Unersetzlich

Kolumne | Direktnachricht

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DPA/APA/PICTUREDESK.COM
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Unersetzlich

Kolumne | Direktnachricht

Sucht man im Sondierungspapier der geplanten Ampel-Koalition nach dem Thema Gewaltschutz, taucht eigentlich nur ein Satz auf: „Jede und jeder in Deutschland soll sich sicher fühlen – ob auf der Straße, zu Hause oder im Netz.“ Klingt gut? Ja, aber auch ziemlich dünn. Nun ist ein Sondierungspapier natürlich kein Koalitionsvertrag. Doch es bleibt ein Beigeschmack, wenn sich darin konkrete Worte zur Ladesäuleninfrastruktur finden, aber keine zur Umsetzung der Istanbul-Konvention.

Zur Auffrischung: Die Istanbul-Konvention ist ein völkerrechtlicher Menschenrechtsvertrag, der die Vertragsstaaten zu Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt verpflichtet. Diese setzen sich wiederum aus Schutz, Prävention, Intervention und rechtlichen Sanktionen zusammen. In Deutschland wurde zwar schon einiges dafür getan (zum Beispiel die Sexualstrafrechtsreform „Nein heißt nein“), doch viele verpflichtende Punkte der Istanbul-Konvention sind immer noch nicht erfüllt. Allen voran die ausreichende Anzahl von Zufluchtsorten wie Frauenhäusern sowie eine Finanzierung der Fachberatungsstellen, die der Realität entspricht und nicht ständig am seidenen Faden hängt.

Letzteres bekommen derzeit besonders feministische Projekte in Berlin zu spüren: Ihre Förderung ist im Haushaltsentwurf 2022/23 nicht mehr vorgesehen. Manche müssten die Arbeit ganz einstellen, andere ihr Angebot stark einschränken. Es trifft damit die am härtesten, die keine Luft mehr nach oben haben – weil sie schon längst danach schnappen. Ausgerechnet Projekte mit den geringsten Ressourcen sind nun noch mehr dazu gezwungen, diese auf ihren eigenen Überlebenskampf zu verwenden.

Leidtragende sind die Mitarbeitenden und alle, an die sich ihre unersetzlichen Angebote richten. Alleinerziehende, geflüchtete Frauen, behinderte Frauen, alle, die gewaltvollen Beziehungen entfliehen wollen. Die (im Übrigen immer noch andauernde) Pandemie bedeutete vor allem für Frauen enorme gleichstellungspolitische Rückschritte. Die Zahl geschlechtsspezifischer Gewalt ist, wie prognostiziert, explodiert. Wie kann man auch nur daran denken, etwas wegzukürzen, das oft (über)lebensnotwendig ist?

Ob in Berlin oder auf Bundesebene: Die Umsetzung der Istanbul-Konvention muss Bestandteil aller Koalitionsverträge sein und dann auch konsequent erfolgen. Gewaltschutz ist kein nice to have oder gar etwas, an dem sich sparen lässt – er hat oberste Priorität.

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