Trümmerpartei

Kann sich die Linke von Sahra Wagenknecht und den Putin-Verstehern trennen – und so den Untergang noch abwenden?

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PICTURE ALLIANCE/SZ PHOTO/RAINER UNKEL
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Trümmerpartei

Kann sich die Linke von Sahra Wagenknecht und den Putin-Verstehern trennen – und so den Untergang noch abwenden?

Das hat es in der deutschen Parteiengeschichte auch noch nicht gegeben, dass der Gründer einer Partei diese auch noch beerdigt. Ohne Oskar Lafontaine hat die geschrumpfte Linkspartei im Saarland nur noch gut ein Zehntel dessen erreicht, was sie zu den Hochzeiten des kleinen „Napoleons von der Saar“ 2009 erzielen konnte, nämlich mehr als 21 Prozent. Die Saar-Linke ist jetzt nur noch eine Splitterpartei, die bald unter den „Sonstigen“ rangieren könnte.

Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, heißt es bei Hiob, wie Lafontaine als Abiturient des Bischöflichen Konvikt in Prüm zweifellos weiß. Damit steht sein Parteiaustritt für nichts weniger als die gezielte Zerstörung der Linkspartei im Westen – und, so die Ironie der Geschichte, für die Wiedererweckung der SPD. Denn während Lafontaine, scheinbar altersweise geworden, darüber sinniert, ob er nicht doch besser 1999 in der SPD geblieben wäre, fliehen seine vormaligen Linkspartei-Wähler zurück in den Schoß der einstigen Mutterpartei und bescheren Anke Rehlinger eine kaum mehr für möglich gehaltene absolute Mehrheit.

Ohne Lafontaine war die einstige PDS am Boden, nach seinem Ausstieg ist es nun auch die Linkspartei: Denn fast alles spricht dafür, dass sie im Mai auch in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen den Einzug in den Landtag verpassen wird. Und sollte die Linkspartei im Herbst 2023 auch am Wiedereinzug in den hessischen Landtag scheitern, blieben ihr im Westen nur noch die drei Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg. Da die Partei aber längst auch im Osten schwächelt, wäre mit einer derart erodierten West-Basis der Wiedereinzug in den Bundestag kaum mehr möglich. Schließlich scheiterte sie schon diesmal an der Fünfprozenthürde und zog nur dank dreier Direktmandate wieder ins Parlament ein.

Kurzum: Die Niederlage im Saarland könnte der Anfang vom Ende der Linkspartei sein. Was am Ende übrig bliebe, wäre eine ostdeutsche Regionalpartei.

Dabei ist durchaus hinreichendes Wählerpotenzial für eine pragmatische Linke jenseits der Sozialdemokratie vorhanden. Schließlich hat die Ampelkoalition unter dem Druck der FDP die Flanke auf der Linken regelrecht aufgerissen. Beste Chancen also eigentlich für Die Linke, sich als Alternative für Soziales, Frieden und Ökologie zu positionieren.

Das aber würde voraussetzen, dass sie ihr eigentliches Alleinstellungsmerkmal überwindet, nämlich ihre chronische Zerrissenheit. „Zerstrittene Parteien werden nicht gewählt“, stellt die Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow zu Recht fest. Doch auch wenn Lafontaine die Partei nun verlassen hat, bleiben seine Positionen in der Partei erhalten – schon durch seine Ehefrau Sahra Wagenknecht und ihre nach wie vor große Anhängerschar – und damit auch die Spaltung in zwei Lager, die sich längst spinnefeind sind.

Eine Partei mit einem solchen Riss in ihrer eigenen Klientel wird es immer schwer haben. Zumal Wagenknecht die Partei bis auf Weiteres in der Hand hat: Sobald sie mit ihren Getreuen aus der gemeinsamen Fraktion austritt, verliert die Partei ihren Fraktionsstatus und firmiert nur noch als Gruppe, ist damit auch nicht mehr aktions- und redefähig. Der alte Riss geht also weiter durch die Partei – und es ist nicht zu erkennen, wie er zu kitten wäre.

Dabei geht es heute längst nicht mehr nur um die kommenden Landtagswahlen, sondern um die eigentliche Gretchenfrage: Kommt die Linkspartei 2025 noch einmal in den Bundestag?

Damit dies gelingt, müsste sich die Partei endlich eingestehen, dass es sich von Beginn an um zwei Parteien in einer handelte, eine fundamentalistische und eine reformerische, vereint bloß durch den Willen zur Stimmenmaximierung und einen fragilen Burgfrieden: Jeder Verzicht auf einen der beiden Flügel, so die Überzeugung, würde die Existenz der Linkspartei insgesamt infrage stellen.

Deshalb hielten die Pragmatiker still – in dem Wissen, dass Wagenknechts Abgang eine Menge Stimmen kosten würde. Heute dagegen spricht manches für das Gegenteil: Die Partei verliert durch den Streit der Flügel mehr, als sie durch Wagenknecht gewinnen kann. Die Partei könnte vermutlich sogar eher ohne sie als mit ihr überleben, da sie und die Fraktion der „Putin-Versteher“ immer mehr zu einer Belastung für eine aufgeklärte Linke werden.

Denn während die Parteispitze den verbrecherischen russischen Angriffskrieg verurteilt, sehen Wagenknecht und Co. noch immer in der Nato den Ursprung allen Übels. So warnte Sevim Dağdelen noch zwei Tage vor Kriegsbeginn auf einer „Friedensdemo“ vor der „Nato-Aggressionspolitik“.

Eigentlich bestünde daher jetzt die Chance und Notwendigkeit, eine pragmatisch-realistische Linkspartei ohne das Wagenknecht-Lager aufzubauen. Das Dilemma der Reformer: Solange Wagenknecht die Partei nicht freiwillig verlässt, kann sie mit dieser weitgehend machen, was sie will. Momentan ist die Linkspartei kaum in der Lage, sich aus der Geiselhaft ihrer medialen Führungsfigur zu befreien. Das zeigte die hilflose Aufforderung von Hennig-Wellsow an die Medien, das „einfache Parteimitglied“ Wagenknecht doch zukünftig bitte weniger in Talkshows einzuladen.

Und da ein Ausschlussverfahren gegen Wagenknecht soeben gescheitert ist, wird im Ergebnis alles darauf ankommen, ob die Linkspartei sich in vier Jahren traut, die linke Ikone und ihre Parteigänger nicht mehr aufzustellen. Das ist die einzig mögliche Konsequenz, um sich von den „Putin-Verstehern“ wirklich zu emanzipieren. Aber diesen Schritt haben die Reformer bisher immer gescheut wie der Teufel das Weihwasser.

Immerhin wird es nun auf dem Bundesparteitag in Erfurt am 25. und 26. Juni zu einer großen Auseinandersetzung mit der Kriegsfrage kommen. Man darf gespannt sein, ob es dann tatsächlich die „klare Positionierung“ ohne jede Relativierung des russischen Angriffskrieges geben wird, die die Parteivorsitzende Hennig-Wellsow versprochen hat – oder ob man am Ende doch wieder bei den alten Formel­kompromissen landet. Hic Rhodus, hic salta! Lange genug haben die Vernünftigen in der Partei stillgehalten. Jetzt müssen sie springen und endlich einen neuen Anfang wagen. Denn andernfalls droht der Untergang.

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