Wer nötigt hier wen

Amerikanisch-chinesische Schlafwandler – steuern Washington und Peking auf einen Krieg zu?

01
08
SHUTTERSTOCK.DE/VKILIKOV
01
08
SHUTTERSTOCK.DE/VKILIKOV

Wer nötigt hier wen

Amerikanisch-chinesische Schlafwandler – steuern Washington und Peking auf einen Krieg zu?

Die Beziehungen zwischen Amerika und China haben einen historischen Tiefpunkt erreicht. Das chinesische Dominanzstreben stößt auf Washingtons zunehmende Entschlossenheit, Xi Jinpings Weltführungsambitionen Grenzen zu setzen. Das jüngste Treffen der stellvertretenden US-Außenministerin Wendy Sherman mit ihrem chinesischen Kollegen Xie Feng in Tianjin hat den Eindruck verstärkt, dass die beiden Mächte auf eine Kollision zutreiben.

Präsident Joe Biden hat im ersten Halbjahr seiner Amtszeit die disruptive Außenpolitik seines Vorgängers Donald Trump in wesentlichen Punkten revidiert. Er trat dem Pariser Klimaabkommen und der Weltgesundheitsorganisation wieder bei, erneuerte die Partnerschaft mit der Europäischen Union, gab der Nato ihre Bedeutung zurück und strich im Verhältnis zu Deutschland die Strafsanktionen wegen Nord Stream 2. Seine China-Politik unterscheidet sich jedoch so gut wie gar nicht von der Trumps. So hat er das Verbot der Zusammenarbeit mit dem Internetausrüster Huawei und anderen Technologiefirmen aufrechterhalten und verstärkt, hat Sanktionen gegen weitere chinesische Funktionäre verhängt und in Bezug auf die Uiguren auch den Genozid-Vorwurf aufrechterhalten. Und wie Trump und dessen Außenminister Mike Pompeo will auch er abrücken von der Politik des Engagements mit der Volksrepublik.

Ein Unterschied fällt allerdings ins Auge: Die China-Politik der USA wird nicht mehr mit dem irrlichternden Bombast Trumps verfochten, sie hat sich zur stringenten Doktrin verdichtet – einer Doktrin, nach der laut des Economist die Systemrivalität der alten und der aufsteigenden Supermacht nur einen Gewinner haben kann: die USA.

Der chinesische Aufstieg

Das sieht Xi Jinping natürlich anders. „Zeit und Momentum sind auf unserer Seite“, wird er zitiert. Die Global Times, Chinas englischsprachiges Propaganda-Organ, fasst das Ende der amerikanischen Vorherrschaft in die schlichte Formel: „East rising, West declining“ – der Osten steigt auf, der Westen steigt ab.

In Anchorage haben sich im März US-Außenminister Antony Blinken einerseits, das Politbüromitglied Yang Jiechi und Pekings Außenamtschef Wang-Yi andererseits eine erste Schlammschlacht geliefert. Blinken warf den Chinesen die ganze Litanei US-amerikanischer Vorwürfe an den Kopf: Menschenrechtsverletzungen in Hongkong, Unterdrückung der Uiguren in Xinjiang und Drohungen gegen Taiwan, Cyberangriffe auf die USA, dazu ökonomische Nötigung von US-Verbündeten. „All diese Handlungen bedrohen die regelbasierte Ordnung, auf der die weltweite Stabilität beruht. Daher sind sie nicht bloß innere Angelegenheiten.“ Yang Jiechi schlug zurück, indem er die Amerikaner der Menschenrechtsheuchelei und des Rassismus bezichtigte. Xinjiang, Tibet und Taiwan seien unveräußerliche Gebietsteile Chinas, jegliche Einmischung in seine inneren Angelegenheiten sei daher scharf zurückzuweisen. Und überhaupt: Wer nötige denn wen? Es seien doch die USA, die ihre militärische Macht und ihre finanzielle Hegemonie nutzten, um andere Länder zu unterdrücken und dem Rest der Welt ihre Demokratie aufzudrängen.

Die Unfähigkeit zur Entspannung

Bei dem Treffen in Tianjin wurde jetzt deutlich, dass sich seit Anchorage nichts gebessert hat. Wiederum lasen die Diplomaten einander die Leviten. In aller Klarheit legten die Kontrahenten ihre roten Linien fest. Voraussetzungen für eine Normalisierung sind laut Xie Feng die Aufhebung aller Sanktionen gegen chinesische Staats- und Parteifunktionäre, freie Betätigung der Konfuzius-Institute in den USA, Rücknahme der Visumsbeschränkungen für Parteimitglieder und Studenten bestimmter Fachrichtungen. Umgekehrt forderte Sherman eine andere chinesische Politik im Hinblick auf Xinjiang, Hongkong, Taiwan und Südchinesisches wie Ostchinesisches Meer. Beide Seiten erklärten zwar, sie wollten keinen Konflikt, aber auf Entspannung, gar Ausgleich deutete nichts hin.

Immer wieder sind derzeit in amerikanischen Publikationen Artikel über einen Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und China zu lesen, so zuletzt in The National Interest („Why the U.S. Military Might Not Win a War Against China Easily, if at all)“. Gleichzeitig beschuldigte Außenminister Blinken Chinas Regierung der bewussten Unterstützung von Cyber-Hackern, die sowohl staatliche Aufträge ausführen als auch Cyber-Verbrechen des persönlichen Gewinns wegen begehen. Präsident Biden reagierte auf die Erkenntnisse seiner Geheimdienste – vor allem über einen massiven Angriff auf das E-Mail-System von Microsoft – mit einer aufschreckenden Kriegswarnung: „Ich halte es für mehr als wahrscheinlich, dass, wenn wir in einem echten heißen Krieg mit einer Großmacht landen, dies die Konsequenz eines Cyber-Angriffs von großer Tragweite ist.“

Eine realpolitische Option?

Der Präsident hatte dabei auch Russland im Kopf, aber seine Bemerkung war primär wohl auf China gemünzt. Die Vorstellung, dass der digitale Kalte Krieg in einen heißen Cyber-Krieg münden könnte, versetzt auch die EU und die Nato in Besorgnis. Wie dem entgegenzuwirken ist, wird eine der großen Fragen sein, denen sich die westliche Welt in nächster Zukunft stellen muss.

Darüber hinaus aber muss sich der Westen Klarheit über seine Haltung zu China verschaffen. Reicht es, den Wirtschafts- und Handelspartner zu fairen Praktiken auf der Grundlage der Gleichberechtigung zu zwingen? Wie können die Europäer den Chinesen ihr Eindringen in den Balkan, ihre Einmischung in die EU-Politik verwehren? Hat die Nato wirklich in der transpazifischen Region eine Rolle zu spielen? Und ist die Biden-Doktrin, die auf Entkoppelung und Konfrontation hinausläuft, ist ihr Handlungsrahmen – nämlich eine Allianz der Demokratien gegen die Autokratien dieser Welt – tatsächlich eine realpolitische Option, wo doch überall sicherheitspolitische und wirtschaftspolitische Interessen als auch Notwendigkeiten durcheinandergehen, wo obendrein ununterdrückbare Menschenrechtsbedenken und unverzichtbare Klimakooperation gegeneinander stehen?

Schwierige Fragen. Zu beantworten, wenn in Berlin wieder Außenpolitik gedacht und gemacht wird.

Weitere Artikel dieser Ausgabe