Wider eine Nach-Corona-Depression

Zukunft wird mit Mut – und nicht mit der schwarzen Null gemacht

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SHUTTERSTOCK/YUMMYBUUM
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Wider eine Nach-Corona-Depression

Zukunft wird mit Mut – und nicht mit der schwarzen Null gemacht

Die Corona-Pandemie ist eine globale Ausnahmesituation von historischer Dimension – mit enormen sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen. Trotz berechtigter Kritik im Detail hat die Bundesregierung rasch und umfassend mit Konjunkturpaketen und der Ausweitung der Kurzarbeit gehandelt, um die Wirtschaft und Beschäftigung zu stabilisieren. Besonders die Vermeidung eines drastischen Einbruchs auf dem Arbeitsmarkt ist ein Erfolg. Der Sozialsaat hat den Stresstest bestanden und die Notwendigkeit eines handlungsfähigen Gemeinwesens bewiesen. Auch für die Wirtschaft ist der Sozialstaat ein Produktivfaktor und kein Standortnachteil.

Auch die Gewerkschaften haben viel bewirkt. Soziale Härten konnten abgefedert und Beschäftigung gesichert werden. In vielen Tarifverträgen wurde eine Erhöhung des Kurzarbeitergeldes (KUG) erreicht. Die gesetzliche Aufstockung des KUG und die Verlängerung des Bezugs von Arbeitslosengeld konnte nur mit den Gewerkschaften erstritten werden. Vor allem in den Betrieben und Verwaltungen mit starken Betriebs- und Personalräten sind Menschen besser geschützt und abgesichert. Kurzum, Mitbestimmung wirkt und muss nach der Krise ausgebaut und gestärkt werden, hat sich doch auch gezeigt, dass es mit ordentlichen Tarifverträgen mehr Fairness und ordentliche Löhne gibt. Deshalb muss die Tarifbindung endlich deutlich erhöht werden. Auch das ist im Interesse für Wirtschaft. Solide Einkommen sichern die Binnennachfrage und schaffen gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen.

Die Coronakrise hat zugleich die soziale Ungleichheit verschärft und bei allen Stärken die Schwächen unseres Sozialstaates offengelegt. Ein Rückfall in altbekannte Muster nach der Melodie Gürtel-enger-Schnallen, zurück zu schwarzer Null und Schuldenbremse oder ein Belastungsmoratorium für die Wirtschaft sind kein Zukunftskonzept. Ein Moratorium bedeutet Stillstand, und den können wir uns angesichts der Herausforderungen nicht leisten. Die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft zur Bewältigung des Klimawandels und den digitalen Strukturwandel können wir nur dann erfolgreich gestalten, wenn wir mutig und beherzt auf 100 Prozent Zukunft umschalten.

Das bedeutet, dass in den nächsten Jahren ausreichende öffentliche und private Investitionsmittel zur Verfügung stehen müssen, um die sozial-ökologische Transformation gerecht und ökonomisch erfolgreich zu gestalten. Zukunftsgestaltung bedeutet nicht, eisern zu sparen, sondern mutig zu investieren. Bereits vor Ausbruch der Pandemie hat das Institut der Deutschen Wirtschaft und das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der HBS einen Investitionsbedarf von mindestens 450 Milliarden Euro für die nächsten zehn Jahre identifiziert. Die Investitionsbereiche sind hinreichend bekannt und spätestens in der Coronakrise für alle sichtbar geworden.

Viele Ökonomen haben aus der aktuellen Situation die richtigen Schlussfolgerungen gezogen und halten angesichts der enormen Investitionsbedarfe die Schuldenbremse nicht mehr für zeitgemäß. Richtig, denn angesichts niedriger Zinsen haben Schulden ihren Preis verloren, und jede heute nicht getätigte Investition ist morgen eine Belastung der nächsten Generation.

Die digitalen Defizite in der Verwaltung, den Schulen, im Gesundheitswesen sowie in der Infrastruktur, aber auch in vielen Unternehmen sind mehr als offensichtlich. Moderne Verkehrswege sind die Lebensadern der Wirtschaft und sichern die Mobilität der Bevölkerung. In Deutschland ist das Schienennetz völlig überaltert. Die Pro-Kopf-Investitionen in die Schiene betragen keine 80 Euro. Unser Nachbarland Österreich investiert 218, in der Schweiz sind es sogar 365 Euro. Die Hälfte der Autobahnbrücken sind 50 Jahre und älter, nicht wenige können von Fahrzeugen über 7,5 Tonnen Gewicht nicht mehr befahren werden.

Das ist wirtschaftspolitisch ein nicht tragbarer Zustand. Ganz zu schweigen von dem völlig inakzeptablen maroden Zustand unserer Schulen und Bildungseinrichtungen. Sie müssten die Leuchttürme der Zukunft sein, Orte, an denen Bildung Freude bereitet, Innovationen freigesetzt und Chancengerechtigkeit gefördert werden. Massive Investitionen brauchen wir, wenn der Weg in eine CO2-arme Wirtschaft gelingen soll, in den Ausbau erneuerbarer Energien, von Speichertechnologien und smarten Energienetzen. Die Liste ließe sich nahezu endlos fortschreiben.

Ein ambitioniertes Investitionsprogramm bedeutet 100 Prozent Zukunft und muss mit dem Green Deal der EU-Kommission und einer vorausschauenden europäischen Industriepolitik verbunden werden. Mit Innovationen, einer europäischen Forschungs- und Entwicklungsstrategie können wir die industrielle Wertschöpfung und Beschäftigung sichern.

Die Innovationsfelder sind hinreichend beschrieben, von intelligenten europäischen Verkehrskonzepten über eine grüne Wasserstoffökonomie auf Basis regenerativer Energien bis hin zu einer modernen Gesundheitswirtschaft, die uns vor zukünftigen Gesundheitskrisen schützt und resilienter macht.

Das alles wird gelingen, wenn wir die richtigen Lehren aus der Coronakrise ziehen, die Zukunftsgestaltung solidarisch mit unseren europäischen Partnern gemeinsam anpacken und nicht in eine tiefe Nach-Corona-Depression verfallen. Aufbruch und 100 Prozent Zukunft sind gefragt. Die Gewerkschaften sind bereit, diese Herausforderungen anzupacken.

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