Was davor geschah

Die Krise der Deutschen Bank geht weiter zurück als die jüngsten Schlagzeilen und Skandale. Ein aktueller Rückblick aus gegebenem Anlass

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PICTURE ALLIANCE/ALEXANDRA SCHULER/DPA
Prozente abziehen: Die Deutsche Bank, vor 150 Jahren in Berlin gegründet
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Prozente abziehen: Die Deutsche Bank, vor 150 Jahren in Berlin gegründet

Was davor geschah

Die Krise der Deutschen Bank geht weiter zurück als die jüngsten Schlagzeilen und Skandale. Ein aktueller Rückblick aus gegebenem Anlass

In der Coronakrise ging ein Jubiläum unter, das noch vor Jahren mehr als nur ein simpler Geburtstag, sondern ein überaus symbolisches Datum in der Geschichte der Deutschland AG gewesen wäre. Im März 1870 erhielten die Gründer der Deutschen Bank die Erlaubnis, in Berlin eine Aktienbank vornehmlich für das Auslandsgeschäft der deutschen Wirtschaft zu errichten – Mitte März 2020 beging die Bank also ihren 150. Geburtstag.

Der Festakt fiel ebenso ins Wasser, wie das Datum selbst kaum wahrgenommen wurde. In gewisser Hinsicht passt das zur Stimmung in der Bankenwelt, der momentan kaum zum Feiern zu Mute ist. Noch waren die Folgen der großen Weltfinanzkrise nicht überwunden, da brachten die Folgen der Corona-Pandemie schon die nächste große Herausforderung, und das in einem Umfeld, in dem niedrige Zinsen sowie der Strukturwandel der Finanzindustrie die Banken ohnehin stark unter Druck setzen. All das hat, nicht ohne eigenes Zutun, die deutschen Großbanken, sofern sie überhaupt noch bestehen, in eine schwere Krise gestürzt.

Diese Krise hat zweifellos auch mit strategischen Fehlern zu tun, die im Umfeld der Globalisierung der Finanzmärkte und damit eng verbunden der Auflösung der Deutschland AG gemacht wurden. Doch zeigt schon ein kurzer Blick, dass die derzeitige Krise ohne die Pfadabhängigkeiten und ohne die Weichenstellungen, die 150 Jahre Bankgeschichte prägten, kaum verständlich ist oder allzu leicht auf Managementfehler zurückgeführt wird, die überhaupt erst im historischen Kontext transparent werden.

Gegründet für die Finanzierung des deutschen Außenhandels entfaltete die Deutsche Bank vor 1914 eine fast atemberaubende Dynamik. Von einer kleinen Berliner Bank wurde sie innerhalb von 40 Jahren zu einer der größten und bedeutendsten Banken der Welt, mit deren Namen sich nicht nur der Aufstieg der deutschen Industrie zur Weltgeltung verband; auch im internationalen Kapitalmarktgeschäft war das Haus mit dem repräsentativen Sitz in der Berliner Behrenstraße eine wichtige Adresse, von der Konkurrenz gefürchtet, von den Kreditnehmern herbeigesehnt.

Dabei verstand es die Deutsche Bank besser als die Konkurrenz, die sich herausbildenden Universalbankstrukturen für ein in der Tat umfassendes Finanzierungsgeschäft zu nutzen. Sie hatte nicht nur den größten Kundenstamm und das höchste Depositenaufkommen. Bald spielte sie auch in der Staatsfinanzierung eine große Rolle. Vor allem aber war sie die Hausbank vieler der glänzenden Namen der deutschen Industriegeschichte. Auf den internationalen Geld- und Kapitalmärkten war sie, die als erstes deutsches Institut schon 1873 eine Londoner Filiale besaß, früh vertreten.

Der Erste Weltkrieg beendete diese Entwicklung abrupt. Die Deutsche Bank verlor faktisch ihr internationales Geschäft. Im Nationalsozialismus wurden die Banken zu nebenher wenig geliebten Finanzierungsinstrumenten des Regimes, dem sie sich mangels Alternativen gleichwohl als Kooperationspartner anboten, seine Wünsche gelegentlich vorwegnehmend, jedenfalls durchweg widerstandslos erfüllend. Die Deutsche Bank, die die Bankenkrise 1931 vergleichsweise gut überstanden, geriet zwar nicht in die fatale Abhängigkeit von der Politik wie die Dresdner Bank, die 1933 faktisch in Staatsbesitz war und sich durch eine aggressive Geschäftspolitik hiervon zu lösen suchte. Doch auch die Deutsche Bank war an Arisierungen beteiligt und nahm an der wirtschaftlichen Durchdringung der besetzten Länder teil.

