Bullen und Bären aufbinden

Leerformeln – über einige populäre Irrtümer der GameStop-Saga

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PICTURE ALLIANCE/ZOONAR | VOLKER RAUCH
Keinen Dank für die Blumen: Die GameStoper der Niederlande des Jahres 1637 setzten auf Tulpen. 2021 waren Videospiele für einige Tage hoch im Kurs.
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PICTURE ALLIANCE/ZOONAR | VOLKER RAUCH
Keinen Dank für die Blumen: Die GameStoper der Niederlande des Jahres 1637 setzten auf Tulpen. 2021 waren Videospiele für einige Tage hoch im Kurs.

Bullen und Bären aufbinden

Leerformeln – über einige populäre Irrtümer der GameStop-Saga

Nachdem das Ereignis ausgiebig beschrieben und Konzepte wie „Leerverkauf“ und „short squeeze“ es aus der Wirtschaftspresse in die Abendnachrichten geschafft hatten, begann die Phase der Deutung. Wer sind die Kleinanleger, die am Run auf die GameStop-Aktie beteiligt waren? Welche Motive treiben sie an? Welche Lehren lassen sich aus der GameStop-Saga über den Kapitalismus, die Gesellschaft, die Demokratie ziehen?

Auch auf dem Deutungsmarkt gibt es dabei Bullen und Bären. Die Bullen sehen im GameStop-Höhenflug den Vorschein einer „Demokratisierung“ der Finanzmärkte. Sie versuchen, die „Reddit-Revolutionäre“ nach dem Motto „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ für ein progressives Projekt zu vereinnahmen, weil diese sich mit Hedgefonds, dem Symbol für einen entfesselten Finanzkapitalismus schlechthin, angelegt haben. Manche Kommentatoren verglichen die GameStop-Käufer schon mit „Occupy Wall Street“. Und ist das Instrument der Kleinanleger nicht sogar eine App namens „RobinHood“ (die jedoch schnell in den Verdacht geriet, eine Doppelagentin des Sheriffs von Nottingham zu sein, als sie den Handel mit GameStop-Aktien zeitweilig aussetzte)?

Allerdings ist ausgesprochen zweifelhaft, inwiefern eine Demokratisierung der Finanzmärkte überhaupt ein progressives Projekt sein kann. Aktienbesitzer sind schließlich grundsätzlich an höheren Profiten interessiert. Und während Beschäftigte wollen, dass diese Profite in das Unternehmen reinvestiert werden, sind Aktionäre an höheren Dividenden oder Rückkaufprogrammen interessiert. Insofern entpuppt sich die Strategie, durch breit gestreuten Aktienbesitz den Einfluss von Arbeitnehmern zu erhöhen, für die Linke leicht als trojanisches Pferd. Margaret Thatcher hatte genau diese politischen Zweitrunden-Effekte eines breiten Aktienbesitzes im Blick, als sie die britischen Staatsbetriebe privatisierte. Um eine Mitbestimmung von Arbeitnehmern über Unternehmen zu erreichen, dürften Betriebsräte nach wie vor das deutlich geeignetere Instrument sein.

Spätestens seitdem die GameStop-Aktie wieder abgestürzt ist, scheinen auf dem Deutungsmarkt aber ohnehin die Bären die Oberhand zu gewinnen. Diese interpretieren die GameStop-Spekulation als Fortsetzung des politischen Populismus mit ökonomischen Mitteln. „Eine Masse zorniger Leute verbündet sich im sozialen Netzwerk, formiert sich als Bewegung gegen das Establishment und verbreitet Schrecken“, hieß es in der Frankfurter Allgemeinen, in expliziter Analogie zum Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar. Und die Süddeutsche Zeitung sekundierte: „Der Mob, der das Kapitol stürmte, wird von der gleichen Maschine angetrieben.“

Tatsächlich schreibt sich die Analogie zwischen Kleinanlegern und populistischen Wählern fast wie von selbst. So wie der Populismus in der Politik von der Inszenierung eines Gegensatzes von „Volk“ und „Elite“ lebe, so wird dort ein Konflikt zwischen der Masse der Kleinanleger und der Wall-Street-Aristokratie behauptet. Und während die einen sich über Telegram-Gruppen organisieren, ist es jetzt Reddit, das die Bildung eines „Schwarms“ ermögliche, der, so die FAZ, „entgegen landläufigem Glauben nicht intelligent ist, sondern nur eine Form von Filterblasenrealität“.

Gerne werden die Anhänger der jeweiligen Bewegung auch mit leichtem Paternalismus als manipuliertes Instrument geschickter Demagogen beschrieben.

Kern des Bären-Arguments ist, die GameStop-Spekulation werde für viele Kleinanleger mit bösen Verlusten enden, weil der Aktienkurs notwendigerweise wieder auf sein ursprüngliches Niveau zurückfallen werde. Letztlich handelten die Spekulanten also gegen ihre eigenen Interessen. Damit wiederholt der GameStop-Diskurs allerdings einen Fehler, der auch im Diskurs über den Populismus verbreitet ist: von vornherein auszuschließen, dass es sich dabei um eine durchaus rationale Form der Interessenverfolgung handelt, deren Rationalität man jedoch nicht erkennt, weil man die Interessenlage nicht versteht. Dann muss es irrational wirken, 200 Dollar in eine Aktie zu investieren, die „objektiv“ betrachtet bestenfalls 20 Dollar wert ist, ebenso wie es irrational erscheint, dass Brexit-Unterstützer für einen Austritt aus der EU stimmten, der für die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs langfristig enorme Kosten mit sich bringen dürfte.

Wenn das Verhalten der Anleger aber nicht rational sein kann, dann muss es irrational sein, und das heißt in diesem Fall: politisch. Denn in einem Kontext, in dem es um Preise und Risiken geht, haben politische Motive rationalerweise nichts verloren. Das, was in der Demokratisierungs-Interpretation als das Versprechen des GameStop-Hypes erscheint, nämlich eine Artikulation politischer Anliegen durch eine Abstimmung via Orderbuch, wirkt in der Populismus-Interpretation also gerade wie die Hauptbedrohung.

Während die finanzielle Bilanz der Affäre also relativ prosaisch ist – einige Kleinanleger haben Geld gewonnen, andere Geld verloren; einige Hedgefonds haben sehr viel Geld verloren, andere sehr viel Geld gewonnen – steht im Hintergrund der Debatte über ihre Interpretation also letztlich eine sehr viel fundamentalere Auseinandersetzung über den Zweck der Finanzmärkte: Sollen diese für die Durchsetzung politischer Ziele genutzt werden dürfen, etwa zur Bekämpfung der Klimakrise, wie es beispielsweise von den Anhängern einer „grünen Geldpolitik“ gefordert wird? Muss die Demokratie, da sie in den nationalen Parlamenten immer weniger erreichen kann, nun auf die internationalen Finanzmärkte ausgedehnt werden? Oder haben politische Anliegen dort nichts verloren, weil Finanzmärkte allein einer effizienten Preisbildung dienen sollen?

Dass den meisten Nutzern des Subreddit r/wallstreetbets selbst solche Fragen herzlich egal sein dürften, spielt dabei keine Rolle. Ihre Zockerei dient der Populismus-Analogie als willkommener Beleg für die Gefahren einer Vermischung von Politik und Finanzmärkten. So ist die Warnung vor einer Politisierung also wie so häufig genau das: politisch.

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