Von der Liste der Vorbilder zu streichen

Schmählich: Sebastian Kurz und seine schwarz-grüne Koalition in Wien

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PICTURE-ALLIANCE/GEORG-HOCHMUTH
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Von der Liste der Vorbilder zu streichen

Schmählich: Sebastian Kurz und seine schwarz-grüne Koalition in Wien

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz erhält am Dienstag in München den „Freiheitspreis der Medien“. Das konservative Verleger-Ehepaar Wolfram Weimer und Christiane Goetz-Weimer würdigt Kurz als „Brückenbauer Europas und Kommunikator der Freiheit“ und ehrt ihn „für freie Meinungsäußerung, das gesellschaftliche Miteinander, Einsatz für politischen Dialog und Demokratie“. Das schmückt Kurz, der zu Hause stark unter Beschuss steht.

Zehn Jahre nach Start als Staatssekretär für Integration mit 24 Jahren stößt seine Politik des Hü und Hott in der Bekämpfung der Pandemie auf Kritik, und seine Beliebtheit sinkt. Der grüne Gesundheitsminister Rudolf Anschober verließ die Regierung, da er zu viel Gegenwind aus dem Kanzleramt gegen seinen auf Eindämmung der Pandemie zielenden Kurs erhielt. Kurz hatte versucht, so schnell wie möglich Österreichs Tourismus wieder anzukurbeln. Die riskante Öffnungspolitik führte letztlich zu dem sechsmonatigen Lockdown, der in der kommenden Woche zu Ende gehen soll.

Kurz’ engste Mitarbeiter wie etwa Finanzminister Gernot Blümel sind Ziel von Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wegen möglicher Parteispenden. Der von Kurz ins Amt gebrachte Vorstandsvorsitzende der staatlichen Beteiligungsgesellschaft ÖBAG, Thomas Schmid, räumt seinen Posten. Seine Berufung scheint reine Parteipolitik gewesen zu sein. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss sucht Aufklärung. Die Arbeit förderte Chatverläufe zwischen Kanzler und engsten Mitarbeitern ans Tageslicht, die das das Image des jungen, „sauberen“ Kanzlers erheblich ankratzen. Erst auf Entscheid des Verfassungsgerichts gab Finanzminister Blümel Akten an den Untersuchungsausschuss heraus, eingestuft als geheim. Vorwürfe wie Postenschacher, Missachtung von Verfassung und Parlament machen die Runde.

Seine Anerkennung schwindet in den Reihen der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), die er 2017 handstreichartig übernommen hatte, begleitet von seinen Getreuen aus den Zeiten, als Kurz Vorsitzender der Jugendorganisation der ÖVP war. Nach dem Wahlsieg 2017 der „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei (ÖVP)“, wie er die Partei umbenannt hatte, koalierte Kurz mit der rechtsextremen Freiheitlichen Partei (FPÖ). Nach 17 Monaten zerbrach die Koalition am Ibiza-Video, das die Machtgeilheit des Vorsitzenden Heinz-Christian Strache zeigte. Kurz selbst neigt zu Populismus: Nach dem auf den Koalitionsbruch folgenden Misstrauensvotum im Nationalrat, dem österreichischen Parlament, kommentierte er: „Das Parlament hat abgestimmt, aber das Volk wird entscheiden.“

Neuwahlen bescherten der ÖVP einen Zuwachs von 6 auf nun 37,5 Prozent der Stimmen. Der neue Koalitionspartner, die Grünen, kam auf 13,9 Prozent. Bei der Siegesfeier in Wien gratulierte Deutschlands CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn dem österreichischen Bundeskanzler. Ein weiterer Freund in Deutschland ist – oder war – Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Bis zum Ausbruch der Pandemie pflegte der CSU-Vorsitzende enge Beziehungen zum österreichischen Shootingstar.

Bewunderer in Deutschland findet Kurz heute gleichwohl nur noch in den Publikationen des Springer-Verlages. Ansonsten gilt er keineswegs mehr als der Supermann, für den ihn etliche in den Unionsparteien zu Beginn seiner Karriere ansahen. Sein Kurs erweist sich als erratisch, seine Europa-Bekenntnisse sind fragwürdig.

Seinen Fans ist er Lichtgestalt und Hoffnungsträger, seinen Gegnern Machtpolitiker ohne inhaltliche Substanz. In Europa ist er vielen zum Enfant Terrible geworden. Beim EU-Budget und Wiederaufbaufonds gesellte er sich zu den sparsamen Vier, angeführt von Hollands Premier Mark Rutte. Dabei erweckte er daheim den Eindruck, er habe die Sparsamkeit erfunden. Bei der Verteilung von Covid-Impfstoffen erkannte er eine ungerechte Verteilung der Impfdosen und wollte eine Neuverteilung erzwingen, was jedoch misslang. Eigentlich sollte damit das heimische Publikum vom eigenen Versagen bei der Nachbestellung abgelenkt werden. Auch bei der Einführung des Grünen Passes für Geimpfte und Genesene prescht Kurz vor: Österreicher sollen als Erste den Pass haben, bevor die EU ihn gemeinsam einführt. Erste Stimmen aus Österreichs Wirtschaft sind enttäuscht von der Konzentration auf den Tourismus und dem Fehlen neuer Wirtschaftsimpulse. Die heute beginnende EU-Zukunftskonferenz dürfe auf keinen Fall zu Vertragsänderungen führen, erklärt Österreich, verbunden mit zehn anderen EU-Mitgliedsländern. Nicht der einzige Punkt, an dem Kanzlerin Angela Merkel und Sebastian Kurz unterschiedlicher Meinung sind – ein spannungsvolles Verhältnis auch dies.

Angesichts des Europa-Kurses von Kurz wundert es nicht, dass beim jüngsten Eurobarometer das Vertrauen der Österreicherinnen in die EU am niedrigsten in allen 27 EU Ländern ausfiel: Lediglich 41 Prozent der Österreicher vertrauen, 53 Prozent haben eher kein Vertrauen.

Schwarz-Grün regiert nun seit Januar 2020 in Österreich. Der Koalitionsvertrag bekennt sich zur Mitgliedschaft in der EU. Die Akzente der Koalitionäre unterscheiden sich dennoch. Legt Kurz immer wieder Wert auf Subsidiarität und den Abbau vermeintlich überbordender Regelungen der EU, bevorzugt der grüne Koalitionspartner eine stärkere Integration der 27 Mitgliedsländer. „Das Beste aus beiden Welten“ will man verwirklichen, doch es liegt nicht nur an der Pandemie, dass diese Koalition im Moment zu Lasten der Grünen geht. In Fragen des Asylrechts ist die Uneinigkeit im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Es ist nicht erstaunlich, dass Sebastian Kurz an einem restriktiven Kurs festhält, schließlich hatte er im Wahlkampf mit Parolen erfolgreich gepunktet, die sich von der Linie der rechtsextremen FPÖ kaum unterschieden. Die nach Rauswurf aus der Koalition soll jedoch das neu gewonnene Klientel vom rechten Spektrum unbedingt gehalten werden. Die liberalen Projekte – eine ökologische Steuerreform, mehr Transparenz vor allem bei Parteifinanzen, Informationsfreiheitsgesetz und Klimaschutz – kommen nur zögerlich voran.

So dürften Aspiranten einer möglichen schwarz-grünen Koalition in Deutschland im Herbst in der Austria-Variante wohl kaum ein Vorbild erkennen können.

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