Die großen wirtschaftlichen Erfolge nach dem Krieg und dem erneuten Verlust des Auslandsvermögens fanden daher folgerichtig im Inland statt, namentlich im Bereich der Industrie- und Außenhandelsfinanzierung, wobei wegen der eigentümlichen Finanzierungsstrukturen eine immer engere Verflechtung von Banken, Versicherungen und Unternehmen entstand, die sogenannte Deutschland AG, die von ausländischen Einflüssen weitgehend abgeschottet war.

Bis in die 1970er-Jahre war das ein gutes Geschäft, und die Deutsche Bank wurde wieder zumindest zum nationalen Primus. Doch mit dem Auslaufen des Nachkriegsbooms wurden die Margen im herkömmlichen Geschäft geringer. Die internationale Konkurrenz nahm mit dem Ende von Bretton Woods und der zunehmenden wirtschaftlichen Globalisierung gleichzeitig zu: Plötzlich traten US-Banken im Inland als Konkurrenten auf – und diese beherrschten das an Bedeutung zunehmende Investmentbanking sehr viel souveräner als die deutschen Banken, die hiervon lange abgeschnitten waren und dieses Geschäft später eher nachlässig betrieben hatten.

Das rächte sich bald, vor allem aufgrund der Tatsache, dass die großen Banken kaum über Humankapitalreserven verfügten, um dort erfolgversprechend aktiv werden zu können. Was lag da näher, als die gewaltigen Vermögensbestände, die den Kern der Deutschland AG ausmachten, zu nutzen, um durch internationale Zukäufe zu einem ernstzunehmenden Akteur im Investmentbanking zu werden?

Die Weichen hierfür wurden schon in den 1980er-Jahren unter Alfred Herrhausen gestellt. Der Zukauf des Londoner Bankhauses Morgan Grenfell war der erste Schritt, der freilich die Schwierigkeiten dieser Strategie schlagartig verdeutlichte. Denn man konnte unter Umständen internationale Kompetenz zukaufen, aber diese ließ sich nicht so ohne weiteres in die herkömmliche Struktur der Bank integrieren. Schon bei Morgan Grenfell, später verstärkt nach dem Erwerb des amerikanischen Hauses Bankers Trust, entstand eine Unwucht, weil sich das von London und New York aus nun aggressiv betriebene Investmentbanking von Frankfurt aus faktisch nicht kontrollieren ließ. Während das „deutsche“ traditionelle Bankgeschäft nach und nach wenig profitabel, ja altmodisch erschien, verschoben sich auch intern die Gewichte nach London und New York, wo die großen Gewinne erzielt wurden, die den offenkundigen Kontrollverlust Frankfurts hinnehmbar erscheinen ließen.

Die Weltfinanzkrise 2007 hat diese Entwicklungsstrategie, schnell und aggressiv in das internationale Kapitalmarktgeschäft zurückzukehren, brutal beendet. Das Schicksal zahlreicher großer Häuser steht seither auf dem Spiel, wenn es nicht bereits besiegelt ist.

Doch was wäre die Alternative gewesen? Die Deutsche Bank verfolgte ja keineswegs allein eine Strategie des aggressiven Wachstums im Investmentbanking; das war seit den 1990er-Jahren vielmehr überaus verbreitet und bestimmte das Finanzmilieu und das Alltagslebens Londons und New Yorks in einer Weise, die man sich in Deutschland kaum vorstellen konnte. Ein Verzicht auf derartige Geschäfte wäre weder wirtschaftlich vertretbar noch der deutschen Öffentlichkeit vermittelbar gewesen. Ob es derart aggressiv hätte betrieben werden müssen, ist indes offen, denn gerade deswegen sind die jetzt zu lösenden Probleme besonders groß. Bisher hat die Deutsche Bank die schwerste Krise ihrer Geschichte immerhin überlebt, alles Weitere ist offen.

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