Um fünf Uhr in der Schlange

Mehr als Deutschkurse: Das Goethe-Institut hat eine neue Präsidentin

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PICTURE ALLIANCE/FABIAN SOMMER/DPA
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Um fünf Uhr in der Schlange

Mehr als Deutschkurse: Das Goethe-Institut hat eine neue Präsidentin

Sechs Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gegründet, war die Entscheidung für Goethe-Institute an vielen Orten auf der Welt damals ein mutiger Schritt. Eine Handvoll Deutschlehrer setzte 1951 die ersten Impulse. Doch die Welt lechzte nicht nach der Sprache, die Worte wie „Achtung“, „Kommando“ und den „Führer“ hervorgebracht hatte. So war es klug, mit dem Namen an ein historisches „Davor“, das Land der Dichter und Denker, anzuknüpfen. Heute ist „Goethe“ eine Erfolgsgeschichte, doch lohnt sich ein Blick auf einige der Herausforderungen, die den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern begegnen.

Im nächsten Jahr wird das Goethe-Institut sein siebzigjähriges Jubiläum feiern. Goethe-Institute gibt es nun an 157 Standorten in 98 Ländern, also mehr als jedem zweiten Land der Welt. Dabei hat das Goethe-Institut immer mit der sich wandelnden Zeit Schritt gehalten. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 weitete das Goethe-Institut seine Aktivitäten verstärkt auf Osteuropa aus; in den vergangenen Jahren gab es viele Institutseröffnungen in Afrika.

Knapp eine Viertelmillion Menschen nimmt jährlich an Deutschkursen teil. Das Goethe-Institut hat sich immer weiterentwickelt und neue Initiativen wie das PASCH-Programm „Schulen: Partner der Zukunft“ ins Leben gerufen. Während im Jahr 2015 weltweit 95 000 Schulen Deutschunterricht angeboten haben, sind es im Jahr 2020 rund 106 000 Schulen. Ferner werden qualifizierte Deutschlehrkräfte ausgebildet.

Das Goethe-Institut hat jedoch auch die Aufgabe, die kulturelle Zusammenarbeit mit anderen Staaten zu pflegen und ein umfassendes aktuelles Deutschlandbild zu vermitteln. Dabei gelingt es zumeist, sowohl etablierte Künstlerinnen und Künstler einzuladen als auch interessante Newcomer.

Immer wieder gilt es jedoch, bisweilen dissonante Interessen zwischen „diplomatischer“ kultureller Außenpolitik auf der einen Seite sowie freien, künstlerischen, auch: provokativen Impulsen auf der anderen Seite auszutarieren. Goethe-Institute müssen dort stets einen Mittelweg finden, besonders in autoritär regierten Ländern, in denen Zensur ausgeübt wird, auch zum Schutz ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Schon in den ersten Gründungsjahrzehnten gab es solche Herausforderungen. Damals war Deutschland selber das „schwierige“ Land: Es gab große innenpolitische Auseinandersetzungen, weil sich die Gesellschaft in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Mauerbau zunächst selbst finden musste. So gab es Debatten, als der Schriftsteller Golo Mann 1964 nach Rom eingeladen war und kritisch über die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie sprach.

Klaus-Dieter Lehmann, langjähriger Institutsleiter (2008 bis 2020), benennt diesen Grundkonflikt: „Entscheidend ist, dass Kultur keine Kompromisse eingeht. Ich bin der Auffassung, dass wir auch in schwierigen Ländern Profil zeigen müssen, sonst könnte man keinen Dialog führen. Dass es immer wieder Diskussionen mit der Politik und dem Auswärtigen Amt geben wird, das gehört zum Geschäft.“

Lehmann meint, dass Deutschland Ansehen im Ausland gewonnen hat, weil man deutlich gemacht hätte, dass das Land sich als befähigt erwiesen hätte, „offen mit Themen umzugehen und verschiedene Interpretationen zu ermöglichen“.

Ebenso wichtig ist die Eigenständigkeit der Kultur gegenüber der Wirtschaft. So sieht man die Aufgaben bei Goethe anders als etwa bei den US-Amerikanern, bei denen diese Felder enger miteinander verwoben sind.

Dennoch bewegen sich die Goethe-Institute de facto im Grenzbereich zwischen Politik, Wirtschaft und Kultur, was nicht immer reibungslos abläuft. So musste ein Goethe-Informationszentrum in Nordkorea nach nur vier Jahren (2005-2009) wieder schließen. Im Jahr 2005 kam es zu einem Angriff auf das GI in Togo. Die Regierung hatte Deutschland vorgeworfen, mit der Opposition zu sympathisieren.

Oft bilden die Goethe-Institute für Einheimische die erste Begegnung mit Deutschland, der zum Teil sehr fremd erscheinenden deutschen Kultur und Sprache. Meine persönliche Erfahrung mit Goethe-Mitarbeitern ist, dass es sich hierbei meist um besondere Menschen handelt, Menschen mit einer hohen Sozialkompetenz, der Fähigkeit, auf die unterschiedlichsten Leute situativ ausgleichend zu reagieren. Arabischer Frühling, Trump in den USA, beleidigte Polen, stolze Russen, exzentrische Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland: Immer ist Fingerspitzengefühl gefragt. Dazu gehört auch das Vermeiden von Verhaltensweisen, die vielleicht als „kulturkolonial“ aufgefasst werden könnten.

Was die Herausforderungen der Goethe-Institute angeht, gilt es, einer „Kontinentalverschiebung“ Rechnung zu zollen: So sinken die Zahlen der Deutschlernenden in manchen europäischen Ländern, steigen jedoch stark in Asien und Afrika. Ich konnte mit eigenen Augen sehen, wie Menschen in Indien um fünf Uhr morgens in der Schlange standen, um sich für einen Sprachkurs anzumelden.

Doch selbst der vergleichsweise harmlos erscheinende Spracherwerb ist nicht von der Politik zu trennen: So sagte mir Frank Baumann, Leiter des GI Belgrad, dass er sich zwar über den großen Run auf die Deutschkurse in Belgrad freue. Angesichts des enormen Brain Drains der kleinen Balkan-Republik vor den Toren der EU bekomme er deshalb aber auch „Bauchschmerzen“. Jeder, der kann, geht weg. Am liebsten nach Nemačka.

Die derzeit größte Herausforderung bedeutet die Coronakrise. Kaum Sprachkurse, kaum Kulturveranstaltungen: Die Pandemie trifft das Goethe-Institut hart. Im laufenden Jahr verzeichnen die Sprachvermittler bisher Rückgänge von etwa 40 bis 50 Prozent – mit drastischen wirtschaftlichen Folgen. Dazu sei gesagt: Die Goethe-Institute im Inland müssen sich selbst finanzieren.

Mit einem Defizit von rund neun Millionen Euro muss der scheidende Institutsleiter, Klaus-Dieter Lehmann, sein Amt übergeben. Die neue Präsidentin Carola Lentz muss sich nun erst einmal als Krisenmanagerin betätigen. Die Ethnologin ist erst die zweite Frau in Leitungsfunktion in der fast 70 Jahre währenden Geschichte des Goethe-Instituts. Wünschen wir Carola Lentz viel Glück!

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