Vom Gottesstaat

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

06
02
06
02

Vom Gottesstaat

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

Ramersdorf-Perlach ist ein eher unscheinbarer Stadtteil im Südosten Münchens. Er wäre an dieser Stelle nicht der Erwähnung wert, hätte dort nicht einer der Pfarrer der Gemeinde Verklärung Christi vergangenen Sonntag etwas Besonderes ersonnen: Statt selbst die Predigt zu halten, überließ er Gemeindemitgliedern den Altarraum. Sollten sie predigen, er würde zuhören.

Aus gutem Grund: Nicht nur für die Gemeindemitglieder, für die gesamte katholische Kirche waren es wieder einmal erschütternde Wochen. Zunächst das Gutachten über Verfehlungen der Erzbischöfe von München und Freising im Missbrauchsskandal einschließlich der inzwischen halbherzig korrigierten Falschaussage des emeritierten Papstes. Dann das eindrucksvolle Outing von mehr als 100 Katholikinnen und Katholiken im Kirchendienst als schwul, lesbisch, queer, non-binär oder als trans Personen einschließlich unmissverständlicher Berichte darüber, wie sie von kirchlichen Würdenträgern unter Druck gesetzt werden.

Das Outing hat nichts mit ihrem Glauben oder gar der Missbrauchs­praxis zu tun. Und doch lässt sich beides unter dem Aspekt verbinden, welchen Umgang die katholische Kirche mit Menschen pflegt und welches krude Selbstverständnis sich darin manifestiert.

An dieser Stelle mag es lohnen, das besondere Institut des Kirchenrechts in den Blick zu nehmen, das in einer aus heutiger Sicht seltsam anmutenden Koexistenz mit dem Staatsrecht steht. Dass die Kirche ihre eigenen Gesetze schreiben darf, ist grundrechtlich verankert. Dabei bestehen auf verschiedenen Rechtsgebieten freilich Unterschiede. Dem deutschen Strafrecht legt das Kirchenrecht keine Schranken auf, auch wenn es im Kirchenrecht selbst eine Art Strafrecht gibt. Beim Arbeitsrecht sieht das anders aus.

Wer eigenes Recht setzt, kann sich jenseits demokratischer Kontrollen zum Richter erheben und tut es auch. Das Kirchenrecht ist nicht das Ergebnis demokratischer Verhandlungslösungen, sondern kommt im Wortsinn „von oben“ über die Institution. Die Würdenträger sind genau in diesem Kontext sozialisiert. Warum sonst hätten sie den Missbrauch den Strafverfolgungsbehörden nicht angezeigt, obwohl die Straftäter Staatsbürger sind? Warum nehmen sie sich heraus, die Historie ihrer unzähligen Straftaten in eigens beauftragten Gutachten aufzuarbeiten, anstatt mit den Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren und ihnen ihre Archive zu öffnen? Dass die Staatsanwaltschaften das kirchliche Vorgehen einfach hinnehmen, anstatt Unterlagen umfänglich zu beschlagnahmen, ist dabei nur ein verstörender Nebenaspekt.

Man könnte weiter fragen: Wie kommen Pfarrer und Bischöfe dazu, Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Lebensform aus ihren Gemeinden und Unternehmen einfach auszusortieren, obwohl diese als tiefgläubige, engagierte Christen eigentlich alles richtig machen? Nur, weil dort Kirchenrecht verletzt wird, das längst dem deutschen Arbeitsrecht untergeordnet gehörte?

Es sei an der Zeit, aus dem „Riesenscherbenhaufen“ etwa Neues aufzubauen, sagte ein Gemeindemitglied von Verklärung Christi in München-Ramersdorf. Wohl wahr. Allein es fehlt der Glaube.

Weitere Artikel dieser Ausgabe