und wer nicht.

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