Yes, Empathie

Kolumne | Direktnachricht

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DPA/APA/PICTUREDESK.COM
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Yes, Empathie

Kolumne | Direktnachricht

Ach, gäbe es doch nur so viel Impfstoff, wie derzeit Hot Takes zur Identitätspolitik kursieren. Bedauerlicherweise existieren nur Letztere im Überfluss, und Anhänger_innen einer progressiven Politik finden sich zum wiederholten Male in der merkwürdigen Position wieder, verteidigen zu müssen, dass man sich für grundsätzliche Menschenrechte einsetzt.

Besonders erbärmlich sind die Instrumentalisierungsversuche „der Arbeiter_innen“ zur Abwehr emanzipatorischer Bewegungen. Angeblich verstünden sie zum Beispiel die Welt nicht mehr, sobald irgendwo ein Gendersternchen funkelt. Wer sein Bild von „den Arbeiter_innen“ aber nur in ihrer Bevormundung und in Abgrenzung zu gesellschaftlich unterdrückten Menschen entwickelt, sollte zuerst das eigene Politikverständnis überdenken. Das Streiten für soziale Gerechtigkeit für uns alle ist schließlich kein Verteilungskampf à la Hunger Games.

Identitätspolitik ist als politisches Instrument natürlich keine eierlegende Wollmilchsau. Nehmen wir allein die Frauenquote: Sie schließt andere marginalisierte Geschlechter weiter aus. Angewandt auf eine AfD würde sie nichts verbessern, weil diese Partei eine zutiefst antifeministische Ideologie vertritt. Und eine Quote wird, ohne die soziale Herkunft zu berücksichtigen, vor allem bereits privilegierten Frauen nutzen – von denen wiederum nicht erwartet werden kann, reformbedürftige Strukturen durch bloße Anwesenheit völlig umzukrempeln. Als Werkzeug für Geschlechtergerechtigkeit kann etwas wie die Quote also nur ein Anfang sein – trotzdem muss er gemacht werden.

Identitätspolitik ist nicht unfehlbar, aber notwendig. Sie ist aus der Selbstverteidigung und Selbsterhaltung marginalisierter Menschen geboren. Strukturell diskriminierte Menschen müssen stets Anwält_innen ihrer eigenen Bedürfnisse sein. Ob Antisexismus, Antirassismus oder der Einsatz gegen Ableismus: Die schmerzliche Erfahrung der Vergangenheit zeigt, dass dies sonst kaum jemand anderes tun wird.

Was Kritiker_innen der Identitätspolitik (mal weniger, mal mehr und leider noch öfter mutwillig) missverstehen: Sie hat die großartige Kraft, uns einander näherzubringen. Sie fördert nämlich Empathie, den Blick aufs große Ganze, auf sich selbst und die Offenheit, das eigene Handeln im Fall der Fälle weiterzuentwickeln. So wie es einer Gesellschaft gebührt, die Solidarität nicht nur als reines Schlagwort umherwerfen will, sondern sie tatsächlich lebt.

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