Verhaltenslehren der Selbstkontrolle

Beratungsleistung und Mandatstätigkeit müssen endlich klar getrennt werden. Ein Einwurf

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PICTURE ALLIANCE/SZ PHOTO | CATHERINA HESS
Zugangsbeschränkung: Damit das gesellschaftliche Band nicht auseinanderreißt, bedarf es effektiver Regeln für Lobbytätigkeiten
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PICTURE ALLIANCE/SZ PHOTO | CATHERINA HESS
Zugangsbeschränkung: Damit das gesellschaftliche Band nicht auseinanderreißt, bedarf es effektiver Regeln für Lobbytätigkeiten

Verhaltenslehren der Selbstkontrolle

Beratungsleistung und Mandatstätigkeit müssen endlich klar getrennt werden. Ein Einwurf

Donnerstagabend, 22:25 Uhr in einem fast leeren Bundestag. Die Gesichter sind müde von einem langen Tag voller hitziger Corona-Diskussionen. Die Unsicherheit über die politische Zukunft Deutschlands liegt wie ein düsterer Schleier des Nichtwissens über dem Plenarsaal. Da verkündet Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Das Lobbyregister ist beschlossen.

Eigentlich ein Meilenstein nach jahrzehntelanger Diskussion auf dem Weg zu mehr Transparenz in Parlament und Regierung? Die Deutsche Gesellschaft für Politikberatung (de’ge’pol) fordert bereits seit 2008 ein verpflichtendes Lobbyregister für alle. Wirkliche Feierstimmung kommt im Parlament aber keineswegs auf. Zu sehr lastet der Druck der jüngsten Skandale auf den Parlamentariern. Zeitgleich kursiert im Plenarsaal die Meldung des Spiegels, der ehemalige Abgeordnete Mark Hauptmann sei in Maskengeschäfte in Höhe von über 7,5 Millionen Euro verwickelt. Wacker haben die Bundestagsabgeordneten daher gerade gegen den „bösen“ Lobbyismus angeredet.

Nur, das Lobbyregister betrifft sie gar nicht. Abgeordnetenlobbyismus lässt sich wegen der Freiheit des Mandats angeblich nicht in ein Lobbyregister integrieren. Dazu müssten die Parlamentarier ihre eigenen Verhaltensregeln ändern. Diese müssten endlich eine klare Trennung von entgeltlicher Beratungsleistung und Mandatstätigkeit beinhalten. Eine Forderung, die die de’ge’pol seit 20 Jahren vergebens an den Bundestag heranträgt. Über diese Trennung ging man aber in dieser nächtlichen Diskussion am Donnerstag fast vollständig hinweg. Ein Fehler.

Bringt dieses Lobbyregister jedoch endlich das ersehnte Licht in das angebliche Lobbydunkel? Tatsächlich ist das neue Lobbyregister schlichtweg verunglückt. Es ist gekennzeichnet von erheblichen handwerklichen Fehlern bis hin zu verfassungsrechtlich bedenklichen Eingriffen in Rechtsgüter wie Meinungs-, Berufs- und Petitionsfreiheit. Durch zahlreiche Ausnahmen bei der Registrierungspflicht ähnelt es zudem eher einem Schweizer Käse.

Was nicht in Vergessenheit geraten darf: Die Vertretung von Interessen ist ein von der Verfassung geschütztes Grundrecht. Als solches ist es nicht nur legitim, sondern innerhalb unseres demokratischen Systems unverzichtbar. Seit jeher ist Interessenvertretung unterschiedlichster Art in verschiedenen Formen am demokratischen Willensbildungsprozess beteiligt. Wie sonst sollte unsere freiheitliche Gesellschaft unter Einbeziehung aller gestaltet werden?

Blickt man nun genauer in den kurzen Gesetzestext zum Register, kommen einem erhebliche Zweifel. Besonders besorgniserregend dabei: Binnen 24 Stunden landete vorige Woche plötzlich ein neuer Passus im Gesetzentwurf. Dieser schreibt fest, dass der Verwaltungsdirektor des Deutschen Bundestags ab dem Januar 2022 nun die Aufsicht über die Frage ausübt, was Interessenvertretung ist und wer Interessen überhaupt vertritt. Insbesondere ist die Bundestagsverwaltung zugleich für die Erstellung, Kontrolle und Sanktionierung des verbindlichen Verhaltenskodex zuständig. Dabei geht es nicht um offenkundige Rechtsbrüche. Die muss der Staat selbstverständlich ahnden.

Es geht vielmehr um die Grundsatzfrage, was ethisch vertretbare Interessenarbeit ist. Um es auf den Punkt zu bringen: Damit kontrolliert der eigentliche Adressat der Interessenvertretung, der Bundestag, selbst, welche Artikulation von Interessen er für legitim hält. Das ist Staatslobbyismus. Man stelle sich vor, das Bundespresseamt erlasse Pressekodizes und übe selbst die Rechtsaufsicht über deren Einhaltung aus. Es rüttelt an den Grundfesten unseres liberalen Rechtsstaats, wenn nicht mehr Interessenvertreter selbstverantwortlich ihre ethischen Standards erlassen und kontrollieren dürfen.

Die Abschaffung der berufsständischen Selbstkontrolle steht nicht nur verfassungsrechtlich auf wackeligen Beinen, die Realität im zu regulierenden Sektor gibt dazu auch gar keine Rechtfertigung. Natürlich gibt es in der Interessenvertretung – wie in anderen Bereichen auch – schwarze Schafe. Seit 2002 wendet die Branche ein System der Selbstkontrolle an. Die de’ge’pol als berufsständige Organisation hat sich international anerkannten Ethik- und Qualitätsstandards verpflichtet. Seit 2003 existiert ein Verhaltenskodex, der für die Mitglieder verpflichtend ist, der sich aber auch als eine branchenweite Leitlinie der Selbstkontrolle etabliert hat.

Ganz im Gegensatz zur Zentralität des im Lobbyregistergesetz vorgesehenen staatlichen Verhaltenskodex, sieht dieser ein unabhängiges Kontrollgremium mitsamt Rügeverfahren vor. Kaum etwas davon wird nach Inkrafttreten des Lobbyregistergesetzes erhalten bleiben können. Der neu gefasste Paragraph 5 mit einem staatlichen Verhaltenskodex und einem staatlichen Prüfverfahren konterkariert leichtfertig die gesamte berufsständische Arbeit von Interessenvertretung. Quasi per Handstreich besiegeln die Parlamentarier das Ende der freiwilligen und unabhängigen Selbstkontrolle.

Mit der Einführung einer staatlichen Kontrolle der Berufsausübung legt der Bundestag unserem Rechtsstaat somit wieder unnötig Steine in den Weg. Statt Vertrauen in die Politik und die Willensbildung zu stärken, wird das Lobbyregistergesetz das Gegenteil bewirken. Es ist nicht vom Prinzip der Offenheit und des Vertrauens getragen, sondern von Misstrauen und Kontrolle.

Nach der Verabschiedung des Lobbyregisters sind jetzt die Abgeordneten am Zug. Der Missbrauch der Mandatsausübung durch entgeltliche Beratung muss endlich gestoppt werden.

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